Der Boom der Kryptowährungs- und Blockchain-Unternehmen sorgt in der Schweiz für Begeisterung, aber auch für Ängste. Dieser revolutionäre Sektor könnte enorme Möglichkeiten eröffnen, aber auch dem Ruf des Finanzplatzes schaden.
"Kryptowährungen: Alles, was man nicht über Geld versteht, kombiniert mit allem, was man nicht über Computer versteht." Die Beschreibung des britischen Komikers John Oliver trifft vermutlich für die meisten von uns zu. Bitcoin, Ethereum, Blockchain, Token, Wallet und so weiter: Neue Begriffe, die immer häufiger in den Medien auftauchen, aber für viele unverständlich bleiben.
Selbst unter Wirtschafts- und Finanzexperten scheint ein grosses Unverständnis zu herrschen, da völlig gegensätzliche Ansichten über Kryptowährungen geäussert werden. Für die einen sind sie das Zahlungsmittel der Zukunft, für die anderen eine bereits angekündigte Katastrophe.
Für den Investor und Milliardär Warren Buffet sind Bitcoins und andere virtuelle Währungen "Rattengift im Quadrat". Wer sie kaufe, könne nur hoffen, dass jemand anderes bereit sei, einen noch höheren Preis zu zahlen.
Gleicher Meinung ist Microsoft- Mitbegründer
Eine Blockchain-Nation
Diese Aussagen könnten einen kurzfristigen Einfluss auf die extrem volatilen Preise von Kryptowährungen haben. Doch sie beunruhigen die immer grössere Gruppe von "Miners" (die Bitcoins und andere digitale Währungen schürfen), IT-Spezialisten, Investoren und Spekulanten, die in diesem neuen Markt tätig sind, nicht.
Zudem nimmt die Zahl der Kryptowährungen fast von Tag zu Tag zu: Die Kurse von mehr als 1600 virtuellen Währungen mit einem Kapitalisierungswert von rund 340 Milliarden Franken sind gegenwärtig auf den führenden Online-Plattformen der Branche aufgelistet.
Auch wenn die Kryptowährungen misstrauisch beäugt werden und die meisten von ihnen eine ziemlich ungewisse Zukunft haben, werden grosse Erwartungen an die Blockchain gestellt -jene Computertechnologie, auf der die virtuellen Münzen basieren.
Diese Technologie, deren Bedeutung mit dem Aufkommen von Computern oder dem Internet verglichen wird, scheint in der Lage zu sein, den Finanzsektor zu revolutionieren: Transaktionen können dezentralisiert werden, Zwischenhändler fallen weg, die Betriebskosten können gesenkt werden, und sie öffnet den Weg für neue Anwendungen in einer Vielzahl von Wirtschaftszweigen.
Investitionen in Startups im Bereich Blockchain boomen: Laut der Datenbank Crunchbase haben sie bereits in den ersten fünf Monaten dieses Jahres das Niveau von 2017 übertroffen.
Die Schweiz bietet einen der fruchtbarsten Böden für das Wachstum solcher Startups: Innert weniger Jahre haben sich rund 400 Firmen besonders zwischen Zürich und Zug angesiedelt, aber auch in anderen Regionen des Landes. Und zwei Bundesräte, Finanzminister Ueli Maurer und Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, fördern diese Entwicklung.
"Die Schweiz muss eine Blockchain-Nation werden", sagte Schneider-Ammann kürzlich und korrigierte damit eine Aussage vom Jahr zuvor, als er von einer "Krypto-Nation Schweiz" gesprochen hatte.
Vorsichtige Banken
Während einige Politiker ihren Enthusiasmus nicht verbergen, hält sich der Bankensektor in diesem neuen Markt hingegen zurück. Bis heute hat sich keine Schweizer Bank bereit erklärt, für neue in Kryptowährungen und Blockchain tätige Unternehmen ein Girokonto zu eröffnen. Einige dieser Startups gingen deshalb zu liechtensteinischen Banken.
Blockchain sei eine "Technologie mit grosser Zukunft", die Abläufe im Bankenwesen vereinfachen, beschleunigen und sicherer machen könne, sagte Axel Weber, Verwaltungsratspräsident der Schweizer Grossbank UBS, im Mai an der Generalversammlung vor den Aktionären.
"Nicht alle Aspekte von Blockchain und digitalen Währungen sind allerdings erstrebenswert. Kritisch sehen wir zum Beispiel Krypto-Währungen wie Bitcoin & Co. Sie sind oft intransparent und können daher missbraucht werden. Im besten Fall sind sie hochspekulative Anlagevehikel, im schlechtesten Fall ermöglichen sie Terrorfinanzierung, Geldwäsche und andere kriminelle Machenschaften", so Weber.
Dieser Meinung ist auch die Schweizerische Bankiervereinigung (Swissbanking): "Die Blockchain-Technologie kann neue und vielversprechende Möglichkeiten für den Finanz- und Technologiestandort Schweiz schaffen", sagt Swissbanking-Sprecherin Michaela Reimann. "Die Banken haben ein Interesse an Geschäftsbeziehungen in diesem Wachstumsfeld. Aber aufgrund der Risiken wie Betrügereien oder Geldwäscherei sind sie aktuell zurückhaltend in der Eröffnung von Geschäftskonten für Firmen aus dem Blockchain- und Kryptowährungs-Umfeld."
Die Bankiervereinigung hat bereits eine interne Arbeitsgruppe geschaffen, um die Voraussetzungen für die Eröffnung von Konten und die Verwaltung von Geschäftsmodellen mit Unternehmen dieses Wachstumssektors festzulegen. Aber: "Die Integrität und Reputation des Finanzplatzes Schweiz ist und bleibt oberstes Ziel", sagt Reimann.
Einfacher zu verbergen
Diese Vorsicht sei verständlich, sagt Anwalt Paolo Bernasconi, nachdem sich der Finanzplatz Schweiz noch nicht vollständig vom internationalen Sturm auf das Bankgeheimnis erholt habe.
"Die internationale Gemeinschaft kämpft seit Jahrzehnten gegen Bargeld-Verbrechen. Jetzt steht sie einem neuen Ding gegenüber, das Bargeld ersetzt und noch einfacher zu verbergen ist. Es ist ein wenig wie beim 'Leiterlispiel': Wir sind auf das Feld 'Kryptowährungen' gelangt, von dem aus man wieder auf Feld Eins zurückgehen muss", sagt der Bankenfachmann und ehemalige Berater der Schweizer Regierung in internationalen Finanzfragen.
Während viele Länder über komplexe Regulierungen oder Teilverbote von Kryptowährungen nachdenken, gehe die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) die Sache pragmatisch an, so Bernasconi. "Die Finma hat vor einigen Monaten ein Manual für Finanzakteure herausgegeben, in dem sie erläutert, wie die aktuellen Regeln auch für den Kryptowährungs-Markt gelten. Sie nahm damit eine Vorreiterrolle in regulatorischer Hinsicht ein und trieb die Entwicklung dieses Sektors weiter voran."
Bedeutet das, dass die derzeitigen Gesetze ausreichend sind, auch diesen neuen Markt unter Kontrolle zu behalten? "Nein, das schweizerische Zivilrecht umfasst derzeit beispielsweise materielle Güter wie Autos oder Geld und immaterielle Güter wie das Urheberrecht. Mit Blockchain und Kryptowährungen taucht ein 'Rechtsvakuum' auf, weil diese auf Algorithmen basieren, was durch unser Gesetz noch nicht abgedeckt ist. Wahrscheinlich müssen wir Anpassungen vornehmen, wie dies bei der Schaffung des Internets der Fall war", sagt Bernasconi.
Weisspapier
Laut dem Experten betreffen die grössten Herausforderungen jedoch die Überwachung des neuen Sektors und die Organisation der öffentlichen Verwaltung. "Wie wird beispielsweise die Staatsanwaltschaft im Fall von Betrug in der Lage sein, Kryptowerte zu beschlagnahmen? Die gleiche Frage stellt sich für das Konkursamt im Fall des Konkurses eines Unternehmens mit Bitcoin-Vermögen", so Bernasconi.
Und er gibt weitere Beispiele von Herausforderungen: "Der Kanton Zug hat angekündigt, dass es möglich ist, Steuern in Kryptowährungen zu zahlen. Aber in welchen, wenn man bedenkt, dass es Hunderte gibt? Zudem werden öffentliche Ämter für den Anfang Krypto-Währungsportfolios einrichten müssen."
Die Einführung eines klaren rechtlichen und organisatorischen Rahmens wird auch von der Industrie unterstützt. Ende April übergab die Blockchain Taskforce – die aus rund fünfzig Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik besteht – Schneider-Ammann ein "Weisspapier" mit Empfehlungen für eine liberale und verantwortungsbewusste Regulierung der Blockchain-Branche. Die Autoren formulierten eine Reihe von Empfehlungen, um günstige Rahmenbedingungen zu schaffen und die der Entwicklung der Branche abträgliche Rechtsunsicherheit zu beseitigen.
Aber auch hier würden nicht alle Risiken ausgeschlossen, warnt Bernasconi. "In diesem heimtückischen und komplexen Markt können sich nur die mächtigsten Experten und Organisationen vor den enormen Verlustrisiken schützen. Die Euphorie, die sich vor allem bei kleinen und mittleren Anlegern breitmacht, birgt daher die Gefahr, dass einige reich und andere sehr arm werden." © swissinfo.ch
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