Corippo, ein Juwel im Tessiner Verzascatal, zählt nur 14 Einwohner. Bald soll es dort eine "verstreute Herberge" geben.
Corippo im Tessiner Verzascatal ist die kleinste Gemeinde der Schweiz: Sie zählt gerade mal 14 Einwohner. Zugleich ist sie ein Juwel ruraler Architektur.
Doch wie lässt sich vermeiden, dass aus dem schmucken Örtchen ein Freiluftmuseum oder ein Geisterdorf wird?
Die Stiftung Corippo 1975 hat ein Projekt entwickelt, das den Ort zu einer "verstreuten Herberge" macht. Im Frühjahr 2018 sollten die ersten Zimmer dieses aussergewöhnlichen Hotels bezugsbereit sein.
Das Verzascatal befindet sich nahe Locarno im Kanton Tessin. Vor kurzem geriet es in die Schlagzeilen, nachdem der italienische Videoblogger Marco Capedri ein Filmchen über den klaren und smaragdgrünen Fluss ins Internet gestellt und den bekannten Ausflugsort mit seiner Bogenbrücke bei Lavertezzo als "Malediven von Mailand" bezeichnet hatte.
Nur eine Stunde sei dieser Ort von der lombardischen Metropole entfernt. Das Video ging viral, wurde millionenfach aufgerufen. Und die Folgen liessen nicht auf sich warten: Ein Strom von italienischen Touristen ergoss sich in das enge Tal.
Etwas talabwärts von Lavertezzo befindet sich ein weiteres Juwel. Es handelt sich um Corippo, die kleinste Gemeinde der Schweiz. Gerade mal 16 Einwohner sind hier gemeldet, wobei effektiv nur 14 dort wohnen, da zwei Bewohner aus Gesundheits- oder Altersgründen vorübergehend den Ort verlassen mussten. Im Sommer kommen allerdings einige Gäste hinzu, die dort Ferienhäuser bewohnen.
Ein Juwel der Landschaftsarchitektur
Das Haufendorf liegt an einem Westhang oberhalb des Verzasca Stausees. "Die typischen Häuser mit ihren Steindächern sind seit Beginn des 20. Jahrhunderts praktisch unverändert geblieben und von einer weitgehend intakten Landschaft umgeben", sagt der Architekt Fabio Giacomazzi, Präsident der Stiftung Corippo 1975.
Bereits vor 800 Jahren gab es an dieser Stelle erste Ansiedelungen. 1822 wurde Corippo zu einer unabhängigen Gemeinde. Die Zahl der Einwohner wuchs bis auf 300 Personen. Doch in Folge der Emigration im 19. und 20. Jahrhundert schrumpfte die Gemeinde auf ein Viertel.
Europäisches Kulturgut
Im Jahr 1975 war die Land- und Viehwirtschaft praktisch ausgestorben. Der Bund und der Kanton Tessin verpflichteten sich, den Dorfkern wiederzubeleben.
Im Rahmen des Europäischen Jahres für Denkmalpflege und Heimatschutz wurde Corippo als beispielhaft ausgezeichnet. Die Stiftung Corippo 1975 wurde gegründet.
Die neue Wiederbelebungsstrategie für den historischen Ort fusst auf dem Projekt eines so genannten "verstreuten Hotels". Dahinter steckt die Idee, Hotelzimmer in verschiedenen Gebäuden des Ortes zu verwirklichen. Die örtliche Osteria soll in dieser, über das ganze Dorf verstreuten Herberge als Reception dienen, aber auch als zentraler Anlaufpunkt und gemeinsamer Speisesaal. Die Plätze vor dem Gemeindehaus und der Kirche werden zu Treffpunkten unter freiem Himmel.
"Nicht nur Hotel"
Das Gesamtprojekt, das von Gastrosuisse mit dem "Hotel Innovation Award2017" ausgezeichnet wurde, geht weit über das Hotel hinaus.
Es gibt auch soziökonomische und landwirtschaftliche Ziele, um dem alten Dorf neues Leben einzuhauchen. So sollen die alte Mühle, der öffentliche Backofen und die Trockenkammer für Kastanien instandgesetzt werden.
Der Anbau von Roggen und Hanf, die Nutzung der Kastanienbäume, die Aufzucht von Ziegen sollen zur Wiederbelebung der Landschaft beitragen. Es soll ein Nischentourismus aufgebaut werden, der einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Ressourcen und dem Umweltschutz Rechnung trägt.
Investitionen nötig
Um das Gesamtprojekt zu verwirklichen, sind rund sechs Millionen Franken nötig. Fünf Millionen braucht es für das eigentliche Hotel, 240'000 Franken für die Mühle, 900'000 für die Landschaftspflege.
Es handelt sich um öffentliche und private Gelder. Die Mittel sind noch längst nicht alle zusammen, doch die Stiftung hofft auf einen Promotionseffekt dank des Innovation Award.
"Seit wir diesen Preis gewonnen haben, kontaktieren uns Leute, die ein Zimmer reservieren möchten. Nur gibt es dieses Hotel noch gar nicht", sagt Giacomazzi.
Sollte das "Albergo diffuso" wirklich realisiert werden, wäre es das erste Projekt seiner Art in der Schweiz. In Italien gibt es bereits rund hundert solche Hotels und eine nationale Vereinigung, die das Label vergibt.
Wie Giancarlo Dall’Ara, Präsident der Internationalen Vereinigung "Albergo diffuso" erklärt, geht es bei dieser Art von Tourismus nicht in erster Linie um die klassischen Feriengäste, die für zwei Nächte eine Unterkunft im Tal suchen: "Es geht auch um Personen, die einmal für einen Monat in einer vollkommen anderen Umgebung und eingebettet in den jeweiligen Ort und deren Einwohner leben wollen."
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