Ja oder Nein? Wie die Hellenen am Sonntag stimmen werden, ist noch völlig offen – auch wenn sich erste Tendenzen abzeichnen. Doch egal in welche Richtung die Entscheidung fällt, sie wird schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen.

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Der Tag der Entscheidung rückt näher: Am Sonntag sollen die Griechen über einen Vorschlag abstimmen, der gar nicht mehr gültig ist. Das Papier, das die Geldgeber – also EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds – am vergangenen Donnerstag vorgelegt haben, ist Makulatur. Trotzdem wird der Ausgang des Referendums richtungsweisend. Und zwar für die Frage, wie Griechenlands Zukunft aussieht. Diese Szenarien gibt es:

Szenario 1 – Nein zum Angebot der Geldgeber

Es ist das Ergebnis, auf das Tsipras hofft: Er wünscht sich, dass die Griechen das Programm der Institutionen ablehnen. Doch ein solches Ergebnis würde die Situation nur noch verschärfen. "Tsipras geht davon aus, dass er dann einen besseren Deal aushandeln kann", weil er durch die Rückendeckung des Volkes ein stärkeres Mandat habe, erklärte Dimitris Papadimitriou, Professor für Politik an der Universität von Manchester. Der gebürtige Athener geht aber davon aus, dass der Syriza-Chef sich in diesem Punkt irrt: "Wenn die Griechen mit Nein stimmen, werden die Europäer am nächsten Tag den Stecker ziehen."

Damit ginge Hellas definitiv in die Pleite. Die Einführung einer Parallelwährung für die Übergangszeit und später der Einführung einer neuen Währung hält Papadimitriou in diesem Fall für unvermeidlich – der Grexit würde zur Wirklichkeit. Der Politikexperte glaubt allerdings, dass die Abstimmung knapp ausgehen wird. "Meine Vermutung ist, dass die Nein-Stimmen knapp die Mehrheit verfehlen – aber ich würde nicht darauf wetten."

Auch Matthias Kullas vom Centrum für Europäische Politik (cep) in Freiburg hofft auf ein anderes Ergebnis. Er glaubt allerdings, dass die Geldgeber auch im Falle eines Nein bereit wären, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte unlängst, dass sie sich dem "nicht verschliessen" werde, wenn Griechenland um neue Gespräche bittet. Allerdings dürfte der Vorschlag der Geldgeber kaum anders aussehen, als das, was man vor dem Abbruch der Verhandlungen vergangene Woche vorgelegt hatte, vermutet Kullas: "Die Institutionen würden den gleichen Vorschlag wieder auf den Tisch legen, den die griechische Regierung nicht annehmen kann."

Damit geriete Ministerpräsident Alexis Tsipras in eine Zwangslage: Die Bevölkerung lehnt das Sparprogramm ab, gleichzeitig will der 40-jährige Syriza-Chef über ein neues Programm verhandeln. Kullas kann sich vorstellen, dass diese Pattsituation zu einem neuen Referendum führen könnte: Diesmal mit der Frage, ob die Griechen in der EU bleiben wollen oder nicht. Denn auch, wenn die Bevölkerung gegen den Vorschlag der Geldgeber gestimmt haben sollte, "würde der Druck, dass sich etwas ändert, immer höher."

"Bei einem Nein sehe ich keine Möglichkeit, wie die Regierung im Amt bleiben und gleichzeitig ein neues Programm mit den Geldgebern abschliessen kann", lautet Kullas' Schlussfolgerung. Ohne eine Einigung auf ein neues Programm wäre ein Rücktritt der Regierung über kurz oder lang nicht zu vermeiden. Eine Übergangsregierung – entweder in Form einer Regierung der nationalen Einheit, oder durch ein Kabinett aus Technokraten – müsste einspringen, bis Neuwahlen einberufen werden können.

Damit Hellas nicht doch pleite geht, müsste die EZB ihre Notkredite also weiter fliessen lassen. Mit dem sogenannten ELA-Mechanismus hat sie seit Wochen die griechischen Banken flüssig gehalten. Nach den abgebrochenen Verhandlungen wurden die Kredite aber auf eine Obergrenze von 90 Milliarden Euro eingefroren. "So lange es kein neues Programm oder zumindest die Aussicht darauf gibt, wird die EZB das Limit nicht so stark anheben, dass die Bargeldversorgung wieder reibungslos verläuft", glaubt Kullas. Die eingerichteten Kapitalkontrollen müssten also aufrechterhalten werden – dabei sollten die seit Montag geschlossenen Banken eigentlich am kommenden Dienstag wieder öffnen. "Die Kapitalkontrollen werden aufrechterhalten, egal, wie das Referendum ausgeht", vermutet Kullas.

Szenario 2 – ein Ja für das Sparprogramm

Derzeit scheint sich eine dünne Mehrheit für ein Ja zum Vorschlag der Geldgeber abzuzeichnen. In diesem Fall ist sich der griechische Professor Papadimitriou sicher, dass die Geldgeber schnell ein neues Rettungsprogramm aufstellen würden – "mit welcher Regierung auch immer". Denn eines scheint sicher: "Wenn die Menschen mit Ja stimmen, müsste die Regierung zurücktreten." Der Experte geht davon aus, dass man in diesem Fall eine Übergangsregierung aus Technokraten bilden würde, wie dies schon einmal der Fall war. Käme der Vorschlag dann zur Abstimmung im griechischen Parlament, würde sich die Syriza-Fraktion wohl enthalten, vermutet Papadimitriou. "Sie würden auf jeden Fall nicht dagegen stimmen, da das Volk sich im Referendum dann ja klar dafür ausgesprochen hätte", erklärt er.

Der deutsche Politikwissenschaftler Kullas hält die Situation für komplizierter – auch wenn das Volk für Ja stimmt. Zum einen, weil Tsipras nicht ausdrücklich seinen Rücktritt angekündigt, sondern lediglich metaphorisch nach einem griechischen Sprichwort davon sprach, er sei "kein Premier für jedes Wetter". Doch mit einem Ja bliebe dem Syriza-Chef kaum etwas anderes übrig: Denn mit dem Hintergrund, dass er um ein Nein geworben hat, kann er kaum ein neues Programm aushandeln. "Die Kapitalgeber würden der Regierung nicht mehr trauen", ist sich Kullas sicher.

Doch auch eine Übergangsregierung hätte es nach seiner Auffassung schwer. Eine Regierung aus Technokraten wäre demokratisch nicht legitimiert – könnte also nur schwer Verhandlungen führen. Zudem hätten die Geldgeber keine Sicherheit, dass die Nachfolgerregierung das ausgehandelte Programm akzeptieren würde. Die EZB müsste ihre Notkredite in diesem Fall zumindest so weit anheben, dass die Griechen weiter einen Minimalbetrag pro Tag abheben können – unter der Auflage von Kapitalkontrollen. Nur so könnten sich zumindest die Banken über Wasser halten, zumindest für kurze Zeit. Lange auf sich warten lassen dürfte die Neuwahl allerdings nicht: Denn noch in diesem Monat stehen neue Rückzahlungsforderungen ins Haus – die Griechenland nicht bezahlen kann. Die Ende Juni fällige Rat an den IWF wurde nicht überwiesen, der Eurorettungsfonds hat an diesem Freitag offiziell den Zahlungsausfall Griechenlands festgestellt.

Damit eine Einigung möglich wird, müsste Syriza zudem bei den Neuwahlen ihre Mehrheit verlieren. Derzeit erfreut sich Tsipras aber immer noch grosser Beliebtheit.

"Es gibt keinen einfachen Weg mehr in dieser Situation", stellt Kullas fest. "Der Karren steckt im Dreck – und zwar sehr tief."

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