Seit 2015 ist der Tessiner Gian-Luca Lardi Zentralpräsident des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV). Im Gespräch mit swissinfo.ch spricht er über die Herausforderungen der Schweizer Baubranche, die Folgen der Digitalisierung und Lohndumping.
Die Schweizer Ökonomie ist stark globalisiert. Ist auch die Schweizer Baubranche ein globaler Player?
Gian-Luca Lardi: Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg waren Schweizer Baufirmen im Ausland sehr aktiv, auch mit eigenen Arbeitskräften. Aufgrund unserer hohen Löhne ist ein Schweizer Bauunternehmen heute im Ausland nicht mehr konkurrenzfähig, wenn Personal aus der Schweiz eingesetzt wird. Es gibt nur einige wenige Schweizer Unternehmen, die in Europa und darüber hinaus dank ihres spezifischen Know-hows Erfolg haben.
In welchen Bereichen können Baufirmen im Ausland konkurrenzfähig sein?
Dies funktioniert in sehr spezifischen Arbeitsbereichen, in denen die Schweiz über viel Erfahrung verfügt. Denken wir etwa an den Tunnelbau und unterirdische Arbeiten. Ein anderer Bereich sind aussergewöhnliche Bodenbeläge, das heisst, wenn es darum geht, unterschiedliche Materialien zu verarbeiten und in den Bauprozess einzubringen. Auch hier gibt es konkurrenzfähige Firmen.
Die Konkurrenzfähigkeit hängt heute auch davon ab, ob Unternehmen innovationsfähig sind und beim Digitalisierungsprozess mitmachen. Wie sieht es Ihrer Meinung nach in diesem Bereich aus?
Wir sind da keine Pioniere aber haben in den letzten Jahren doch grosse Fortschritte erzielt. Diese Fortschritte sind vielleicht nicht so ausgeprägt wie in anderen Branchen; dafür beziehen wir alle an einem Arbeitsprozess beteiligten Personen ein. Ich gebe aber zu bedenken, dass das Bauwesen vor allem ein lokaler und regionaler Markt ist. Damit ist der Sektor weniger dynamisch und innovativ als andere Branchen, die sich einem internationalen Wettbewerb stellen müssen.
Wo findet Digitalisierung im Bausektor konkret statt?
Um das Potenzial der Digitalisierung zu verstehen, muss man genau schauen, wie unserer Branche heute funktioniert und wie die Abläufe sind. Normalerweise gibt es einen Auftraggeber, der seine Ideen mit einem Architekten bespricht. Der Architekt macht einen Entwurf, und sobald der Entwurf steht, werden Baufirmen einbezogen, die ihrerseits mit Lieferanten von Baumaterial Kontakt aufnehmen. Das heisst: Die Zusammenarbeit erfolgt wie eine Kette zwischen untereinander mehr oder weniger abgeschotteten Branchen.
Die Digitalisierung gibt uns Möglichkeiten, den ganzen Prozess flüssiger zu gestalten und die Zusammenarbeit zu erleichtern. Im Bereich einer technischen Zusammenarbeit geht dies beispielsweise mit dem Building Information Modeling (BIM), einem System in fünf Dimensionen, das neben der räumlichen, dreidimensionalen Dimension eines Projekts auch Zeit und Baukosten berücksichtigt (siehe Kasten). Diese technische Plattform erleichtert den Informationsaustausch zwischen Auftraggeber, Architekten und Lieferanten enorm. Dank dieses Systems können viele Fehler vermieden werden und die Folgen gewisser Entscheidungen schneller erkannt werden.
Welche Folgen wird die Digitalisierung für die Bauarbeiter haben? Werden Maurer eines Tages durch Roboter ersetzt werden?
Die Folgen der Digitalisierung und insbesondere die Geschwindigkeit von Veränderungen werden häufig überschätzt. Ein Teil des Baugewerbes wird immer handwerklich bleiben. Die Idee, dass ein 3D-Drucker in einer Nacht ein Haus baut, ist eine utopische Idee. Mit Sicherheit werden künftig mehr Maschinen die manuellen Aktivitäten unterstützen. Dies kann automatisiert erfolgen oder mit Hilfe von Robotern. Man sollte aber auch die Kosten nicht vergessen. Ein Handwerker ist stets sehr flexibel und kreativ. Damit ist er gegenüber teuren Robotern auf alle Fälle konkurrenzfähig.
Fürchten sich die Schweizer Bauunternehmen vor der ausländischen Konkurrenz?
Unsere Unternehmen haben keine Angst vor der ausländischen Konkurrenz, insofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Dazu gehört vor allem, dass diese – wie die einheimischen Firmen – unsere Gesetze und Arbeitsverträge respektieren. Ich spreche dabei vor allem von den Arbeitsbedingungen, dem Lohnniveau, aber auch den Arbeitszeiten, den Zuschlägen, den Sicherheitsvorschriften. Unsere bestehenden Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt betreffen den unlauteren Wettbewerb, das heisst die Missachtung dieser Vorschriften. Diese zu kontrollieren, ist alles andere als einfach.
Tatsächlich werden im Baugewerbe immer wieder Fälle von Lohndumping bekannt.
Die überwiegende Mehrheit der Firmen arbeitet korrekt. Aber es gibt leider immer wieder schwarze Schafe. Viele Fälle von Lohndumping, die von den Medien aufgegriffen werden, finden sich im Baunebengewerbe (wie Malern oder Gipsern), ein Gewerbe, das durch kleine Firmen charakterisiert ist. Aber natürlich müssen wir auch im Bauhauptgewerbe auf der Hut sein. Darum plädiert unser Verband für ein Kontrollsystem, das effizient und auf der Höhe der Zeit ist sowie weniger bürokratisch vorgeht als das aktuelle System. Seit drei Jahren sind wir daran, ein Kontrollsystem zu entwickeln, das auf einer Datenbank aufbaut, die alle Unternehmungen und möglichst auch alle ihre Mitarbeitenden registriert, um besser und schneller prüfen zu können, ob Unternehmungen korrekt arbeiten.
Vor kurzem hat der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis davon gesprochen, gegenüber der EU einige Konzessionen bezüglich der flankierenden Massnahmen im Rahmen des Personenfreizügigkeits-Abkommens zu machen. Wie steht der SBV zu diesen Vorschlägen?
Niemand stellt die Notwendigkeit der Flankierenden in Frage. Bundesrat Cassis hat einzig vorgeschlagen, die Form dieser Massnahmen zu diskutieren. Ich denke, dass wir Mut haben sollten, die aktuellen Schutzinstrumente des Arbeitsmarkts zu hinterfragen, und allenfalls neue und modernere Methoden und Kontrollmechanismen zu finden, auch dank den Möglichkeiten der Digitalisierung. Es ist aber auch wichtig einzusehen, dass die Schweiz keine einsame Insel ist. Unsere Probleme sind die gleichen, die Deutschland mit Polen hat oder Österreich mit Tschechien oder der Slowakei.
Cassis sprach sehr konkret von der Möglichkeit, die Anmeldefrist für aus der EU entsandte Arbeiter abzuändern. Heute beträgt diese Frist 8 Tage. Könnten Sie sich digitale Lösungen vorstellen, welche die 8-Tage-Regel verkürzen, ohne Arbeitsmarkt-Schutzmassnahmen preiszugeben?
Mit einem digitalisierten System ist es durchaus denkbar, die Meldefristen zu reduzieren, ohne bei der Qualitätskontrolle Konzessionen machen zu müssen. Es ist eine technische Frage, und sollte nicht eine Frage der Ideologie oder von roten Linien sein. Meiner Meinung nach lassen sich mit Sicherheit politische Kompromisse finden, die den Schutz der Arbeitnehmenden sogar noch erhöhen.
Welche Folgen hat Lohndumping für die Baubranche?
Auch ein einziges schwarzes Schaf kann der ganzen Branche schaden. Wenn 95 Prozent der Unternehmen korrekt arbeiten und "nur" fünf Prozent inkorrekt, kann dies die Preisspirale nach unten drücken. Wenn es einem einzigen Unternehmen gelingt, dank Lohndumping die Preise um 20% zu drücken, wird dieser Preis bald zu einem Referenzwert für die ganze Branche. Mit den entsprechenden Folgen.
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