- EU will Tech-Giganten stärker regulieren
- Soziale Medien verbreiten Hass und Fake News
- Facebook, Amazon, Google und Co. drohen Strafen
20 Jahre ist es her, dass die EU umfassende Spielregeln für digitale Dienste und Online-Plattformen aufgestellt hat - nun soll der digitale Raum in der EU generalüberholt werden. Denn in den vergangenen zwei Jahrzehnten sind nicht nur Amazon, Facebook und Google zu riesigen Konzernen herangewachsen. Soziale Netze werden von Hassrede oder Fake-News-Kampagnen überschwemmt und Marktplätze von gefälschter Ware. Nun hat die EU-Kommission einen neuen Anlauf für fairere Bedingungen im Netz genommen. Es dürfte ein grosser Einschnitt werden für das Internet, wie wir es kennen.
Was hat die EU-Kommission vorgestellt?
Genau genommen sind es zwei Vorschläge: das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) und das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA). Weniger Einfluss für die ganz Grossen, mehr Chancen für die Kleinen und mehr Rechte für die Verbraucher - so stellt es sich die EU-Kommission zumindest vor. Mit diesem Ansatz will sie auch den digitalen Raum auf globaler Ebene gestalten. Das Paket ist auch deshalb so wichtig, weil die EU-Gesetzgebung der kommenden Jahre darauf aufbauen soll.
Warum sind die neuen Vorschläge aus Sicht der EU-Kommission nötig?
Bislang gilt in der EU online mitunter das Recht des Stärkeren. Damit soll Schluss sein. Die EU-Kommission bemüht sich zwar schon länger um einen konsequenteren Kurs gegenüber Facebook, Amazon, Google und Co. - setzt aber in vielen Punkten bislang auf Freiwilligkeit, etwa bei der Bekämpfung von Fake-News-Kampagnen in sozialen Netzen.
Zugleich verhängte die für Wettbewerb zuständige Vizepräsidentin Margrethe Vestager Milliardenstrafen etwa gegen Google und Amazon. Die Dänin warf den Unternehmen vor, ihre Marktmacht rechtswidrig genutzt zu haben. Das Problem: Derlei Strafen werden erst nach jahrelanger Untersuchung verhängt. Mögliche Konkurrenten existieren da vielleicht nicht mehr.
Für Digital-Start-ups in der EU ist es zudem schwierig, weil sie es je nach Thema oft mit etlichen Rechtslagen zu tun haben. Das macht es aufwendig und unattraktiv. Deutschland etwa ist zum Missfallen der EU-Kommission mit dem sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen Hasskriminalität vorgeprescht. Grosse Unternehmen mit den nötigen Ressourcen können mit einem derlei fragmentierten Markt besser umgehen.
Wie will die EU-Kommission nun gegen diese Probleme vorgehen?
Die Brüsseler Behörde will mehrere Hebel ansetzen. Vestager als oberste Digital-Politikerin der EU-Kommission und Binnenmarktkommissar Thierry Breton sind zusammen zuständig. Der DSA geht gesellschaftliche Fragen an. Er sieht vor, dass alle Online-Plattformen bestimmte Regeln beachten müssen - je grösser die Plattform, desto mehr Regeln. Unter anderem sollen Werbung und Empfehlungsalgorithmen transparenter werden, illegale Inhalte sollen nach Kenntnis zügig gelöscht werden und Marktplätze wie Amazon müssten ihre Anbieter künftig überprüfen, damit weniger gefälschte Ware im Netz landet. Forscher sollen zudem mehr Zugang zu Daten bekommen.
Der DMA richtet sich gegen sogenannte Gatekeeper - also besonders grosse Plattformen mit rund 45 Millionen Nutzern oder mehr. Solche Unternehmen müssten bestimmte Anforderungen erfüllen. Dazu zählt etwa, dass die Daten von Anbietern, die die eigene Plattform nutzen, nicht gegen eben diese Anbieter benutzt werden dürfen. Auch müssten Gatekeeper, in bestimmten Situationen die Interoperabilität mit den Diensten anderer - etwa kleinerer - Unternehmen sicherstellen. Sie dürften Nutzer zudem nicht daran hindern, vorinstallierte Apps von Geräten zu löschen. Wer als solcher Gatekeeper gilt, legt die EU-Kommission auf Grundlage bestimmter Kriterien fest.
Wie soll all das kontrolliert werden? Und welche Strafen drohen?
Es drohen Strafen, die bei den grossen Tech-Unternehmen in die Milliarden gehen können. Unter dem DSA sollen es bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes sein, unter dem DMA bis zu zehn Prozent. Als allerletzte Lösung erwägt die EU-Kommission auch die Zerschlagung eines Unternehmens. Die Höhe der Strafe hängt etwa von der Schwere und der Dauer des Regelverstosses ab.
Für die Regeln im DSA soll ein europäischer Ausschuss für digitale Dienste mit Koordinierungsstellen in jedem EU-Staat gegründet werden. Für die Durchsetzung der Regeln wäre dann das Land zuständig, in dem ein Unternehmen seinen Sitz hat - bei den grossen Firmen ist das meist Irland oder Luxemburg.
Was könnten die Vorschläge bedeuten?
Einfach wird es nicht, die Marktmacht der grossen US-Konzerne einzuhegen, die schon seit Monaten massiv für möglichst gefällige Vorschläge aus Brüssel lobbyieren. Und mit den bevorstehenden Verhandlungen der EU-Staaten und des Europaparlaments dürfte die Lobbyschlacht jetzt erst beginnen. Karan Bhatia von Google beklagte am Dienstag sogleich, die Vorschläge zielten offenbar "speziell auf eine Handvoll Unternehmen" ab. Man werde sich weiter für solche Regeln einsetzen, die Innovationen unterstützen, die zu mehr Verantwortung führten und die wirtschaftliche Erholung zum Nutzen der europäischen Verbraucher und Unternehmen förderten.
Dabei bemühte sich die EU-Kommission eifrig, ihre Vorschläge möglichst harmlos aussehen zu lassen: Breton betonte mehrfach, sie richteten sich gegen kein bestimmtes Unternehmen. Sollten die neuen Regeln die Fragmentierung des digitalen Binnenmarkts beenden und fairere Bedingungen schaffen, könnten sie tatsächlich für mehr Wettbewerb - und dadurch für mehr Innovation in Europa - sorgen.
Wie fallen die Reaktionen aus? Und wie geht es jetzt weiter?
Dass die EU-Kommission den Tech-Riesen zu Leibe rückt, wurde von Politikern und Verbraucherschützern weitgehend positiv aufgenommen. Bis DSA und DMA Wirklichkeit sind, wird es allerdings noch Jahre dauern. Erstmal stehen Verhandlungen unter den EU-Staaten und im Europaparlament an. Anschliessend müssen Parlament und Mitgliedsstaaten sich auf eine gemeinsame Linie einigen.
Die EU mache sich nun daran, "die Verfassung des Internets auf moderne Beine zu stellen", sagte der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner (FDP). Alexandra Geese (Grüne) sprach von "guten und richtigen Ansätzen". Doch sei "fraglich, ob sie das Grundproblem lösen: die enorm lukrative personalisierte Werbung, die auf dem Ausspähen von Menschen in allen Lebensbereichen beruht".
Tiemo Wölken (SPD) betonte, Europa bekomme nun "ein echtes digitales Grundgesetz". An einigen Stellen sei die EU-Kommission jedoch zu zaghaft. Andreas Schwab (CDU) sagte: "Ein fairer Wettbewerb bedeutet, dass neue Unternehmen in den Markt kommen können, und dass Verbrauchern eine Vielfalt im Angebot zur Verfügung steht. Beides werden wir mit dem Digital Markets Act sicherstellen." (mss/dpa)
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