Für die Vereinten Nationen ist es ein Menschenrecht, für Grosskonzerne vor allem ein Wirtschaftsgut: unser Trinkwasser. Weltweit bedroht verunreinigtes Trinkwasser noch immer die Gesundheit vieler Menschen und an vielen Orten herrscht sogar Knappheit. Experten schätzen: Konflikte um Trinkwasser dürften zunehmen.

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Wer diesen Artikel gerade liest, gehört aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu ihnen: zu den 2,2 Milliarden Menschen, die weltweit keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Dabei handelt es sich um jeden dritten Erdenbürger, dem ein Menschenrecht vorenthalten bleibt. 785 Millionen Menschen verfügen nicht einmal über eine Grundversorgung mit Wasser.

Der Chilene Rodrigo Mundaca kämpft für den weltweiten Zugang zu sauberem Trinkwasser. Dafür erhielt der Agraringenieur vor wenigen Tagen den Nürnberger Menschenrechtspreis. Wir fragen: Wie bedrohlich ist der Kampf ums Wasser und an welchen Fronten wird überhaupt gekämpft?

Frage: Wie sehr gefährdet verunreinigtes Trinkwasser weltweit die Gesundheit?

Die Antwort: sehr. Trinkwasser wird zum Trinken, zur Nahrungszubereitung und für die Hygiene benötigt. Auch im Jahr 2019 gehört der Mangel an sauberem Wasser zu den häufigsten Todesursachen, besonders Kleinkinder sind betroffen.

Verunreinigtes Trinkwasser kann zu Infektionskrankheiten wie Bilharziose oder Durchfallerkrankungen wie Cholera führen. Täglich sterben mehr als 800 Kinder an solchen vermeidbaren Krankheiten. Auf der Liste der weltweit häufigsten Todesursachen finden sich Durchfallerkrankungen auf Platz 5.

Fussmarsch zum Wasserholen kostet Zeit für Bildung

Die Bedrohung durch verunreinigtes Wasser reicht weiter: Gesundheit der Bürger ist eine wichtige Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes und damit das Verhindern von Armut. Kindern und Erwachsenen, die täglich lange Wege zum Wasserholen laufen müssen, fehlt Zeit für Bildung und Arbeit.

Zwar verzeichnet der aktuellste Wasserreport von "Unicef" und "WHO" grosse Fortschritte für den Zeitraum 2000-2017 - immerhin haben 1,8 Milliarden Menschen zusätzlich Zugang zu einer Trinkwasserversorgung erhalten.

Jedoch gibt es weiterhin grosse Lücken bei der Wasserqualität und der flächendeckenden Versorgung. 144 Millionen Menschen haben keine andere Wahl, als ungereinigtes Oberflächenwasser zu trinken.

Frage: Wie knapp wird sauberes Wasser weltweit?

Die Antwort: immer knapper. Unsere Erde ist zu 71 Prozent mit Wasser bedeckt, mehr als 97 Prozent davon sind aber Salzwasser. Insgesamt sind nur 0,3 Prozent der Wassermenge trinkbar. Und diese Menge ist sehr ungleich verteilt: Besonders Afrika, Lateinamerika und Asien sind von dramatischer Wasserknappheit betroffen. Im Zuge des Bürgerkriegs ist auch in Syrien die Wasserversorgung an vielen Orten zusammengebrochen.

Die Vereinten Nationen sprechen von "Wasserstress", sobald mehr als ein Viertel der erneuerbaren Wasserressourcen genutzt wird. Weltweit ist das in mehr als 50 Staaten der Fall, in 22 Ländern werden dabei mehr als 70 Prozent der erneuerbaren Wasserressourcen genutzt.

Zum Vergleich: Laut Bundesumweltamt werden in Deutschland seit 15 Jahren weniger als 20 Prozent jener Ressourcen verwendet. Hierzulande stehen rechnerisch mehr als 6.200 Liter pro Kopf und pro Tag zur Verfügung - der aktuelle Pro-Kopf-Verbrauch liegt zwischen 120 bis 130 Liter pro Tag.

Frage: Können wir uns in Deutschland beruhigt zurücklehnen?

Antwort: nein, definitiv nicht. Der Klimawandel trägt dazu bei, dass immer mehr Wasserquellen vertrocknen. 2015 bis 2019 war laut UN der heisseste jemals gemessene Zeitraum, das hinterliess auch in Deutschland Spuren. Im hessischen Kelkheim machte die Feuerwehr im Sommer Durchsagen, das Befüllen von Pools zu unterlassen, in Niedersachsen und Brandenburg wurde die Wassermenge für Landwirte begrenzt.

Parallel zum knapper werdenden Wasser steigt der Verbrauch seit den 80er Jahren weltweit um etwa ein Prozent jährlich an. Die "Unesco" erwartet, dass es bis 2050 zu einem Anstieg von 20 bis 30 Prozent über dem derzeitigen Wasserverbrauch kommen wird. Das könnte auch zu weiteren Fluchtbewegungen führen, Deutschland dabei ein Zielland.

Frage: Verknappen Industrie und Landwirtschaft die Verfügbarkeit von Wasser?

Die Antwort: ja, deutlich. Die Landwirtschaft ist mit Abstand der grösste Wasserverbraucher weltweit. Sie ist laut "Unesco" für 69 Prozent der jährlichen Wasserentnahmen verantwortlich, auf den Industriesektor (samt Energieerzeugung) entfallen 19 Prozent, Privathaushalte haben einen Anteil von 12 Prozent.

Dabei findet Trinkwasser in der Landwirtschaft beispielsweise Einsatz bei der Bewässerung und in der Industrie als Rohstoff für die Nahrungsmittelproduktion. Steigende Industrialisierung und Verstädterung erhöhen den Energiebedarf, wodurch etwa mehr Wasser für die Kühlung von Kraftwerken benötigt wird.

2.495 Liter Wasser pro T-Shirt

Auch der Bedarf an Nahrungsmitteln und Textilien steigt - für die Herstellung eines Baumwoll-T-Shirts fallen durchschnittlich 2.495 Liter Wasser an. Wasser sparen kann man daher nicht nur, indem man den Hahn seltener aufdreht.

Für ein Kilogramm Rindfleisch werden etwa 20.000 Liter, für eine Tonne Papier 400.000 Liter und für eine Tonne Plastik 500.000 Liter Wasser benötigt. Zugenommen hat auch die Verschmutzung des Wassers: Durch intensive landwirtschaftliche Bodennutzung wird das Grundwasser zum Beispiel mit Nitrat und Pflanzenschutzmittel belastet.

Frage: Verschärfen Industrien mit der kommerziellen Abschöpfung von Wasser die Lage?

Die Antwort: Ja. Wasser ist weltweit der meistgenutzte Rohstoff und wird immer häufiger als Wirtschaftsgut betrachtet. In vielen Regionen der Welt entstehen Kämpfe um die Frage: Wem gehört das Wasser? Darum streiten die Nachbarländer Sudan und Ägypten, Indien und China, aber auch Konzerne und Bürger.

In seiner Dankesrede beklagte Mundace die Privatisierung des Wassers, welche in seiner Heimatregion Dorfbewohner vom Wasserzugang abschneidet - dort besässen wenige Grossunternehmen Zugang zu über 90 Prozent des Wassers.

Frage: Was hat Nestlé damit zu tun?

Antwort: Dem Marktführer für in Flaschen abgefülltes Trinkwasser, zu dem die Marken Vittel und San Pellegrino gehören, wird immer wieder vorgeworfen, der Bevölkerung das Wasser zu stehlen. Tatsächlich besitzt Nestlé Wasserrechte von staatlichen Wasserbehörden, wodurch es Wasser direkt aus dem Grundwasser abpumpen darf. Nach Reinigung und Anreicherung mit Mineralien verkauft der Konzern das Wasser in Plastikflaschen.

"Nestlé Waters" hat laut "Handelsblatt" 95 Produktionsstandorte in 34 Ländern und machte allein mit Wasserprodukten im vergangenen Jahr einen Umsatz von fast 7 Milliarden Euro. Zu den Produktionsstandorten zählen Südafrika, Pakistan und Äthiopien.

Die Gewinnspanne ist enorm: Im kanadischen Ontario bezahlt der Konzern für eine Million Liter Wasser 3,71 US-Dollar und erzielt im Verkauf mit derselben Menge zwei Millionen US-Dollar.

Kritiker bezeichnen Nestlé deshalb als "Wasserwiederverkäufer" und beklagen, der Grosskonzern habe ein zweites Versorgungssystem mit sauberem Wasser in Flaschen geschaffen, welches sich nur Reiche leisten könnten und welches durch Plastikverpackungen die Umwelt zusätzlich belastet.

Frage: Werden Konflikte um das Wasser zunehmen?

Antwort: ja. In Deutschland gab es bereits 2013 eine hitzige Debatte. Damals schlug EU-Kommissar Michel Barnier vor, in der EU einheitliche Regeln zur Konzessionsvergabe für die Wasserversorgung zu schaffen.

Auch wenn die EU damals entschied, dass die Versorgung mit Wasser eine öffentliche Aufgabe bleibt, ist das Thema nicht vom Tisch. Karsten Rinke vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung warnte im Interview mit der "Welt" erst kürzlich vor zunehmenden Trinkwasserkonflikten und forderte ein besseres Wassermanagement.

Verwendete Quellen:

  • unesco.de: "UN-Weltwasserbericht 2019: Daten und Fakten"
  • unicef.de: "Weltwasserwoche 2019: 10 Fakten über Wasser"
  • umweltbundesamt.de: "Grundwasser in Deutschland"
  • bmz.de: "Trinkwasserversorgung"
  • zdf.de: "Menschenrechtspreis für Mundaca"
  • welt.de: "Liste der häufigsten Todesursachen"
  • nestle.com: "Finanzielle Berichterstattung 2018"
  • nestle.com: "Nestlé reports full-year results for 2018"
  • orange.handelsblatt.com: "Warum Nestlé so unbeliebt ist"
  • earthlink.de: "Nestlés eiskaltes Geschäft mit dem Wasser"
  • 3.hhu.de: "Wozu braucht man Wasser"
  • welt.de: "Wir müssen uns auf Wasserknappheit vorbereiten"
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