Die Lage in Griechenland ist ernst. Am Donnerstag muss Athen dem IWF rund 450 Millionen Euro zurückzahlen. Bisher kommt Griechenland seinen Forderungen nach. Die Frage ist allerdings: Wie lange noch?

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Griechenland steht kurz vor dem Staatsbankrott. Innenminister Nikos Voutzis hatte zuletzt wenig optimistisch über die Zahlungsfähigkeit seines Landes gesprochen. Trotzdem versicherte Finanzminister Gianis Varoufakis nun, dass Athen allen Forderungen nachkommen werde: "Die Regierung erfüllt immer alle Verpflichtungen gegenüber ihren Gläubigern und hat vor, dies auch weiter zu tun." Schon an diesem Donnerstag wird er auf die Probe gestellt: Dann müssen 450 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IFW) zurückgezahlt werden. Dabei steht dem mit mehr als 320 Milliarden Euro verschuldeten Land schon jetzt das Wasser bis zum Hals.

Finanznot wird grösser

Bislang hat sich Athen mittels kurzfristiger Staatsanleihen, sogenannten T-Bills, mit frischem Geld eindecken können – zum Preis horrender Zinsen – und damit die dringendsten Forderungen der internationalen Geldgeber beglichen. Doch das von der Europäischen Zentralbank (EZB) gesetzte Limit von 15 Milliarden Euro hat Athen längst erreicht. Von dort fliessen jetzt nur noch Notkredite an die griechischen Banken, die das Frankfurter Geldinstitut unlängst auf 60 Milliarden Euro aufgestockt hat. Auf dem Kapitalmarkt kommt Griechenland längst nicht mehr an Kredite – zumal die Ratingagenturen das Land inzwischen auf Ramschniveau herabgestuft haben. Hellenische Beamte und Lehrer im Staatsdienst warten bereits vergeblich auf ihre Gehälter. Und die Finanznot wird von Tag zu Tag grösser.

Insgesamt kommen Schätzungen zufolge allein in diesem Jahr Forderungen von 17 Milliarden Euro auf Athen zu. Sollte die Regierung ihre Schulden nicht mehr begleichen können, droht die Staatspleite – deren Folgen nicht ohne Auswirkungen für Europa blieben: Die Kapitalflucht der Hellenen, die schon jetzt weit über 20 Milliarden Euro ins Ausland geschafft haben, nähme damit noch weiter zu. Die Banken müssten schliessen, Athen wäre gezwungen, die Drachme wieder einzuführen. Damit würde sie aus Vertragsgründen (eine Rückkehr zur nationalen Währung ist für EU-Mitglieder nicht vorgesehen) aber nicht nur die Eurogruppe, sondern auch die Europäische Union verlassen müssen. Die Drachme würde so stark abgewertet, dass sie die Griechen in noch grössere Armut stürzen würde. Importe würden noch teurer, das Land geriete in Versorgungsschwierigkeiten. Neben der Finanzkrise, die damit noch nicht abgewendet wäre, drohte dem Land damit auch noch eine humanitäre Krise und soziale Unruhen.

Bislang sind 240 Milliarden Euro an Hilfsgeldern nach Griechenland geflossen. Die letzte Tranche des zweiten Hilfspakets, dessen Verlängerung Ende Februar in Brüssel beschlossen worden war, steht indes weiter aus. Denn dort hat man Athen deutlich gemacht: Geld wird erst wieder fliessen, wenn die Links-Rechts-Regierung unter Alexis Tsipras konkrete Reformen umsetzt. Bisher ist es bei ihrer Ankündigung geblieben, zudem forderten die Finanzexperten der Europäischen Union erhebliche Nachbesserungen. Erst dann könne der noch ausstehende Betrag von 7,2 Milliarden Euro der Geldgeber (EU-Kommission, EZB und IWF) fliessen.

Alles ein Tropfen auf den heissen Stein

Angesichts der akuten Finanznot des Landes wäre aber auch die schnelle Auszahlung dieses Betrags kaum mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein: Experten schätzen, dass Athen für die dringendsten Zahlungen mindestens 20 bis 30 Milliarden Euro bräuchte. Am Osterwochenende ist Varoufakis zu Gesprächen mit IWF-Chefin Christine Lagarde gereist, um über die ausstehenden Zahlungen zu sprechen. Doch die Französin blieb hart. Zahlungserleichterungen für Athen wird es von dem Geldinstitut aus Washington wohl nicht geben.

Wohlwissend, dass seine Bitten um Ad-hoc-Gelder in Brüssel derzeit auf taube Ohren stossen, zog Regierungschef Tsipras kurzfristig seine Reise nach Moskau, die für den den 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs im Mai geplant war, auf Mittwoch vor. Bereits vorab sprach er von griechisch-russischen Beziehungen, die einen neuen "Frühling" erleben würden. Und zog sich damit den neuerlichen Ärger seiner europäischen Geldgeber zu.

"Wir erwarten, dass alle Mitgliedstaaten mit einer Stimme zu unseren Handelspartnern sprechen, inklusive Russland", sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Der Chef der Christdemokraten im Europäischen Parlament, Manfred Weber, sprach von "einer riskanten Strategie, wenn Tsipras in der angespannten Situation sein Heil in einer Annäherung an das autokratische System" suche.

Ihre Befürchtung: Tsipras könnte in Moskau um eine Ausnahme für Griechenland bitten, was das Einfuhrverbot europäischer Waren nach Russland betrifft. Der Kreml hatte es in Reaktion auf die Sanktionen im Zuge der Ukrainekrise erlassen. Hellas belieferte die Russische Föderation bislang vor allem mit Agrarprodukten wie Pfirsichen oder Erdbeeren. Allerdings machten diese Exporte nur etwa 1,5 Prozent der gesamten Lieferungen ins Ausland aus. In Athen spricht man dennoch von Verlusten im dreistelligen Millionenbereich. Wichtiger aber wären niedrigere Energiepreise für Griechenland: Tatsächlich zahlt Athen im europäischen Vergleich einen deutlich höheren Preis für die Lieferungen von Gazprom, von der es 60 Prozent seines Gasbedarfs bezieht. Es gilt als wahrscheinlich, dass Tsipras bei Putin bessere Konditionen für sein Land aushandeln will.

Kann Russland Griechenland helfen?

Konkrete finanzielle Hilfe aber hat Kremlchef Wladimir Putin zumindest offiziell noch nicht angeboten. Ohnehin halten es Finanzexperten für fraglich, ob Russland unter dem Druck der anhaltenden Sanktionen und der Wirtschaftskrise dazu überhaupt in der Lage sei. Falls doch, gilt es als möglich, dass Tsipras für Hilfen aus Moskau im Gegenzug dessen Projekt der Pipeline Turkish Stream (durch das Schwarze Meer über die Türkei bis nach Griechenland) anbieten könnte – nachdem Russland der Union die Zusammenarbeit am Projekt South Stream aufgekündigt hatte.

Zusätzlich erhofft sich die griechische Regierung einen saftigen Geldfluss aus Deutschland: Gerade erst haben die Athener Behörden die möglichen Reparationsforderungen, die sich aus einem Zwangskredit der Nazis an griechische Geldinstitute sowie Entschädigungszahlungen an die Opfer ergeben, auf 269 bis 332 Milliarden Euro beziffert. In Berlin weist man diese Forderungen mit Hinblick auf den Zwei-Plus-Vier-Vertrag zur Wiedervereinigung Deutschlands, der festlegt, dass Reparationsforderungen abgegolten seien, zurück. Doch selbst wenn es auf einen Rechtsstreit zwischen beiden Staaten hinausläuft, müsste Athen wohl noch Jahre auf mögliche Nachzahlungen warten.

Dabei könnte schon dieser Monat zum Schicksalsmonat für Griechenland werden: Am 24. April soll die Eurogruppe in Brüssel regulär wieder zusammentreffen. Bis dahin muss Athen seine Reformliste ausgearbeitet und präzisiert haben, will es an kurzfristige Hilfen kommen. Andernfalls bleibt auch dieser Brunnen für die Hellenen trocken. Der Staatsbankrott wäre dann kaum noch abwendbar.

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