Europäische Rüstungsaktien sind angesichts von Kriegen und Krisen förmlich explodiert. Lohnt sich jetzt noch ein Einstieg? Was dafür spricht und was dagegen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Adrian Arab sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die deutsche Wirtschaft zeichnet in diesen Tagen ein düsteres Bild. Schlechte Konjunkturzahlen, Krisenherde auf der ganzen Welt und die Aussicht auf eine langwierige Regierungsbildung in Deutschland – all das wirkt nicht gerade aphrodisierend auf Unternehmen und Investoren. Egal in welche Branche man blickt, fast überall blinken die wichtigsten Kennziffern auf dem Armaturenbrett der deutschen Wirtschaft rot.

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Ausgerechnet in einem Sektor, der lange Zeit als das Schmuddelkind der Industrie galt, ist es anders. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine profitiert die Rüstungsindustrie von einer Sonderkonjunktur, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hat. Der Krieg in der Ukraine, die Lage im Nahen Osten und die Tatsache, dass der amerikanische Präsident den militärischen Schutzschirm über Europa mindestens ein Stück weit weggezogen hat, lösen einen Geldregen auf Hersteller von Waffensystemen, U-Booten und Flugzeugen aus, der gerade der grösste Lichtblick für die deutsche Wirtschaft ist.

Milliardenpakete für die Rüstungsindustrie

Deutschland, einst eher zurückhaltend bei Rüstungsausgaben, stellte quasi über Nacht ein 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr ins Schaufenster, Länder wie Litauen oder Polen schrauben ihren Verteidigungsetat auf bis zu sechs Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts hoch und inzwischen wird über ein Paket in Höhe von 700 Milliarden Euro diskutiert, das in neue, moderne Fabriken und in die Forschung an Waffensystemen, Drohnen und Künstlicher Intelligenz fliessen soll. Von all diesen Investitionen profitiert die Rüstungsindustrie – ihre Auftragsbücher sind zum Bersten gefüllt.

Beispiel Rheinmetall: Der Düsseldorfer Hersteller von Waffen- und Munitionssystemen, etwa für den Kampfpanzer Leopard 2, hat seinen Umsatz von knapp sechs Milliarden Euro im Jahr vor dem Ukraine-Krieg auf rund zehn Milliarden Euro gesteigert. Für das Jahr 2026 prognostiziert man in Düsseldorf einen Umsatz von 14 Milliarden Euro. Hohe Wachstumswerte vermelden auch andere europäische Rüstungsaktien, etwa der britische Hersteller von U-Booten und Flugzeugen BAE Systems, der europäische Airbus-Konzern oder Thales aus Frankreich, die auf Radarsysteme und militärische Kommunikation spezialisiert sind.

Das freut auch die Investoren. Wer Ende 2021, wenige Wochen vor Kriegsbeginn, 100 Euro in die Rheinmetall-Aktie investiert hat, hat diesen Wert heute auf knapp 1.150 Euro mehr als verzehnfacht. Auch Werte der Zulieferindustrie, etwa der auf Antriebssysteme spezialisierte Renk-Konzern, das auf Datenanalyse spezialisierten US-Unternehmens Palantir oder das Münchner Triebwerksherstellers MTU, verzeichnen kräftige Kurssteigerungen.

Bei den Rüstungskonzernen, der nachgelagerten Industrie und all jenen, die ihr Geld in Rüstungsunternehmen investiert haben, herrscht Goldgräberstimmung.
Fragt sich, ob das für immer so bleibt. Die Börse hat jene, die sie für ein Perpetuum mobile hielten, schon oft brutal abgestraft. Selbst die beeindruckendste Hausse und der stärkste Aufschwung enden irgendwann in einer Baisse, dem unvermeidlichen Abschwung.

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Vieles spricht für einen weiteren Aufschwung bei Rüstungsunternehmen

Vieles spricht aber erstmal dafür, dass die Rüstungsindustrie weiter florieren wird, etwa das makroökonomische Umfeld. Wo man auch hinblickt in Europa: In fast allen Regierungszentralen wachsen jeden Tag die Zweifel, ob die USA im Ernstfall ihren Nato-Beistandsverpflichtungen nachkommen würden. Und selbst wenn, hat US-Präsident Donald Trump klargestellt, dass die Mitgliedsstaaten in Zukunft mindestens fünf Prozent ihres BIP in Verteidigung investieren müssten. Bislang sind es zwei – und selbst diesen Wert haben bis vor dem Krieg nur wenige Länder erfüllt.

Vor diesem Hintergrund hat die Unternehmensberatung EY berechnet, welche Investitionsverpflichtungen auf die EU-Staaten in den kommenden Jahren zukommen. 326 Milliarden Euro gaben die Mitgliedsstaaten 2024 nach Zahlen des Europäischen Rats für Verteidigung aus, ein Wert, der bis 2027 um mehr als 100 Milliarden Euro steigen dürfte. EY schätzt, dass der Wert in Wahrheit um einiges höher ausfällt, und bezieht sich dabei auf bereits ausgeschriebene Investitionsvorhaben. Demzufolge hätten die europäischen Staaten allein für die kommenden sechs Jahre Verpflichtungen von 72 Milliarden Euro pro Jahr ausgeschrieben – eine Summe, die in etwa dem Bruttoinlandsprodukt Kroatiens entspricht. Würden die Europäer ihre Verteidigungsausgaben auf drei Prozent des BIP erhöhen, so haben die Berater berechnet, wären zusätzliche 65 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich – und selbst dann läge der von Trump geforderte Wert von fünf Prozent noch in weiter Ferne.

Diese gewaltigen Investitionen treffen auf eine Industrie, die ohnehin schon an ihrer Kapazitätsgrenze arbeitet. Die Auftragsbücher der Rüstungsunternehmen sind bis zum Bersten gefüllt, viele Hersteller stossen an ihre Produktionslimits. Angesichts dieser Entwicklung gehen die Berater davon aus, dass die Aufwärtsbewegung in der Branche anhalten wird. "Auf Basis der fundamentalen Rahmenbedingungen ist von einer langfristigen Fortsetzung der überzeugenden Wertentwicklung von europäischen Rüstungskonzernen auszugehen", heisst es bei EY.

Ähnlich sieht es Andre Voinea, Head of European Sales bei der Investmentplattform hanetf. Auch er glaubt an einen intakten Aufwärtstrend bei europäischen Rüstungsaktien, weil Europa relativ zu den USA stärker in Verteidigung investieren müsse. "Wir erwarten, dass ein grosser Teil dieser Ausgaben bei lokalen europäischen Unternehmen ankommen wird", sagt Voinea im Interview mit unserer Redaktion. "Das dürfte sich positiv auf die Preise europäischer Rüstungsunternehmen auswirken."

Voinea empfiehlt zudem, einen genaueren Blick auf den Backlog europäischer Rüstungshersteller zu werfen – also die Zahl der eingegangenen, aber noch unbearbeiteten Aufträge. "Rheinmetall zum Beispiel meldet hier regelmässig neue Rekordwerte. Setzt man die aktuellen Unternehmensbewertungen des Sektors in Relation zu den Erträgen, so sind diese nicht überzogen, sondern liegen sogar leicht unter dem langjährigen Durchschnitt."

Pariser Thinktank glaubt nicht an dauerhafte politische Unterstützung

Doch es gibt auch skeptischere Stimmen. Die Sicherheitsexperten des Pariser Thinktanks Institut de Relations Internationales et Stratégiques (IRIS) etwa bezweifeln, dass Europas Verteidigungsanstrengungen auf dem aktuellen Niveau fortgesetzt werden können. Sie argumentieren, dass die derzeitigen Verteidigungsausgaben massgeblich durch den Ukraine-Krieg getrieben seien und, sollte es zu einem Waffenstillstand oder einer Verhandlungslösung kommen, der politische Druck zur Beibehaltung hoher Rüstungsausgaben nachlassen könne.

Zudem hinterfragen die Experten, ob hoch verschuldete Länder wie Italien, Spanien oder Griechenland ihre Verteidigungsbudgets dauerhaft aufstocken können – oder ob sie in Zukunft andere Ausgaben priorisieren werden. Als Beispiel nennt IRIS Polen, wo die Materialbeschaffung ähnlich wie in Deutschland über ein Sondervermögen finanziert wird, das ausserhalb des regulären Haushalts läuft. Unklar bleibt jedoch, wie die dafür aufgenommenen Schulden langfristig beglichen werden sollen – ein Modell, das auf Dauer kaum tragfähig erscheint.

Insgesamt, so die Einschätzung der Autoren, beruhen die optimistischen Prognosen für die Rüstungsindustrie vor allem auf politischen Zusagen. Ob diese jedoch langfristig Bestand haben, bleibt fraglich. Auch vor dem Hintergrund wechselnder Regierungen macht diese Einschätzung Sinn.
Eines steht aber jetzt schon fest: Einem Kanzler Friedrich Merz sehen die Rüstungskonzerne gelassen entgegen. Ihre Aktien sind am ersten Handelstag nach der Bundestagswahl kräftig gestiegen.

Über den Gesprächspartner

  • Andrea Voinea arbeitet als Head of Europe Sales beim britischen Fondsanbieter hanetf. Das Unternehmen verwaltet unter anderem den Rüstungsfonds HANetf Future of Defence UCITS ETF.

Verwendete Quellen