Stefanie Bremer verfügt mit 34 Jahren bereits über ein Vermögen von rund zehn Millionen Euro. Doch anstatt sich auf dem geerbten Eigentum auszuruhen, begreift sie es als Anlass zum Aktivismus – sie bittet den Staat darum, Vermögen und deren Eigentümer gerechter zu besteuern.
Welche Schwachstellen sie im Steuerrecht sieht, wieso Deutschland keine Milliardäre braucht und welcher falsch verbreitete Glaubenssatz in der Gesellschaft vorherrscht, erklärt Stefanie Bremer – deren echter Name hier nicht genannt, der Redaktion jedoch bekannt ist – im Interview.
Frau Bremer, Sie kommen aus einer Unternehmerfamilie im Bereich Maschinenbau und haben ein geschätztes Vermögen von 10 Millionen Euro. Wann wurde Ihnen klar, dass Sie vermögend sind?
Stefanie Bremer: Ich bin relativ normal aufgewachsen – in einem Einfamilienhaus mit Garten am Ende einer Sackgasse. Das ist zwar auch nicht für alle die Norm, aber wir hatten jetzt keine Hausangestellten oder Limousinen. Meine Eltern sind beide berufstätig gewesen. Ich war auf öffentlichen Schulen. Erst als ich ungefähr 16 Jahre alt war, haben meine Eltern angefangen, mich in unseren Vermögenshintergrund einzuführen und meine Fragen zu beantworten.
Was haben Sie sich damals für Fragen gestellt?
Mir wurde klar: Ich werde so viel Macht und Geld haben und damit lassen sich viele Probleme lösen. Wie entscheide ich da, welche Probleme ich löse? Und vor allem: Warum sollte ich das entscheiden? Bin ich da überhaupt die richtige Person?
Würde man Ihnen anmerken, dass Sie vermögend sind?
Ich denke, man würde es mir nur dann anmerken, wenn man mit in meine Wohnung käme oder meinen Alltag studiert. Ich kann mir selbstgewählte Arbeitszeiten leisten und besitze eine 130 Quadratmeter Wohnung. Aber ich trage keine Markenklamotten, fahre keine Limousine, habe keine Angestellten, keine Luxushandtaschen oder Ähnliches.
Bei "taxmenow" setzen Sie sich für ein gerechteres Steuersystem ein. Was muss sich in Deutschland aus Ihrer Sicht ändern?
Wir fordern die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Die gibt es in Deutschland bereits, sie ist nur seit 1996 ausgesetzt. Das ist vielen gar nicht bewusst. Ausserdem gibt es bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer sehr viele Ausnahmen, die teilweise auch als verfassungswidrig eingestuft wurden. Diese Ausnahmen müssen grösstenteils zurückgenommen werden, damit diese Steuer auch wirklich wieder progressiv greift. Also: Wer viel erbt, soll auch viel Steuern zahlen, denn momentan ist es tatsächlich umgekehrt. Je höher die Schenkung oder Erbschaft, desto geringer die Steuer.
Können Sie diese Ausnahmen einmal konkret machen?
Zum Beispiel bei der Vererbung von Wohnungen. Wenn man drei Wohnungen erbt, wird das regulär besteuert. Wenn man aber 300 Wohnungen erbt, dann ist eine Schwelle erreicht, bei der das Finanzamt sagt: Hier handelt es sich um ein Wohnungsunternehmen – und Betriebsvermögen ist weitgehend von der Steuer ausgenommen. Der mittlere Steuersatz über alle Erbschaften liegt bei etwa 15,3 Prozent. Bei Erbschaften ab 20 Millionen aufwärts, sinkt dieser Steuersatz dank all der Ausnahmen, die man in Anspruch nehmen kann, auf 1,4 Prozent.
Ein Gefühl von "Unfair", was sich da einstelle ...
Ja, das betrifft auch die Kapitalertragssteuer. Diese greift, wenn man Geld anlegt und die Gewinne einstreicht. Sie liegt pauschal bei 25 Prozent. Wenn aber Menschen arbeiten und Geld verdienen, zahlt man darauf progressiv Steuern bis zu 45 Prozent. Wenn Menschen arbeiten, kostet das immer mehr Steuern. Wenn man aber schon so viel Geld hat, dass man das Geld für sich arbeiten lassen kann, dann zahlt man darauf, egal wie hoch die Gewinne sind, immer 25 Prozent. Auch arbeitendes Geld sollte progressiv besteuert werden.
Wie reagiert Ihr Umfeld, wenn es erfährt, dass Sie freiwillig mehr Steuern zahlen wollen?
Durch die Bank positiv, der Grossteil meines Umfeldes würde von solchen Massnahmen profitieren. Bei vermögenden Menschen sind die Reaktionen etwas verhaltener. Da begegnet mir oft eine Abwehrhaltung. Wie "schmerzhaft" die Massnahmen für Superreiche wären, hängt ein bisschen davon ab, wie wir sie als Gemeinschaft ausgestalten. Aber im Grossen und Ganzen wird es den Lebensstil dieser Menschen nicht beeinflussen: Die haben so viel und sie konsumieren nie so viel, wie sie an Vermögenszuwachs generieren.
Haben Sie weitere Forderungen?
Ja, wir wünschen uns eine offene Diskussion darüber, ob eine einmalige Vermögensabgabe zur Tilgung der Corona-Schulden sinnvoll ist. Der Staat hat sich für uns alle verschuldet, um unsere Wirtschaft und unser Kulturleben und überhaupt unser Überleben zu sichern. Daran können wir uns dann auch gemäss unserer Leistungsfähigkeit beteiligen. Ausserdem fordern wir eine bessere Ausstattung der Finanzbehörden, damit diese wirklich unabhängig arbeiten können und auch innerhalb der Verjährungsfristen grosse Steuerdelikte bearbeiten und abschliessen können.
Aber liefe Deutschland nicht Gefahr, dass Superreiche oder Unternehmen das Land verlassen, wenn man es für sie ungemütlicher macht? Dass man also am Ende mehr verlieren würde, als man gewinnt?
Wenn Menschen aus Deutschland wegziehen, greift die Wegzugsbesteuerung. Das heisst, sie können nicht einfach alle ihre Anteile und ihre Vermögen ungehindert und unbesteuert mitnehmen. Ausserdem sollten langfristig möglichst viele Länder zusammenarbeiten, um gar nicht erst diese Steuerschlupflöcher andernorts entstehen zu lassen.
Was sollte mit dem Geld passieren, das durch all solche Massnahmen zusätzlich zur Verfügung stünde?
Dazu hat unsere Initiative keine Forderungen festgelegt, das muss in einem demokratischen Diskurs von möglichst vielen Menschen dieser Gesellschaft bestimmt werden. Wir bleiben klar auf der Einnahmenseite. Es geht uns darum aufzuzeigen, dass wir eine sehr grosse Vermögensungleichheit in Deutschland und weltweit haben. Die reichsten 10 Prozent Deutschlands besitzen und kontrollieren 67 Prozent des Vermögens. Diese muss reduziert werden. Es ist wissenschaftlich belegt, dass Vermögensungleichheit, je höher sie ist, schlecht für ein Land ist. Wir brauchen in Deutschland keine Milliardäre.
Für die Umsetzung muss noch einiges getan werden
Was glauben Sie denn, warum all diese Massnahmen bislang noch nicht umgesetzt wurden – wenn doch die Mehrheit der Gesellschaft davon profitieren würde?
Das liegt an sehr viel Lobbyarbeit und mangelnder Finanzbildung in der breiten Bevölkerung. Es ist ziemlich verbreitet in unserer Gesellschaft, dass wir uns selbst viel zu reich oder viel zu arm einschätzen. Reiche Menschen schätzen sich oft zu arm. Man denke nur an Friedrich Merz, der sich zur gehobenen Mittelklasse zählt. Und wir haben arme Menschen, die sich immer noch als gut situiert einschätzen, obwohl sie knapp vor der Armutsgrenze leben. Deswegen haben viele Menschen Sorge, dass sie mit unseren Forderungen gemeint sind – obwohl das überhaupt nicht der Fall ist.
Was erhoffen Sie sich von einer Gesellschaft, die Ihre Forderungen umsetzen würde?
Sie wäre auf dem Weg zu einer klimafreundlicheren Zukunft, wir dürften wieder einen stärkeren sozialen Zusammenhalt erwarten. Das Bildungs- und Gesundheitsniveau würde vermutlich ebenfalls steigen. Der Einfluss und die Kontrolle von Milliardären auf die Politik jenseits demokratischer Strukturen würden reduziert, womit wir die Demokratie selbst wieder stärken. Das alles sind derzeit negative Auswirkungen von Vermögensungleichheit auf die gesamte Gesellschaft, die abgebaut werden müssen. Wir kämen auch wieder näher an das grosse Dogma der Leistungsgesellschaft. Denn momentan ist es nicht so, dass Menschen, die fleissig arbeiten, auf jeden Fall zu Wohlstand und Vermögen kommen.
Wie meinen Sie das?
Im geltenden Erbschaftssteuergesetz ist es möglich, dass ein Kind von seinen Eltern bis zum 21. Lebensjahr 2,4 Millionen Euro steuerfrei geschenkt bekommt. Der oder die durchschnittliche Erwerbstätige und Sparer in Deutschland müsste etwa 670 Jahre arbeiten, um dieselbe Summe anzusparen und auf dem Konto zu haben.
Über die Gesprächspartnerin
- Stefanie Bremer (34) ist Millionenerbin vom Bodensee. Sie kommt aus einer schwäbischen Unternehmerfamilie und hat strategisches Nachhaltigkeitsmanagement studiert. Sie ist selbstständig als Nachhaltigkeitsberaterin tätig. Bei taxmenow ist sie als Aktivistin für Vermögensgerechtigkeit aktiv. Stefanie Bremer ist nicht ihr echter Name.
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