Die Stadt Sassnitz ist in den geopolitischen Kampf zwischen den USA und Russland um Nord Stream 2 geraten. Dass Russland sein Erdgas künftig direkt nach Deutschland liefern kann, sorgt in den USA für Wut beim Präsidenten. Der will sein Sanktionsgesetz nun auch in Deutschland anwenden. Bürgermeister Frank Kracht erklärt im Interview die Hintergründe.

Ein Interview

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Herr Kracht, Sie sind Bürgermeister von Sassnitz, einer 10.000-Einwohner-Stadt auf Rügen. Dass Sassnitz seit Kurzem im Fokus der Medien steht, hat weder etwas mit Corona noch mit seinem Status als bekannter touristischer Erholungsort zu tun. Womit dann?

Frank Kracht: Mit einem Brief des US-Senats aus Washington, der mich an einem Freitag Anfang August erreichte und mir rechtliche und wirtschaftliche Sanktionen androht. Als Bürgermeister bin ich Gesellschafter des Hafens von Mukran, der von der "Fährhafen Sassnitz GmbH" betrieben wird. Er gehört zu 90 Prozent der Stadt und zu zehn Prozent dem Land Mecklenburg-Vorpommern – und ist einer der Schauplätze des Nord-Stream-2-Projektes. Mukran war einer der Basishäfen für die Lagerung und Ummantelung der Stahlrohre.

Im Rahmen von Nord Stream 2 wird die mehr als 1.200 Kilometer lange Gas-Pipeline durch die Ostsee von Russland nach Deutschland erweitert. Die USA fürchten um eigene Absatzmärkte.

Der Präsident und einige Senatoren in den USA meinen nun, uns mit Sanktionen zu bedrohen, um die Fertigstellung der Pipeline zu verhindern. Der Brief ist der Geschäftsführung unserer Fährhafengesellschaft zugestellt worden, wir sind dann am nächsten Tag zusammengekommen, um zu beraten. In dem Brief soll uns ein rechtlicher Hinweis gegeben werden, dass uns Sanktionen drohen, wenn wir als "Fährhafen Sassnitz GmbH" weiterhin für das Nord-Stream-2-Projekt Leistungen erbringen oder in diesem Zusammenhang Verträge schliessen.

Können Sie sich vorstellen, um was für Sanktionen es sich genau handeln könnte?

Der Brief bezieht sich auf das sogenannte CAATSA-Gesetz, kurz für "Countering America’s Adversaries through Sanctions", welches im Kongress sowohl von Demokraten als auch Republikanern mit grosser Mehrheit beschlossen wurde. Unserer Gesellschaft, der Geschäftsführung, den Gesellschaftern und allen Mitarbeitern drohen demnach Einreiseverbote und das Einfrieren von Vermögen und Anlagegütern in den USA. Amerikanischen Firmen ist durch das Gesetz ausserdem verboten, mit uns Geschäfte zu machen.

Ende 2019 stellte die damalige Schweizer Baufirma Allseas die Verlegearbeiten nach Androhung von Sanktionen der US-Regierung ein. Aktuell soll das russische Verlegeschiff "Akademik Tscherski" im Hafen von Mukran festgemacht haben, welches die Rohre selbst verlegen könnte. Macht Ihnen der Brief keine Angst?

Der Brief ist ein Gipfel der Unverfrorenheit! Wir haben uns nach Erhalt weitere rechtliche Expertise eingeholt. Demnach sieht es so aus, als könnte ich als Hauptgesellschafter und die Geschäftsführung persönlich belangt werden. Das Gesetz ist aber nicht so tief greifend, dass einzelne Mitarbeiter Sanktionen ausgesetzt sind. Natürlich hat sich trotzdem Verunsicherung breit gemacht, der Brief ist unter den Mitarbeitern zum Gesprächsthema geworden. Wir haben deshalb am Montag eine Mitarbeiterversammlung mit einem Rechtsexperten durchgeführt, bei der auch Mecklenburg-Vorpommerns Energieminister Christian Pegel anwesend war. Dabei konnten wir Unsicherheiten ausräumen.

Welche Reaktionen gab es auf Bundes- und Landesebene?

Ich stehe von Anfang an in sehr engem Kontakt mit der Landesregierung, vor allem dem Energieministerium. Dortige Mitarbeiter sind auch Aufsichtsratsmitglieder unserer Gesellschaft. Unsere Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hat medial eine klare Antwort gegeben, worüber ich mich sehr gefreut habe. Sie hat gesagt, dass Mecklenburg-Vorpommern alles dafür tun wird, dass dieses Projekt zu einem guten Ende geführt wird und wir uns in diesem Land nicht hereinreden lassen, wie wir unsere Energiepolitik gestalten. Nun hoffe ich, dass auch von der Bundesregierung ähnlich klare Aussagen getroffen werden.

Wie stehen Sie selbst zum Pipeline-Projekt?

Erdgas spielt in der europäischen und deutschen Energiepolitik eine wesentliche Rolle als Zwischenschritt auf dem Weg zur Versorgung mit erneuerbaren Energien. Die Regierung hat sich für einen Atom- und Kohleausstieg entschieden. Wenn wir das ganze Land mit Energie versorgen wollen, brauchen wir Erdgas als Übergangslösung. Ich stehe dem Projekt deshalb von Anfang an sehr positiv gegenüber. In der Zukunft wird Wasserstoff eine immer grössere Rolle spielen - Wissenschaftler haben bereits die Möglichkeit ins Spiel gebracht, in Zukunft Wasserstoff über diese Leitungen zu transportieren.

Sassnitz hat eine Städtepartnerschaft mit Port Washington in Wisconsin. Wird es schwierig, sie aufrechtzuerhalten?

Aus meiner Sicht als Bürgermeister: nein. Ich habe 2017 die Städtepartnerschaftsurkunde in den USA unterzeichnet und wir haben gemeinsame Ziele vor allem in den Bereichen Naturschutz und Jugendarbeit vereinbart. Ich habe das Ziel, auf kultureller und historischer Ebene um Völkerverständigung zu ringen, nie aus den Augen verloren. Durch Corona ist uns leider der Besuch von amerikanischen Jugendlichen aus Port Washington im August verwehrt geblieben, nichtsdestotrotz streben wir das weiterhin an. Ich sehe keine Schwierigkeiten – habe aber seit ich den Brief in den Händen halte, auch nicht wieder mit unserer Partnerstadt telefoniert.

Werden Sie auf den Brief reagieren?

Nein.

Über den Interview-Partner: Frank Kracht ist seit Ende Dezember 2015 Bürgermeister der Stadt Sassnitz. Zuvor war er als privater Arbeitsvermittler selbstständig. Für die Linkspartei ist er ausserdem Mitglied im Kreistag Vorpommern-Rügen.
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