Ein Knatsch zwischen dem Schweizer Nahrungsmittel-Giganten Nestlé und dem "Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl" (RSPO) legt den Finger auf die wachsende Kluft in Fragen der Zertifizierung.

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Es gibt keine schlechte Werbung. Ausser, man ist ein multinationaler Konzern, dessen erkennbarstes Produkt auf sozialen Netzwerken gerade zum Objekt des Ekels gemacht wurde.

Genau das passierte Nestlé, als es 2010 durch die Umwelt-Organisation Greenpeace beschuldigt wurde, er fördere durch die Verwendung von nicht nachhaltigem Palmöl in seinen Produkten die Rodung von tropischen Wäldern.

Um die Botschaft unter die Leute zu bringen, produzierte Greenpeace ein blutrünstiges Video in der Art eines Werbeclips für den Nestlé-Schokoladeriegel "Kit Kat", wobei das Essen des Riegels mit dem Töten von Orang-Utans gleichgesetzt wurde.

Heute, acht Jahre später, verarbeitet Nestlé immer noch viel Palmöl. Laut dem Jahresbericht, der an den "Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl" (Roundtable on Sustainable Palm Oil, RSPO) geliefert wurde, bezog der Nahrungsmittelkonzern 2017 knapp 460.000 Tonnen davon. Das ist mehr als 15 Mal so viel, wie in die Schweiz importiert wird, wo Nestlé seinen Hauptsitz hat.

20 Prozent des von Nestlé bezogenen Palmöls werden durch den RSPO als nachhaltig zertifiziert. Der Runde Tisch ist eine Koalition aus Palmöl-Produzenten, -Verarbeitern oder -Händlern, Konsumgüter-Herstellern, Detailhändlern, Banken und Nichtregierungs-Organisationen.

Er hat zum Ziel, "globale Standards für nachhaltiges Palmöl zu entwickeln und umzusetzen". Von Nestlé als Mitglied des RSPO wird erwartet, schliesslich das gesamte Palmöl aus RSPO-zertifizierten Quellen zu beziehen.

Gegenläufige Strategien

Doch das ist nicht die Richtung, in die der Konzern gehen will, obwohl er sich verpflichtet hat, bis 2020 zu 100 Prozent verantwortungsvoll gewonnenes Palmöl zu verwenden. Weil Nestlé im Geschäftsbericht 2017 keinen Zeitplan für den Weg zu 100 Prozent verantwortungsvoll gewonnenem Palmöl aufführte, suspendierte der RSPO die Mitgliedschaft des Nahrungs-Multis im Juni 2018. Beim Streit ging es um zwei unterschiedliche Ansätze zur Beschaffung von nachhaltigem Palmöl.

Das Premium-Zertifizierungssystem des RSPO sieht eine komplette Trennung vor: Das nachhaltige Palmöl soll von herkömmlichem Öl getrennt bleiben – von der Plantage bis zum Endprodukt. Der Runde Tisch bietet aber auch die Möglichkeit einer tieferen Zertifizierung an, wo die Öle zwar gemischt, aber im korrekten Verhältnis verkauft werden.

Nestlé argumentierte, das RSPO-System sei ungenügend und "ist nicht dazu dienlich, die Transparenz und die Transformation der Industrie zu erreichen, die der Sektor so dringend benötigt". Um mehr Transparenz zu schaffen, vertraut der Schweizer Konzern vielmehr seiner eigenen Lieferkette, statt auf Palmöl mit dem RSPO-Gütesiegel zu setzen.

Der Nahrungsmittel-Multi behauptet, dank seiner eigenen Strategie der verantwortungsvollen Beschaffung sei es möglich geworden, 50 Prozent des eingekauften Palmöls zurück zur Plantage und sogar 92 Prozent zurück zu den Mühlen zu verfolgen. Ihre Standards gingen "über die gegenwärtigen Anforderungen der Prinzipien und Kriterien des RSPO hinaus", so Nestlé.

In anderen Worten glaubt Nestlé, selber besser nachhaltiges Palmöl bis zur Quelle zurückverfolgen zu können und will nicht wie vom RSPO verlangt in seinen Produkten ausschliesslich durch den Runden Tisch zertifiziertes Palmöl anbieten.

Firmen sollen keine eigenen Standards etablieren

Ist diese Abweichung der Grund für die harsche Reaktion des RSPO? Eine Pressesprecherin von Nestlé sagte gegenüber swissinfo.ch, als das Unternehmen erklärt habe, dass es nicht das Ziel sei, eine hundertprozentige Zertifizierung von Palmöl zu erreichen, sei es vom RSPO gebeten worden, den Aktionsplan für 2017 zu streichen und zu erklären, dass man keinen Aktionsplan habe. Deshalb wurde Nestlé schliesslich suspendiert.

In anderen Worten war der RSPO eher gewillt, Nestlé zu suspendieren, als eine offizielle Infragestellung seines standhaften Ansatzes bei der Zertifizierung zu akzeptieren.

Klar ist dabei, dass der RSPO nicht will, dass Firmen ihre eigenen Standards für Nachhaltigkeit etablieren. "Es besteht eine breite Akzeptanz, dass global vereinbarte Standards umgesetzt werden müssen, um das Wachstum und die Nachfrage nach nachhaltigem Palmöl zu stimulieren, eine Marktveränderung zu erreichen und nachhaltiges Palmöl zur Norm zu machen", sagte eine Pressesprecherin des RSPO gegenüber swissinfo.ch.

Trotz der RSPO-Position beginnen Unternehmen, über den RSPO hinaus nach nachhaltigen Palmöl-Anforderungen zu suchen. Der englisch-holländische Konzern Unilever, der fast dreimal so viel Palmöl wie Nestlé bezieht, hat sich ebenfalls andere Optionen angeschaut.

"Die Zertifizierung ist eine der Möglichkeiten, um zu helfen, die Produktion und den Handel von Palmöl zu transformieren, und der RSPO spielt dabei eine Schlüsselrolle. Wir wissen jedoch, dass eine Zertifizierung allein keine Lösung für alle sozialen und ökologischen Probleme des Sektors garantiert", heisst es auf der Website von Unilever.

Unilever versucht wie Nestlé auch, die Rückverfolgbarkeit des von verschiedenen Lieferanten bezogenen Palmöls zu gewährleisten. Der Konzern behauptet, derzeit 78 Prozent des Palmöls bis zur Mühle zurückverfolgen zu können und hat sogar 130 Millionen Euro in seine eigene Palmöl-Raffinerie in Nord-Sumatra investiert, um die Lieferkette besser kontrollieren zu können.

Keine Wunderwaffe

Warum umgehen Nestlé und Unilever den Runden Tisch? Das "Palm Trace"-System des RSPO garantiert nur die Umweltfreundlichkeit des Palmöls, nicht aber der Unternehmen, die es an die Verbraucher liefern. Das bedeutet, dass eine Fabrik in Indonesien Palmöl sowohl aus nachhaltigen Plantagen liefern könnte als auch aus solchen, die durch Entwaldung und Landraub entstanden sind.

So erging es der Eingeborenen-Gemeinschaft der Dayak Hibun in West Kalimantan auf dem indonesischen Teil der Insel Borneo. Die Gemeinschaft kämpft nun gegen die Firma PT Mitra Austral Sejahtera (PT MAS), eine Tochterfirma des malaysischen Konzerns Sime Darby, der behauptet, der weltgrösste Produzent von nachhaltigem Palmöl zu sein und RSPO-Mitglied ist.

Die Episode der Dayak Hibun zeigt die Schwächen des RSPO-Systems auf. In einer idealen Welt wäre Sime Darby durch den RSPO suspendiert worden, bis die Tochterfirma PT MAS den Konflikt mit der Eingeborenen-Gemeinschaft gelöst hat, und Nestlé würde während dieser Zeit kein Palmöl von Partei MAS beziehen.

Dysfunktionales System?

Doch der RSPO suspendierte Nestlé wegen Verfahrensverletzung (wie gewisse Dokumente nicht eingereicht wurden), während Sime Darby Mitglied bleibt, auch wenn der Konzern die RSPO-Leitsätze betreffend Landrechten verletzt hat. Zudem liefert Sime Darby weiterhin Palmöl an Nestlé.

Diese Art von Dysfunktion brachte selbst Umweltverbände wie Greenpeace dazu, ihr Misstrauen gegenüber dem RSPO-Ansatz zu äussern und grosse Unternehmen dazu aufzufordern, aus eigener Kraft zu handeln.

"Dass RSPO lediglich den Kunden eines in die Regenwaldzerstörung involvierten Unternehmens rügt, zeigt, dass RSPO das Problem nicht an der Wurzel packt. Auch Schweizer Firmen wie Migros und Coop sind beim RSPO Mitglied und haben es bis heute nicht geschafft, aus dem Minimalstandard RSPO ein robusteres Label zu machen, welchem die Konsumenten vertrauen können", schrieb Claudine Gubelmann-Largo, Waldexpertin bei Greenpeace Schweiz, auf der Website.

In der Zwischenzeit kündigte der RSPO am 16. Juli an, man habe mit Nestlé einen Kompromiss erreicht und die Mitgliedschaft wieder in Kraft gesetzt, trotz dessen Kritik am Zertifizierungs-Ansatz. "Der RSPO ist mehr als ein Zertifizierungssystem, er ist ein Verpflichtungssystem", sagte Geschäftsführer Darrel Webber in der Mitteilung zur Wiederinkraftsetzung der Nestlé-Mitgliedschaft.  © swissinfo.ch

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