Was ist soziale Gerechtigkeit und wie sozial sollte ein Unternehmer sein? Darüber haben wir mit Wolfgang Grupp gesprochen. Der Trigema-Chef erklärt im Exklusiv-Interview, was er von Mindestlohn, bedingungslosem Grundeinkommen und Eigeninsolvenz hält. Grupp fordert die Politik auf, endlich zu handeln, damit die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch grösser wird.
Herr Grupp, wie sozial sind Sie als Unternehmer?
Wolfgang Grupp: Das muss man von zwei Seiten betrachten: Als Unternehmer bin ich zunächst einmal nicht sozial. Ich bin Egoist und will Geld verdienen. Ich habe aber gemerkt: Wenn ich Geld verdienen will und es mir gut gehen soll, dann muss es meinem Umfeld auch gut gehen. Das heisst, ich muss unbedingt sozial sein. Denn je anständiger ich mit meinen Mitarbeitern umgehe, desto besser arbeiten sie für mich. Geben und Nehmen – das ist meine Logik. Wenn mir ein Angestellter konstant zur Seite steht, dann ist er bei mir gut aufgehoben. Das heisst, sein Arbeitsplatz ist sicher. Und ich stehe ihm zur Seite, wenn er ein Problem hat. So halte ich es in meinem Unternehmen seit 49 Jahren.
Was halten Sie von Unternehmen wie Siemens, die aufgrund der Dividende überlegen, Arbeitsplätze in Deutschland zu vernichten, obwohl sie wirtschaftlich gut dastehen?
Das zu beurteilen, ist schwierig. Firmen wie Trigema sind nicht mit Konzernen, die am Aktienmarkt gelistet sind, zu vergleichen. Denn ich als Firmeninhaber kann selbst entscheiden, ob ich viel oder wenig Geld verdiene. Unternehmen wie Siemens allerdings müssen sich danach richten, was die Aktionäre wollen. Und die Politik macht es ihnen da leicht, denn die Firmen können auch nur in dem gesetzlichen Rahmen agieren, der ihnen vorgegeben ist. Es wird immer schlimmer.
Wie meinen Sie das?
Dazu muss ich etwas ausholen: Das deutsche Wirtschaftswunder wurde nach dem Krieg von Unternehmern geschaffen, die voll und ganz für ihre Entscheidungen eingestanden sind. Wenn die in Konkurs gegangen sind, haben sie alles verloren – auch ihr Haus. Das galt als Schande. Viele dieser Unternehmer vom alten Schlag haben das nicht ertragen. Zudem sind früher viele der Vorstände selbst einmal Lehrling in ihrer Firma gewesen. Sie sind durch Leistung aufgestiegen. Heute ist das anders: Die Manager werden rein- und wieder rausgehievt. Wo bleibt da die Verantwortung, wo die Haftung? Ich sage: Wir müssen wieder zu mehr Verantwortung und Haftung zurück.
Inwiefern setzt die Politik, setzt der Staat falsche Anreize?
Ganz fatal ist die Möglichkeit der Eigeninsolvenz. Wenn die Verantwortlichen rechtzeitig aussteigen können, die Gläubiger aber ihr Geld verlieren und die Mitarbeiter in Hartz IV abrutschen, ist das alles andere als gerecht. Da muss man sich wirklich fragen, ob wir hier in Deutschland die richtigen Gesetze haben. Wenn das Rechtsstaat ist, dann tut es mir leid, aber das hat nichts mit Gerechtigkeit und schon gar nichts mit sozialer Gerechtigkeit zu tun.
Masse oder Klasse: Können und sollten es deutsche Unternehmen mit Billigproduzenten aus Fernost aufnehmen?
Wir produzieren in Deutschland in einem Hochlohnland. Damit einher geht auch eine höhere Leistung und fachliche Kompetenz. Und da sollten wir vor allem auf Innovation und Qualität setzen, statt auf Masse. Denn nur so kann ich meinen Angestellten auch einen guten Lohn zahlen. Wachstum in einer höheren Stückzahl zu sehen, ist in meiner Branche tödlich.
Auch in der Autobranche ist das schwierig. Denn wer der weltgrösste Automobilhersteller werden will, muss ein Massenauto herstellen. In Europa wird das wegen der höheren Löhne aber schwierig. Besser wäre es gewesen, auf die Entwicklung neuer Technik zu setzen und zum Beispiel Elektroautos zu bauen. Daimler hätte das in den Neunzigern, als noch der Technologiekonzern hochgehalten wurde, gut gekonnt. Jetzt muss Daimler die Fehler von damals schnellstmöglich korrigieren.
Ihre Mitarbeiter liegen Ihnen am Herzen. Sie wollen, dass es ihnen gut geht. Dazu gehören faire Löhne. Was verstehen Sie darunter?
Ich kann nur sozial sein, wenn ich Geld verdiene. Und wenn ich Geld verdiene, brauche ich Mitarbeiter, die etwas leisten. Die an einem Strang ziehen. Die mithelfen und mitdenken. Unsere leitenden Angestellten waren fast alle Lehrlinge bei mir. Sie sind durch gute Leistung in höhere Positionen gekommen. Dafür müssen sie auch entsprechend entlohnt werden. Ein gerechter Lohn ist, den Mitarbeiter entsprechend seiner Leistung zu bezahlen, und zwar so, dass er an seinem Wohnort davon leben und sich etwas leisten kann.
Können Sie das verdeutlichen?
Ich zahle einer Näherin einen Einstiegslohn von 9,80 Euro pro Stunde. Wenn sie gut ist, erhält sie bereits nach einigen Wochen eine Lohnerhöhung. So setze ich Reize, mehr Leistung zu bringen. Dass Geringverdiener aufstocken müssen, ist ungerecht.
Die Politik hat in der letzten Legislaturperiode einen Mindestlohn eingeführt. Was halten Sie davon?
Dass wir in Deutschland überhaupt einen Mindestlohn einführen mussten, ist eine Schande für uns Unternehmer. Wenn eine Firma jemanden beschäftigt, dann muss sie ihn auch entsprechend bezahlen. Egal, welchen Beruf er ausübt – selbst wenn derjenige Papierkörbe leeren muss. Und wenn ein Paketdienstleister seine Paketboten nicht gut bezahlen kann, muss er sich eben überlegen, das Porto zu erhöhen.
Im Zuge der Debatte um soziale Gerechtigkeit und Hartz IV gibt es Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Was halten Sie davon?
Das kann ich nicht beurteilen. Ich kann nicht vorhersagen, ob dann der Mensch überhaupt noch arbeitet. Vielleicht gibt es ein paar, die dann lieber gar nichts tun. Wir brauchen in unserer Gesellschaft Menschen, die etwas leisten – allein auch, damit das Bruttosozialprodukt wächst. Allerdings gibt es ja ein gewisses bedingungsloses Grundeinkommen bereits. Geringverdiener werden vom Staat unterstützt. Das sind die sogenannten Aufstocker. Langzeitarbeitslose erhalten Hartz IV. Dazu kommen noch andere Sozialleistungen.
Ein grosser Teil der Vermögen in Deutschland ist in Händen von wenigen Superreichen. Früher waren die Vermögen breiter verteilt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Das ist normal, solange die Politik nicht endlich erkennt, dass das, was sie macht, zu Ungerechtigkeit führt. Dass Firmen Insolvenz anmelden können und die Gläubiger und Arbeitnehmer dafür zahlen müssen, ist nicht in Ordnung. Wir brauchen unbedingt die Haftung und Verantwortung zurück in unserer Gesellschaft: Wer mit Millionen pokert und Gewinne macht, kann Multi-Millionär werden. Okay. Aber wer verliert, muss auch wissen, dass er der Erste ist, der dafür bezahlt.
Solange man problemlos Insolvenz machen kann, indem man vorher rechtzeitig alles zur Seite geschafft hat und Arbeitnehmer und Steuerzahler die Zeche bezahlen müssen, kann mit diesem Wirtschaftssystem etwas nicht in Ordnung sein. Es ist doch nur logisch, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht.
Es verwundert doch sehr, dass Kanzlerin Merkel im letzten Jahr gesagt hat, es dürfe nicht sein, "dass die Steuerzahler für unternehmerische Risiken haften" – und gleichzeitig will die Politik das Insolvenzrecht aufweichen.
Sie sind sich sicher, dass die Haftung zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt?
Wenn wir die Haftung hätten, dann wären auch die Gier und Grössenwahn eingedämmt. Jeder, der mit seinem eigenen Geld zockt, passt ein wenig mehr auf.
Eine Anwaltskanzlei hat Ihnen vor nicht allzu langer Zeit ein unfassbares Angebot gemacht. Die waren bei Ihnen ja an der richtigen Stelle …
Das müssen Sie sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Ich erhalte ein Schreiben von einer Anwaltskanzlei, die sich um Insolvenzen kümmert. Ich sollte mir doch überlegen, Insolvenz anzumelden, weil ich dadurch reicher werden würde. Das darf doch nicht wahr sein. Solange die Politik so etwas gewähren lässt, dürfen wir uns über nichts mehr wundern.
Was halten Sie von den internen Anweisungen der deutschen Post, dass Briefträger in zwei Jahren höchstens sechsmal krank werden dürfen? Halten Sie das für sozial?
Das darf man der Post nicht ganz so übel nehmen. Man muss das von Fall zu Fall beurteilen. Ich habe absolutes Mitleid, wenn jemand schwer krank ist. Aber hier mal drei Tage und dort mal zwei Tage krank sein – da sind auch wir nicht scharf drauf. Wenn jemand neu eingestellt wird und froh ist, dass er einen Arbeitsplatz hat, und dann zwanzig Tage – also vier Wochen im Jahr – krank ist, ist das nicht so wenig.
Ein Unternehmer muss das auch aus Gerechtigkeitsgründen den anderen Mitarbeitern gegenüber sehen. Weil der Mitarbeiter, der fast nie krank ist, natürlich ungern die Arbeit des anderen mitmachen will. Für die Moral im Betrieb ist das wichtig.
Sie verteidigen seit 49 Jahren den Standort Deutschland. Haben Sie wirklich nie daran gedacht, mit Ihrer Firma ins Ausland zu gehen oder Ihren Wohnsitz zu verlegen?
Deutschland ist meine Heimat. Ich habe deshalb zuallererst meine Pflicht als Unternehmer in meinem Heimatland zu erfüllen. Wenn die erfüllt ist, kann ich versuchen, zu expandieren. Wenn nicht, dann brauche ich auch nicht ins Ausland. Und aus steuerlichen Gründen würde ich nie meine Heimat verkaufen. Ich mache alles aus wirtschaftlichen und unternehmerischen Gründen. Aus Steuergründen habe ich noch nie eine Entscheidung getroffen. Meine Firma ist auch nicht aufgeteilt oder überschrieben. Meine Kinder müssen die Erbschaftssteuer zahlen können. Aber ich würde der Politik natürlich empfehlen, diejenigen Erben, die mit voller Haftung ihre Firmen weiterführen, weniger oder gar nicht zu besteuern als die, die keine Verantwortung tragen.
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