Wurde der Volkswagen-Konzern einfach beim Betrügen erwischt – oder steckt etwas anderes hinter "Dieselgate"? Nicht nur im Internet wird wild spekuliert, auch bei "Günther Jauch". Automobilexperte Willi Diez beleuchtet die Theorien.

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Es gibt kaum ein weltbewegendes Ereignis, zu dem es nicht auch eine Verschwörungstheorie gibt. Die Mondlandung – in einem Fernsehstudio inszeniert. Elvis – lebt! Der 11. September – ein "Inside Job" der CIA. Auch beim VW-Skandal dauerte es nicht lange, bis die ersten Spekulationen die Runde machten. Und das nicht nur im Internet: Bei "Günther Jauch" deutete ARD-Börsenexpertin Anja Kohl vor Millionenpublikum eine Verschwörung an: "Wir sollten uns schon mal fragen, wer hat eigentlich ein Interesse daran, den Diesel und die Automobilindustrie potentiell zu schwächen?" Eine klare Antwort gab sie nicht, aber sie liess durchblicken, dass sie glaubt, die USA wolle dem starken Autobauer aus Deutschland eins auswischen.

Was ist dran an solchen Gerüchten? Der Leiter des Institutes für Automobilwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, Willi Diez, hat sich die gängigsten Verschwörungstheorien um den VW-Skandal mit uns gemeinsam angeschaut.

Ferdinand Piëchs Rache

Vor fünf Monaten eskalierte der lange schwelende Führungsstreit bei VW. Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch ging "auf Distanz" zu Martin Winterkorn, dem Vorstandsvorsitzenden. Das war eine klare Botschaft: Er oder ich. Das Aufsichtsratspräsidium sprach sich für Winterkorn aus, Piëch trat Ende April zurück. Hatte er beim Aufdecken der Abgas-Schummelei seine Finger im Spiel? Wollte er Winterkorn schaden? "Also ich kann mit dem Gerücht nichts anfangen", sagt Willi Diez. Der Automobilexperte meint, dass der Kurssturz der VW-Aktie nicht in Piëchs Sinne sein kann: "Die Familien Piëch und Porsche haben ein Vermögen durch den Einbruch der VW-Aktien verloren." Und zum Comeback des 78-Jährigen an der Konzernspitze ist es, anders als es einige Experten vermuteten, nicht gekommen. Zwar gilt der neue VW-Boss Matthias Müller als Liebling von Piëch – Winterkorn allerdings lange Zeit ebenfalls.

Der Piëch-Biograf Wolfgang Fürweger glaubt auch nicht daran, dass der Konzern-Patron von den Abgas-Manipulationen wusste. "Das hätte er nie gutgeheissen", sagte er dem "Focus". "Für ein Bauteil, das wenige hundert Euro kostet, hätte Piëch nie den Ruf von Volkswagen riskiert." Es könnte allerdings sein, sagte Fürweger weiter, dass Piëch wusste, das "etwas im Busch" sei. Die Rachethese hält er aber für falsch: "Dass eine US-Behörde für ihn tätig ist, so weit reicht seine Macht nicht."

Die USA wollen Diesel bekämpfen

Wer könnte ein Interesse haben, den Diesel zu schwächen, fragte ARD-Börsenexpertin Anja Kohl. "Die amerikanische Regierung jedenfalls nicht", sagt Willi Diez, der Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft. "Die GM-Tochter Opel stellt viele Diesel-Fahrzeuge her, Ford Europa ebenfalls. Beide Konzerne sind auch vom Diesel abhängig."

Der Cheflobbyist der deutschen Autoindustrie, Matthias Wissmann, sagte der FAZ, er halte nichts von den Verschwörungstheorien über einen "Wirtschaftskrieg" der USA. "Ich glaube an die Korrektheit von amerikanischen Behörden." Allerdings gebe es eine "Anti-Diesel-Lobby", angeführt von Nichtregierungsorganisationen. Wissmann meint damit vor allem Umweltorganisationen. Bei denen stehe Diesel "auf der Abschussliste", sagt Automobilexperte Diez. "Die arbeiten aber zum Teil mit veralteten Informationen. Früher waren krebserregende Stoffe drin, heute haben wir eher das Problem mit den Stickoxiden." Als gesundheitsgefährdend gelten auch sie, Stickoxide sollen für Atemwegserkrankungen verantwortlich und möglicherweise auch krebserregend sein. Wenn die "Anti-Diesel-Lobby" also ein Interesse hat, könnte das ein durchaus legitimes sein.

Die USA wollen ihre Marken schützen

Das Timing der Enthüllungen lädt tatsächlich zu Spekulationen ein. Am vergangenen Freitag sollte eigentlich der Vertrag von Martin Winterkorn verlängert werden. Am Tag der Enthüllungen selbst stellte der Konzern in den USA seinen neuen Passat vor - der neue Angriff VWs auf einen sehr schwierigen Markt verpuffte damit völlig. "Mr. Dax" Dirk Müller sprach bei n-tv davon, bei GM und Ford würden nun "die Champagnerkorken knallen". Für Automobilexperte Willi Diez ist nicht ganz klar, warum die USA ausgerechnet den Wolfsburger Autobauer angreifen sollten. "Vor VW müssen sie wenig Angst haben, die grössere Gefahr sind die Koreaner, die Japaner und vielleicht die Chinesen. VW muss seit Jahren auf dem US-Markt kämpfen und hat gerade erst 2011 eine Fabrik in Chattanooga aufgemacht."

Die USA wollen Deutschland schaden

Die "Wirtschaftskrieg"-These, der schon Cheflobbyist Matthias Wissmann nichts abgewinnen kann, hat auch für Professor Willi Diez keine Grundlage: "Das klingt doch sehr weit hergeholt. Die Amerikaner wollen doch gerade keinen Krieg, sondern TTIP." Warum aber sind dann bei VW so hohe Strafen von bis zu 18 Milliarden Dollar im Gespräch? GM musste für Probleme mit Zündschlössern, die für 174 Todesfälle verantwortlich waren, nur 900 Millionen Dollar zahlen. "Da müssen wir bei den Fakten bleiben", mahnt Automobilexperte Diez. "Noch hat VW keinen Dollar bezahlt. Die 18 Milliarden sind eine rechnerische Grösse. Ich glaube nicht, dass wir am Ende über diese Summe reden. Über einen hohen Betrag, ja, aber nicht in der Grössenordnung." Tatsächlich rollt zwar eine Klagewelle auf VW zu – wieviel der Skandal am Ende kosten wird, weiss aber noch niemand. Der Konzern hat allerdings vorsorglich 6,5 Milliarden Euro zurückgestellt. Letztlich, daran erinnert Willi Diez, hat VW einen schweren Fehler gemacht. "Natürlich schadet der Skandal VW und nutzt bestimmten Konzernen und Menschen. Aber zu sagen, das alles habe ein Superhirn in Kalifornien geplant, ist mir zu sehr Räuberpistole. VW ist auch selber schuld."

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