Eigentlich wollte David Ruetz Diplomat werden. Als Leiter der weltgrössten Tourismusmesse, der ITB Berlin, ist der Schweizer diesem Ziel recht nah gekommen: 186 Nationen haben sich zur 51. ITB im März angemeldet. Darunter auch die Schweiz mit ihren ganz eigenen Herausforderungen.

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Noch liegt das Messegelände im tiefen Westen der Stadt unwirtlich und zugig im Berliner Wintergrau. Bald werden hier in den Hallen Tourismusvertreter aus aller Welt die Schönheiten ihrer jeweiligen Heimat anpreisen. Wie "eine spannende Weltreise" sei ein Tag auf der ITBexterner Link für die Besucher, sagt Ruetz. Für das Fachpublikum bedeuten Messen jedoch harte Arbeit: An den Ständen schliessen Reiseveranstalter Verträge ab, buchen Hotelkontingente sowie Flugkapazitäten und informieren sich über neue Regionen, die es für ihre Kunden zu entdecken gilt.

Allein der Auftritt der Türkei in Berlin erstreckt sich in diesem Jahr über die Grösse von fast zwei Fussballfeldern. Das Land setzt alles daran, die aufgrund von Terroranschlägen ausbleibenden Urlauber wieder zurückzugewinnen. Auch nordafrikanische Länder wie Ägypten und Tunesien verzeichnen schmerzliche Einbrüche in den Gästezahlen. "Die Welt hat sich verändert. Absolute Sicherheit kann heute kein Land mehr garantieren", sagt David Ruetz. In Berlin werden die Experten daher auch darüber diskutieren, wie man das Sicherheitsgefühl der Urlauber vor Ort erhöhen kann. Für viele Länder geht es dabei um das Überleben ihres bedeutendsten Wirtschaftszweigs.

Als Bellboy im Grand Hotel

David Ruetz ist an der Spitze der ITB auch für die perfekte Planung und den reibungslosen Ablauf der Messe verantwortlich. Dazu gehört, dass er im Vorfeld viele Wochen des Jahres durch die Welt reist, um Kontakte zu knüpfen und neue Märkte und Trends aufzuspüren. Die Messe ist quasi ein politikfreier Raum, hier stehen die Stände demokratischer Länder Seite an Seite mit jenen repressiver Regime. Selbst Nordkorea hat in der Vergangenheit auf der ITB schon um Besucher geworben.

Die Bedürfnisse der 186 Nationen auf dem Messegelände zu koordinieren, erfordert von David Ruetz unter diesen Vorzeichen diplomatisches Fingerspitzengefühl und Kommunikationstalent. Dabei war seine Karriere im Tourismus keinesfalls vorgezeichnet und noch weniger geplant. Zwar jobbte er als 16-Jähriger im Grand Hotel Victoria Jungfrau Interlaken als Bellboy, doch dann zog es ihn nach Berlin, wo er Geisteswissenschaften und Musik studierte. Nach einigen Jahren in der Unternehmenskommunikation und im Eventmanagement stiess er 2001 zum grossen Team der ITB. Bereits 2004 übernahm er dessen Leitung.

"Ich war ganz am Anfang für das Protokoll zuständig und habe dem Bundespräsidenten den roten Teppich ausgerollt", erinnert er sich. Zu dem Zeitpunkt lebte er bereits seit zwölf Jahren in Berlin und blieb. "Wegen der Liebe zu einer Frau und der Liebe zu der Stadt." Vier Kinder hat das Ehepaar mittlerweile, gemeinsam reist die Familie mindestens einmal im Jahr in die Schweiz. Dort ist ein Wohnmobil stationiert, mit dem sie dann das Land erkundet.

Schweizer Hotels haben Nachholbedarf

Der ITB-Chef legt auch auf privaten Reisen den Expertenblick nicht ab. "Ich kann in kein Hotel gehen, ohne es innerlich zu bewerten." Er kennt die Herausforderungen, die sich seiner Heimat im harten Wettbewerb um Gäste stellen, natürlich genau. Hohe Preise und schneearme Winter haben allein die Übernachtungen deutscher Touristen in der Schweiz zwischen 2007 und 2016 um stattliche 40 Prozent zurückgehen lassen. In ähnlicher Grössenordnung sank auch das Interesse der Niederländer und Japaner. Hat die Schweiz überhaupt noch eine Chance im harten internationalen Tourismusmarkt?

Die Rahmenbedingungen für die Branche sind ohne Frage schwierig: "Den starken Franken und den Klimawandel kann sie ja nicht beeinflussen", sagt Ruetz. Mehr Spielraum habe die Schweizer Tourismusbranche allerdings in der Gestaltung ihres Angebots und Erscheinungsbildes. Auf den Reisen in seine Heimat stellt der ITB-Chef immer wieder fest, dass die Hotels zwischen Basel und dem Tessin zwar qualitativ hochwertig ausgestattet seien, jedoch auch der Zeit hinterherhinkten. Wo anderorts in Europa moderne, individuell konzipierte Design- und Boutique-Hotels um Gäste werben, herrscht in der Schweiz häufig der Charme der Vergangenheit. "Tip top gepflegt, aber seit 1970 der gleiche Teppich und die gleichen Bäder", sagt Ruetz. "Da muss sich die Investitionsbereitschaft erhöhen." In Zeiten von Reise-Apps und Bewertungsportalen sprechen sich Mängel und unerfüllte Erwartungen zudem schnell herum. Und auch wer eine typische Swissness suche, finde diese in der Hotellerie selten, da Servicekräfte häufig aus dem Ausland stammten.

Geborgenheit statt Prunk

Zugleich sei die Zeit goldener Wasserhähne vorbei – und hier bieten sich der Schweiz durchaus Chancen. Der Luxusreisende suche heute Authentizität und Behaglichkeit, nicht mehr Prunk und Protz oder kühle Sachlichkeit, sagt Ruetz. Luxus bedeute heute Zeit, Ruhe und Abgeschiedenheit, das Gefühl von Geborgenheit in kleinen persönlichen Häusern mit nachhaltigen Konzepten. Die Schweiz ist ein sicheres Reiseland und im Herzen Europas gut erreichbar. Das sind weitere Pluspunkte in unsicheren politischen Zeiten, in denen die Nachfrage nach sogenannten bodengebunden Reisen – also ohne Flugzeug – steigt.

Doch eine goldene Regel für den Erfolg gibt es auch im Tourismus nicht: Chinesische Gäste lieben nach wie vor den Komfort grosser traditioneller Luxus-Hotels. "Sofern sie nicht ohne zu übernachten per Bus die Schweiz erkunden", sagt Reutz. Viele der 5-Sterne-Herbergen würden derzeit weltweit von chinesischen Investoren aufgekauft, die auf die wachsende Reisefreudigkeit der Asiaten setzen. Ruetz bezweifelt jedoch, dass chinesische Besucher die Einbrüche im Schweizer Tourismus ausgleichen können. "Dafür bleiben sie nicht lange genug im Land."

Für den Messemanager, der schon zahlreiche Länder bereist hat, ist der Besuch seiner Heimat immer wieder etwas ganz Besonderes: "Nirgends schmecken Rivella und Ovomaltine so gut wie in der Schweiz." Im letzten Jahr zog es ihn auch in das Grand Hotel Victoria zurück, in dem seine Affinität zum Tourismus begann. "Das ist immer noch wunderschön, aber heute sind entschieden mehr Chinesen da als vor 30 Jahren", sagt er mit einem Lachen.  © swissinfo.ch

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