Privatanleger konnten in den vergangenen Jahren mit Investments in Rüstungshersteller viel Geld verdienen. Aber sind diese Investitionen angesichts der vielen Kriege und gewalttätigen Auseinandersetzungen auf der ganzen Welt ethisch vertretbar? Und gibt es Wege aus dem Dilemma, mit bewaffneten Konflikten Geld zu verdienen?
Wer in den vergangenen Jahrzehnten öffentlich über Investitionen in Rüstungsaktien sprach, erntete meist entsetzte Blicke. Kaum eine Branche stiess vor dem russischen Angriff auf die Ukraine auf ähnlich breite Ablehnung wie die Hersteller von Haubitzen, Lenkraketen und Panzerplatten. Noch im Jahr 2018 hatten lediglich 17 Prozent der Deutschen ein positives Bild von der Rüstungsindustrie – ein Image, das sich ungefähr auf dem Niveau der Glücksspiel- und Pornoindustrie bewegte. Politische Fototermine mit Vertretern der Branche? Die gab es in aller Regel nicht.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich dieses Bild gewandelt. Im Februar 2024 legte
Dieser neue Sound wirkt sich auch auf die Haltung der Deutschen zu Investitionen in Unternehmen wie Rheinmetall, Renk oder Thyssenkrupp aus – sichtbar nicht nur an exponentiell steigenden Börsenkursen, sondern auch in Meinungsumfragen. Hielten es vor dem Krieg noch 53 Prozent der Deutschen für moralisch verwerflich, ihr Geld in Rüstungsfirmen zu investieren, sieht heute eine Mehrheit von 58 Prozent ausweislich Zahlen von verivox solche Anlagen als vertretbar an.
Rüstungshersteller könnten bald nachhaltig sein
Ob Investitionen in Rüstungsunternehmen im engeren Sinne nachhaltig sind, könnte bald sogar formal positiv beschieden werden. Auf europäischer Ebene wird derzeit diskutiert, die Ausschlusskriterien für nachhaltige Fonds zu lockern und die Bereiche "Verteidigung, Resilienz und Sicherheit" in die sogenannte EU-Taxonomie aufzunehmen – ein Regelwerk zur Klassifizierung nachhaltiger Finanzprodukte. Zwar dürfen Fonds schon heute in Rüstungsfirmen investieren, doch Finanzprodukte, die sich an ESG-Kriterien (steht für "Environmental, Social, and Governance", also etwa Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) orientieren, riskieren durch eine bestehende Regelungslücke Sanktionen. Viele dieser Fonds schliessen Rüstungsunternehmen deshalb pauschal aus ihrem Portfolio aus.
Das Interesse an einer Änderung ist vor allem bei den Rüstungsherstellern gross. Eine Aufnahme in die EU-Taxonomie würde bedeuten, dass ihnen schlagartig Kapital aus ESG-Fonds zufliessen könnte. Gleichzeitig würden die neuen Kriterien Vorteile bei der Risikobewertung und Kreditvergabe durch Banken bringen. Kurz gesagt: Eine Reform der EU-Taxonomie würde Unternehmen wie Rheinmetall mehr und günstigere Finanzierungsmöglichkeiten eröffnen.
Ob Rüstungsfirmen als nachhaltig gelten können – und Investitionen somit ethisch vertretbar sind – ist daher zunehmend Gegenstand politischer und gesellschaftlicher Debatten. Befürworter argumentieren, dass Investitionen in die Rüstungsindustrie zur nationalen Sicherheit beitragen, gerade jetzt, wo in Osteuropa ein brutaler Krieg tobt. Der Fall der Ukraine zeigt, dass Waffenlieferungen im Ernstfall über die Existenz eines angegriffenen Staates entscheiden können. Was, so das Argument, könnte nachhaltiger sein für liberale Demokratien, als aggressive Autokratien wie Russland oder China abzuschrecken und ihnen im Ernstfall militärisch entgegentreten zu können?
Befürworter argumentieren mit dem Schutz der Demokratie
"Investitionen in Rüstungsunternehmen tragen zu unserer nationalen Sicherheit bei, verteidigen die bürgerlichen Freiheiten, die wir alle geniessen, und liefern gleichzeitig langfristige Renditen für Pensionsfonds und Kleinanleger", heisst es etwa in einer gemeinsamen Erklärung des britischen Finanzministeriums und des britischen Vermögensverwaltungsverbandes Investment Association, die die Position der Befürworter auf eine Formel bringt.
Sie betonen zudem, dass Rüstungsunternehmen in demokratischen Staaten in der Regel strengen Exportkontrollen unterliegen und – im Idealfall – keine illegalen Märkte bedienen. In Deutschland etwa muss jeder Waffenexport vom Bundessicherheitsrat genehmigt werden, einem Gremium, das prüft, ob Lieferungen zu Menschenrechtsverletzungen oder zur Destabilisierung ganzer Regionen beitragen könnten.
Das reicht Gegner von Rüstungsinvestitionen nicht: Sie sehen in der Waffenproduktion den ersten Schritt hin zu Menschenrechtsverletzungen. Ihr zentrales Argument: Waffen werden per Definition dazu entwickelt, Menschen zu verletzen oder zu töten. Selbst wenn sie der Verteidigung dienen, führten sie zwangsläufig zu Gewalt und Zerstörung. Das wiederum läuft dem Grundgedanken nachhaltiger Entwicklung zuwider, wie ihn etwa die Vereinten Nationen formuliert haben.
Experte: "Rüstungslieferungen können niemals nachhaltig sein"
Hinzu kommt: Auch die EU-Taxonomie fordert, dass wirtschaftliche Aktivitäten keines der sechs definierten Umweltziele gefährden dürfen. Die Rüstungsproduktion allerdings verstosse schon allein wegen ihres hohen Ressourcenverbrauchs gegen dieses Prinzip. "Rüstungslieferungen können niemals nachhaltig sein", sagt Thomas Küchenmeister, Vorstand von Facing Finance im Gespräch mit unserer Redaktion. "Es gibt keinen Beleg dafür, dass sie die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (SDGs) fördern – dabei sind genau diese der Gradmesser für Nachhaltigkeit."
Für Küchenmeister kann zudem die beste Exportkontrolle nicht garantieren, dass Waffen nicht für Angriffskriege, Kriegsverbrechen oder durch illegitime Akteure genutzt werden. "Es wäre daher ein erster wichtiger Schritt, dass Rüstungsunternehmen sich verpflichten, nicht an Staaten zu liefern die völkerrechtswidrige Kriege führen oder in diese verwickelt sind" und verweist etwa auf die Türkei, Saudi-Arabien oder die Vereinigten Staaten, an die auch Deutschland Waffen liefert.
Privatanleger sollten auf konkrete Produkte achten
Dem Privatanleger hilft das puristische entweder oder nicht weiter – er muss sowohl als auch entscheiden, ob er sein Depot mit Rüstungsaktien bestückt – oder eben nicht. Finanziell ist die Sache zumindest kurzfristig eindeutig: In den vergangenen Monaten hätten sich solche Investitionen klar ausgezahlt. Doch was die moralische Verantwortung für Waffengewalt bei solchen Investments betrifft, wird es komplizierter.
Was Privatanlegern zumindest ein bisschen moralisch entgegenkommt: Sie handeln Aktien auf dem Sekundärmarkt, also im Austausch mit anderen Anlegern, nicht mit den Rüstungsherstellern selbst. Das Unternehmen erhält bei diesen Transaktionen also kein neues Kapital. Erst wenn neue Aktien ausgegeben werden, profitiert der Hersteller von gestiegenen Kursen. Ganz aus der Verantwortung entlässt das den Anleger zwar nicht. Der unmittelbare Schaden eines Rüstungsaktienkaufs ist aber begrenzt.
Auch der Wirtschaftsethiker Bernd Villhauer, Leiter des Weltethos-Instituts, erteilt zwar keine Absolution, hält Rüstungsinvestments aber nicht per se für unethisch: Vorausgesetzt, man ist bereit, sich mit seinem Wunschinvestment eingehend zu beschäftigen. Entscheidend sei, womit das Unternehmen sein Geld verdient – oder einfacher gesagt: Investiere ich in Panzerplatten und Fahrzeuge oder in international geächtete Waffen wie Tretminen und chemische Kampfstoffe? "Ich sollte da meinen eigenen ethischen Kompass befragen", sagt Villhauer gegenüber unserer Redaktion. "Sonst entsteht tatsächlich die Gefahr, dass ich mitschuldig werde."
Viele Fonds schliessen geächtete Waffen aus
Sein Rat: Anleger sollten gezielt Fonds auswählen, die bestimmte Waffenkategorien ausschliessen. Und die gibt es: Der Security und Defense Fonds der Fondsgesellschaft Deka investiert beispielsweise in Unternehmen aus der Sicherheits- und Rüstungsindustrie, darunter Rheinmetall, Honeywell oder Airbus. Investitionen in Hersteller geächteter Waffen wie Antipersonenminen, Streumunition sowie biologische und chemische Waffen, schliesst der Fonds jedoch aus.
Ähnlich handhabt es der Sicher Leben-Fonds der Landesbank Baden-Württemberg. Er verzichtet zusätzlich auf Unternehmen die ihren Hauptsitz in Russland, China, Nordkorea, Iran, Irak und der Vereinigten Arabischen Emirate haben. Anders als viele andere Fonds erlaubt LBBW aber Investitionen in die Hersteller von Nuklearwaffen – nur müssen diese ihren Sitz im NATO-Gebiet haben. Ähnliche Produkte bieten international Anbieter wie iShares oder VanEck an. Letzterer hat zuletzt sogar Rheinmetall aus den Portfolios geschmissen, nachdem bekannt wurde, dass Rheinmetall über die Tochterfirma Nitrochemie an der Herstellung von Komponenten für Munition mit abgereichertem Uran beteiligt sein soll. Geächtet ist dieses Produkt zwar nicht, umstritten aber schon: Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen stuft abgereichertes Uran als giftiges und radioaktives Schwermetall ein.
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Eine perfekte Lösung für das moralische Dilemma bieten auch diese Fonds nicht – aber vielleicht eine pragmatische Annäherung. "In den meisten Fällen gibt es kluge Strategien, um sein Geld nicht nur profitabel, sondern auch verantwortungsvoll anzulegen", sagt Villhauer.
Von einem Bereich würde der Ethiker aber ganz grundsätzlich die Finger lassen: militärischer KI. "Aus wirtschaftsethischer Sicht sollte nur in Projekte investiert werden, bei denen klar ist, dass am Ende der Mensch entscheidet."
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels war zu lesen, dass die Deka die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken sei. Das ist falsch. Die Deka ist die Fondsgesellschaft der Sparkassen.
Über die Gesprächspartner
- Bernd Villhauer ist seit Januar 2015 Geschäftsführer des Weltethos-Instituts.
- Thomas Küchenmeister ist Vorstand der NGO Facing Finance
Verwendete Quellen
- Informationsstelle Militarisierung (IMI): Von der Schmuddelecke in die Systemrelevanz
- Das Investment: Verteidigungs-ETF von Vaneck wächst und wächst
- Verivox: Höhere Akzeptanz durch Ukraine-Krieg: 58 Prozent finden Geldanlage in der Rüstungsindustrie in Ordnung
- Zeit: Tochter mit Sprengkraft
- European Commission: EU taxonomy for sustainable activities