Für tierische Produkte gibt es immer mehr Alternativen wie etwa Hafermilch, Sojaschnitzel oder Käse aus Kokosöl. Ein flüssiges veganes Ei, das aus Eigelb, Eiklar und Eierschale besteht, steht noch nicht im Supermarktregal. "Wir setzen bei unserer pflanzlichen Alternative auf natürliche Zutaten wie Süsskartoffel, Ackerbohne und Schwefelsalz", sagt Verónica García-Arteaga im Interview mit unserer Redaktion. Die Ernährungswissenschaftlerin will mit ihrem Start-up von Berlin aus den Eier-Markt revolutionieren.
Frau Arteaga, wozu brauchen wir ein veganes Ei?
Verónica García-Arteaga: Ich habe früher sehr viele Eier gegessen, um als Vegetarierin daraus meine Proteine zu erhalten. Das war nicht nachhaltig, weil die meisten Hühner unter schlechten Bedingungen in Massentierhaltung leiden. Deshalb habe ich nach einer Alternative Ausschau gehalten und schnell festgestellt, dass das Hühnerei ein echt schwer zu ersetzender Allrounder ist: Man kann es als Frühstücksei essen und damit kochen und backen.
Also haben Sie sich einen pflanzlichen Ersatz überlegt?
Ich habe Lebensmittelingenieurwesen und Ernährungswissenschaften studiert und fing beim Fraunhofer-Institut an zu arbeiten. Mit dem Aufkommen veganer Ersatzprodukte wurden Alternativen für Fleisch, Milch und Käse entwickelt – aber nicht fürs Ei. Das wollte ich ändern und habe in einem Projekt angefangen, wo wir im Labor an Ei-Ersatz geforscht haben.
Verónica García-Arteaga: "Das Eiweiss war die grösste Herausforderung"
Wie ging es dann weiter?
Mit der Idee im Kopf habe ich 2019 ein Jahr lang die Zutaten gesucht. Das Eiweiss war die grösste Herausforderung, speziell, wenn man es zum Kochen oder Backen nimmt – von transparent zu weiss, von flüssig zu fest. Beim Eigelb war es einfacher. Zwei Jahre später habe ich den Prototyp einem Industriepartner, dem Fraunhofer-Institut und einigen Investoren gezeigt. Sie waren überrascht, wie gut man damit Spiegel-, Rührei oder eine Quiche machen konnte – und wollten es mit mir auf den Markt bringen. Deshalb musste ich meine Promotion schnell fertig schreiben (lacht). Im September 2021 habe ich dann mit einigen Industriepartnern unser Start-up Neggst gegründet. Zurzeit sind wir insgesamt elf Leute im Team.
Beim Hühnerei besteht das Eiklar zu 87 Prozent aus Wasser, dazu kommen Eiweiss und ein kleiner Anteil Kohlenhydrate. Das Eigelb enthält Wasser, Eiweiss und ein Drittel Fett. Woraus besteht Ihr pflanzliches Ei?
Viele Menschen essen Hühnereier wegen des hohen Proteingehalts. Deswegen sollte die vegane Alternative viele pflanzliche Proteine enthalten. Wir setzen auf natürliche Zutaten wie Süsskartoffel, Ackerbohne und Schwefelsalz. Auf Cholesterin, Soja oder Konservierungsstoffe wird verzichtet. Omega-3-reiches Rapsöl dient als Fett-Bestandteil. Hinzugefügt werden lediglich Nährstoffe, wie zum Beispiel Vitamin B12, die auch in Hühnereiern enthalten sind.
Bei der Nachahmung eines Hühnereis ist es schwierig, die beiden Aggregatzustände flüssig und fest unter einen Hut zu bekommen, der rohe sowie der gekochte Zustand. Bei den anderen Ersatzprodukten gab es bisher nur die feste oder flüssige Form. Aber nicht beides. Es war schon eine Herausforderung, das zu vereinen.
Wie haben Sie das geschafft?
Etwa mit Hydrokolloiden. Die wasserbindenden Zusätze können Gele bilden, Speisen andicken oder Flüssigkeiten verbinden, also emulgieren. Einer ist zum Beispiel Agar-Agar, ein Bestandteil von Algen, der für das Gelb im pflanzlichen Dotter sorgt. Carrageen sorgt beispielsweise für den Zusammenhalt der Zutaten.
"Bei unserer Herstellungsmethode ist die Temperatur extrem wichtig"
Ein Huhn wird gefüttert und legt Eier. Wie sehen die Schritte bis zum fertigen Veggie-Ei aus?
Bei unserer Herstellungsmethode ist die Temperatur extrem wichtig. Je nachdem ist das Ei fester oder flüssiger. Das Verfahren haben wir uns patentieren lassen, deswegen kann ich nicht näher darauf eingehen. Denn nicht nur die Mischung der Zutaten ist wichtig, sondern auch die verschiedenen Parameter bei der Produktion. Zurzeit läuft das noch alles im Labor. Wir haben aber auch schon Pläne, um bald unsere Ersatz-Eier mit grossen Maschinen automatisch herzustellen.
Die Produktion von Fleischersatzprodukten stieg 2021 um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr an. Gab es neben der persönlichen auch eine finanzielle Motivation für Ihr grünes Ei?
Der Markt für Hühnereier ist riesig. Jährlich essen die Deutschen 170 pro Kopf. Ich komme aus Mexiko – dort liegt der Verbrauch bei 400 Eiern. Der Anteil von Ei-Ersatzprodukten liegt dagegen hier bei nur 0,1 Prozent. Erst seit einigen Jahren gibt es etwas Bewegung in dem Bereich.
Vier ehemalige Lidl-Manager haben zum Beispiel im vergangenen Jahr mit der Marke The VGN gestartet, mit der sie eine flüssige Vollei-Alternative auf Ackerbohnenbasis zum Backen und Kochen in den Handel bringen wollen. Das Hamburger Start-up Plant B hat zudem ein Flüssigei aus Lupinen entwickelt – was macht Ihr Ei besser?
Wir haben unterschiedliche Produkte unserer Mitbewerber probiert. Bei nahezu allen hat das pflanzliche Ei sehr lange gebraucht, bis es durch Kochen fest wurde. Die Konsumenten zu Hause oder der Koch im Restaurant will aber nicht so lange warten. Unser Ei ist dagegen beinahe so schnell fertig, wie ein Hühnerei. Und es hat eine bessere Konsistenz, schmeckt besser.
"Wichtiger ist uns, dass die Menschen eine Ei-Alternative zum Frühstück haben"
Kann Ihr Ei das Hühnerei eins zu eins ersetzen?
Fast. Für Meringues wird es aufgrund der sehr schaumigen, luftigen Konsistenz schwierig. Oder bei Kuchen, der mit Eischnee aus dem Eiklar gebacken wird. Wichtiger ist uns, dass die Menschen eine Ei-Alternative zum Frühstück haben.
Man kann also bald am Frühstückstisch ein Veggie-Ei löffeln?
Den Prototyp für die Schale haben wir bereits entwickelt: Er besteht aus Calciumcarbonat und einem fermentierten Biopolymer. Das Problem ist gerade noch, dass es keine Maschine gibt, die das im grossen Massstab produziert. Zurzeit basteln wir auch an einer Maschine für das Eigelb, das wir bisher auch nur im Labor mit Löffel und Hand hergestellt haben. Auch überlegen wir, ob die Eier zum Konsumenten direkt geliefert werden, statt sie im Supermarkt günstiger anzubieten.
Ab wann kann man Ihre Produkte kaufen?
Noch in diesem Jahr wollen wir eine vegane Vollei-Variante in der 250 Gramm Flasche anbieten. Dies eignet sich vor allem für Rührei, Backen und Kochen. Der dreiwöchige Test über Ostern ergab positives Feedback. Im Sommer wollen wir das Produkt auf den Markt bringen. Das vegetarische Sterne-Restaurant "Cookies Cream" verwendet Neggst schon jetzt in einem seiner Gerichte als Ei-Ersatz.
Und die Eier in der Schale packen Sie auch in einen Eierkarton?
Ja, für den Anfang. Wenn unsere Maschine massentauglich produziert, wollen wir die Kunden erst mal dort abholen, was sie bisher von Hühnereiern kennen. Zukünftig soll es eine nachhaltigere Verpackung geben als aus Karton.
Veggie-Ei soll etwa 60 Cent kosten
Orientieren Sie sich beim Preis auch am tierischen Oval?
Unser Ei soll etwa so viel wie ein Bio-Hühnerei kosten. Also um die 60 Cent pro Stück. Am Anfang wird es vielleicht etwas teurer sein. Je mehr wir dann produzieren, desto günstiger werden sie. Auch der Gebrauch konventioneller Zutaten war deshalb für uns wichtig. Hätten wir spezielle, fermentierte Inhaltsstoffe benutzt, wäre der Preis nachher ordentlich nach oben gegangen.
S, M, L – sind auch verschiedene Eier-Grössen geplant?
Zu Beginn wird es eine Einheitsgrösse geben. Später wollen wir auch unterschiedliche Eier anbieten.
Zielen Sie auf den umwelt- und gesundheitsbewussten Kunden ab – oder wer soll Ihr veganes Ei kaufen?
Zurzeit beliefern wir das besagte Restaurant aus Berlin und ein Restaurant aus Hamburg. Daneben testen einige Hotels unsere Produkte. Über Grosshändler wollen wir diese bald in die Supermarktregale bringen. Wenn die Menschen offen sind, werden sie unsere Eier in den Einkaufswagen packen. Hauptsächlich zielen wir auf jüngere Flexitarier ab, die ihren Fleisch- und Eierkonsum reduzieren wollen.
Wäre das pflanzliche Ei auch etwas für den mexikanischen Markt?
Viele meiner Bekannten und Freunde in meiner Heimat wollen unsere Produkte probieren. Auch habe ich Kontakt zu einer grossen mexikanischen Firma, die an Eier-Alternativen Interesse hat. Aber erst mal etablieren wir uns in Deutschland und Europa.
Start-ups brauchen jemanden, der sie fördert. Wer hat bisher in Ihr Unternehmen investiert?
Der Green Generation Fund und BayWa Venture sind unsere grössten Investoren. Bei einer unserer ersten Finanzierungsrunden haben wir im September 2022 knapp unter fünf Millionen Euro bekommen.
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