Die Alpwirtschaft hat sich immer wieder gewandelt und angepasst. Agronom Felix Herzog sieht für diese eher schwierige Branche sehr wohl eine Zukunft.

Ein Interview
von Gaby Ochsenbein

Alpen und Kühe gehören zur Schweiz wie das Meer zu Italien und der Eiffelturm zu Paris. Die Alpwirtschaft hat eine jahrhundertealte Tradition, hat sich immer wieder gewandelt und den aktuellen Zuständen angepasst.

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Agronom Felix Herzog sieht für diese eher schwierige Branche sehr wohl eine Zukunft. Vor allem, weil die Bauern an der Alptradition festhalten, aber auch wegen der breiten Unterstützung aus der Bevölkerung und der Politik.

Wie wichtig ist die Alpwirtschaft für die Landwirtschaft generell?

Felix Herzog: Für die Berglandwirtschaft ist sie noch immer sehr wichtig. Immerhin sind ein Drittel der landwirtschaftlich genutzten Flächen Alpweiden.

Wir haben etwa eine Million Hektar so genannt landwirtschaftliche Nutzfläche (Talgebiet und Bergzonen) plus rund eine halbe Million Hektar alpwirtschaftliche Fläche. Finanziell hat sie allerdings weniger Gewicht, weil sie von geringer Produktivität ist. Der Futterzuwachs ist viel bescheidener als im Tal.

Wieso übersommern die Bauern mit ihren Tieren auf der Alp, wo das Leben karg und die Arbeit hart ist?

Die wichtigsten Argumente der Bauern sind nach wie vor das Futter auf den Alpweiden, das ihnen erlaubt, grössere Herden zu halten, als wenn sie die Weiden nicht nutzen würden. Ein weiterer produktionsorientierter Faktor ist der Einfluss auf die Gesundheit der Tiere.

Allerdings ist es nicht überall einfach, geeignetes Alppersonal zu finden…

Dieses Problem ist nicht neu. Es war schon immer schwierig, Leute für diesen harten Job zu finden. Es gibt Alpen, die mit angestelltem Personal arbeiten und jedes Jahr wieder ein neues Team einarbeiten müssen, was sehr anstrengend ist für die Alpverantwortlichen. Und auch die Qualität der Arbeit leidet natürlich darunter.

Es ist unter anderem schwierig, Leute für die Arbeit auf der Alp zu finden, weil es ein saisonaler Job ist. Man hat für drei Monate eine Beschäftigung, aber die anderen neun muss man ja auch arbeiten.

Es gibt Leute – aus dem In- und Ausland - die können sich gut so organisieren und machen das gerne.

Was braucht es zur Überwindung des Personalengpasses?

Ein wichtiger Faktor ist eine minimale Infrastruktur, natürlich nicht Ferienhaus-Standard, aber wenigstens warmes Wasser und ein beheizbarer Raum.

Auch die Anerkennung durch die Alpverantwortlichen ist ein wichtiger Punkt, denn man möchte für die harte Arbeit und grosse Verantwortung auch Wertschätzung erfahren.

Ein weiterer Faktor ist natürlich der Lohn, der nicht gerade fürstlich, aber für gewisse Arbeitskräfte aus dem Ausland attraktiv ist.

Die Zahl der Tiere auf der Alp und die Fläche der bewirtschafteten Weiden sind rückläufig. Wieso?

Es gibt einen leichten Rückgang der gesömmerten Tiere. Ein Grund ist, dass es immer weniger Berglandwirtschafts-Betriebe gibt.

In einem Dorf, wo es früher 10 bis 15 kleinere Betriebe gab, gibt es heute zwei grössere. Das heisst, es fehlt auch die Arbeitskraft, um die Weiden zu pflegen, denn ohne Handarbeit kommt man dabei nicht aus.

Und wenn weniger Arbeitskräfte vorhanden sind, dann ist es nachvollziehbar, dass zuerst einmal die produktiveren Felder und Weiden im Tal gut bewirtschaftet werden.

Wenn noch Zeit bleibt, kommen auch noch die marginalen Regionen auf den Alpen zum Zug. Abgelegene und schwer erreichbare Alpweiden werden eher aufgegeben.

Ist der Trend hin zu Hochleistungskühen mitverantwortlich dafür, dass immer weniger Tiere den Sommer auf der Alp verbringen?

Ja, denn diese Kühe sind nicht berggängig, und das Futter hat nicht die Qualität, die sie brauchen. Es wäre Tierquälerei, sie würden Hunger leiden. Es gibt von allen grossen Rassen diese Hochleistungstiere. Diese geben so um die 10'000 Liter Milch pro Jahr, während die alpgängigen Mischnutzungsrassen rund 5.000-6.000 Liter geben.

Machen Fusionen bei den Alpbetrieben Sinn?

Dieser Prozess ist schon lange im Gang. Dieser Strukturwandel findet ja auch in der Landwirtschaft im Tal statt: Einzelne Betriebe geben auf, die restlichen können wachsen.

Im Berggebiet und auf den Alpen gibt es aber natürliche Grenzen von der Topografie her. Wenn ein Berg zwischen zwei Alpen liegt, kann man diese nicht zusammenlegen, sie müssen getrennt bewirtschaftet werden. Zudem halten die Leute gerne an der Tradition fest, was ein Hindernis für Alpzusammenlegungen sein kann.

Wenn Alpweiden nicht mehr bewirtschaftet werden, führt dies zu Vergandung der Weiden. Gibt es regionale Unterschiede?

Im Tessin und auch im Graubünden ist das schon länger passiert, dass Alpen aufgegeben werden und verganden. Betroffen sind vor allem die Süd- und Südosttäler, aber teilweise auch das Wallis.

Weniger betroffen sind die Nordalpen, gar nicht betroffen ist der Jura. Die Juraalpen sind tiefer und flacher und können intensiver genutzt werden.

Regionale Unterschiede gibt es auch bei den Besitzverhältnissen: Im Graubünden sind es oft Genossenschaftsalpen, in der Ost- und Zentralschweiz häufig Privatalpen, aber es gibt alles: Gemeinsames Herden hüten, aber einzeln melken. Alphütte in Privatbesitz, Weide in Genossenschaftsbesitz.

Dann haben wir grosse Alp-Kooperationen in der Innerschweiz mit jahrhundertealter Tradition oder dann klassische Familienalpen, wo alles privat ist.

Wie wirkt sich die Vergandung auf die Biodiversität aus?

Ein recht grosser Anteil der wildlebenden Arten, die auf landwirtschaftliche Nutzung angewiesen sind, kommen im Berggebiet vor, und ein grosser Teil geschützter Inventarflächen, wie Moore, Trockenwiesen und Weiden, befinden sich im Sömmerungsgebiet.

Und die Arten dieser Lebensräume verschwinden dann und die nachfolgende Vegetation bietet anderen Arten einen Lebensraum. Diese sind in der Regel aber keine seltenen Arten.

Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Alpwirtschaft?

Alle, mit denen wir geredet haben, machten die Erfahrung, dass die Alpsaison eine Woche früher startet, der Futterzuwachs grösser ist, die Vegetation sich schneller entwickelt, was sich positiv auf die Produktion auswirkt. Aber auch unerwünschte Sträucher und Bäume wachsen schneller, was weniger günstig ist.

Es ist schwierig, den Klimawandel von anderen Ursachen zu trennen – wie etwa Futterbauberatung oder die allgemein bessere Bewirtschaftung der Alpweiden. Mit anderen Worten: In den letzten 30 Jahren hat sich sowohl das Klima wie auch die Bewirtschaftung geändert.

Klimamodelle sagen voraus, dass wir in Zukunft mehr und längere Trockenperioden haben werden im Sommer, und zwar in der ganzen Schweiz. Dann wird das Futter weniger gut wachsen. Davon werden aber die Alpweiden weniger betroffen sein als das Talgebiet, denn das Gelände ist vielseitig, und es gibt eher lokale Niederschläge und beschattete Hänge, auf denen dann doch Futter wächst. So könnten die Alpen in Zukunft aus Sicht der Produktion sogar wieder wichtiger werden.

Wo besteht von Seiten der Politik Handlungsbedarf zur Unterstützung der Alpwirtschaft?

Die Politik macht sehr viel, um die Alpwirtschaft zu stützen. So hat der Bund die Sömmerungsbeiträge für den Zeitraum 2014 – 2017 erhöht, und neu gibt es auch Zahlungen für Flächen mit hoher Biodiversität.

Allerdings wird schon wieder über eine Kürzung von Kurzzeitalpen diskutiert. Klar ist, dass der Anreiz zur Bewirtschaftung der Alpen abnimmt, wenn die Beiträge gekürzt werden.

Alpprodukte haben einen guten Ruf, sind aber teuer. Wie kommt das bei den Konsumenten an?

Wir haben festgestellt, dass die Zahlungsbereitschaft bei den Konsumenten sehr hoch ist für Alpprodukte: Sie haben ein tolles Image, man geht davon aus, dass diese Tiere nur Gras fressen, dass der Käse von Hand hergestellt wurde und nicht industriell.

Welche Bedeutung hat die Alpwirtschaft für den Schweizer Tourismus?

Der Tourismus profitiert von den gepflegten Weiden, der Landschaftspflege durch die Älpler und den Kühen auf der Weide. Und die Älpler profitieren sicher ihrerseits, wenn sie den Käse auf der Alp verkaufen können. Eine klassische Win-win-Situation also.  © swissinfo.ch

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