In den nächsten zwei Monaten treten die Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, in die entscheidende Phase. Der Vertrag führt zu beispiellosen Protesten in Europa und löst auch Besorgnis aus in der Schweiz, die an den Verhandlungen nicht teilnimmt.

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Normalerweise dienen grosse internationale Abkommen dazu, Probleme und auch Ängste zu lindern. Dies ist etwa der Fall bei Abkommen über Abrüstung oder den Klimawandel. Das TTIP-Abkommen, das bis Ende Jahr unter Dach und Fach sein sollte, löst jedoch grosse Ängste aus.

Seit Beginn der Verhandlungen beteiligen sich in Europa über 500 Organisationen aus der Zivilgesellschaft, aus Parteien und Gewerkschaften an einer Kampagne und organisieren Aktionen und Demonstrationen gegen das Abkommen. An der bisher eindrücklichsten Kundgebung waren im vergangenen Oktober in Berlin über 150.000 zusammengekommen.

Die europäische Initiative gegen das TTIP, die von diesem Bündnis lanciert worden war, sammelte innert eines Jahres über 3,2 Millionen Unterschriften. Ein ähnliches Bündnis wurde im Juni in der Schweiz gegründet, obwohl diese vom Abkommen nicht direkt betroffen ist.

Dennoch versichern Regierungen und Unterhändler, dass TTIP eine positive Wirkung auf Wachstum und Beschäftigung haben werde, nicht nur in der EU und den USA, sondern auch auf die Weltwirtschaft. Das Handelsabkommen sieht vor, Zollschranken, bürokratische Hürden sowie Investitions-Restriktionen zu reduzieren, die den Exporten und dem Handel zwischen den beiden Wirtschaftszonen im Wege stehen. Es entstünden zwei Wirtschaftsräume, die dereinst fast die Hälfte der globalen Wertschöpfung erzeugen würden.

Geheimverhandlungen

Worauf beziehen sich denn diese Ängste gegenüber dem TTIP? Vor allem auf die Geheimhaltung, welche das Abkommen umgibt: Die Verhandlungen wurden hinter verschlossenen Türen eingeleitet, ohne dass das Verhandlungsmandat oder die Zusammensetzung der jeweiligen Delegationen bekannt waren.

Auf dem Spiel stehen aber nicht nur wirtschaftliche Fragen, denn das TTIP hätte enorme Auswirkungen auf über 800 Millionen Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks: Die Vielfalt an ausgehandelten Normen betrifft wichtige Bereiche, wie etwa den Konsumentenschutz, die Gesundheit, den Umweltschutz, die öffentlichen Dienste oder das Arbeitsrecht.

Infolge der Protestwelle begann die Europäische Kommission vor zwei Jahren, eine gewisse Transparenz in die Sache zu bringen und veröffentlichte auf ihrer Seite Informationen und Zusammenfassungen zu den behandelten Themen. Einzelheiten zu den Inhalten der Verhandlungen kamen jedoch erst im letzten Mai ans Tageslicht, nachdem Greenpeace 240 Seiten Geheimdokumente veröffentlichte. Gemäss der Umweltorganisation zeigen die "TTIP-Leaks" klar und deutlich, dass sich die transnationalen Grosskonzerne bei zahlreichen bedeutenden Entscheiden zusammengeschlossen haben – unter Ausschluss der Zivilgesellschaft bei den Verhandlungen.

Amerikanische Standards in Europa?

In Europa betreffen die hauptsächlichen Vorbehalte die vorgesehene Harmonisierung der Normen für Produkte und Dienstleistungen, welche die Hindernisse für den Freihandel zwischen der EU und den USA eliminieren soll.

Trotz der Beruhigungen durch die Europäische Kommission und diverse Regierungen, darunter die deutsche und die französische, befürchten die Gegner des TTIP, dass die europäischen Standards verwässert werden könnten. Denn diese sind im Allgemeinen höher als die amerikanischen, insbesondere bei den Lebensmitteln, dem Konsumenten- und Umweltschutz. So fürchten sie sich vor mit Chlor desinfiziertem Hühnerfleisch, vor Hormonfleisch, genveränderten Organismen, Pestiziden oder dem Fracking.

Ängste gibt es auch in der Schweiz. Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann hat bereits angekündigt, dass sich die Regierung auf einen raschen Beitritt zum TTIP vorbereite, um zu verhindern, dass die Schweizer Unternehmen ins Abseits geraten und von dieser grossen Freihandelszone ausgeschlossen werden. Die TTIP-Normen würden also auch die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten betreffen.

"Diese Befürchtungen sind begründet, da die USA grosses Interesse daran haben, ihre Standards sowie Agrar- und Nahrungsmittel einzuführen", erklärt Sara Stalder, Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS). Ihrer Meinung nach hätte eine Anpassung an die amerikanischen Standards jedoch erhebliche Auswirkungen für die Konsumenten anderer europäischer Länder, da die Schweizer Gesetzgebung weniger streng ist als jene der EU. "Mit Hormon behandeltes Fleisch – eine weitverbreitete Methode in den USA – ist in der Schweiz zugelassen, in der EU jedoch verboten."

Bedrohung für den Agrarsektor

"Wir wollen den Freihandel mit der EU und den USA, denn wir sind klar von unseren zwei grössten Wirtschaftspartnern abhängig. Aber man kann Agrarprodukte nicht mit Autozubehör oder Elektroapparaten gleichsetzen", sagt Maya Graf, Parlamentarierin der grünen Partei und Mitglied der Anti-TTIP-Allianz."Unsere Ernährung steht in Zusammenhang mit unserer Gesundheit, dem Wohl der Tiere, der Umwelt, den vorhandenen Ressourcen. Daher verlangen wir, dass diese Produkte von einem allfälligen Abkommen ausgeschlossen werden."

Der Beitritt der Schweiz zum TTIP beunruhigt auch die Bauern. Sie befürchten, der Schweizer Markt könnte von preisgünstigen Agrarprodukten aus den USA überschwemmt werden. Vor zehn Jahren hatte der Druck aus dem Landwirtschaftssektor dazu geführt, dass die Regierung die laufenden Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten aufgab.

"Wir sind äusserst besorgt, denn wir boxen nicht in der gleichen Liga wie die USA. Unsere Landwirtschaft kann mit amerikanischen Grossbetrieben nicht Schritt halten, die mehr als 1000 Rinder halten. Das 2013 abgeschlossene Abkommen mit China hat aber gezeigt, dass man Freihandelsverträge abschliessen kann, wenn man auf importierten Agrarprodukten ab einem gewissen Kontingent Zollabgaben vorsieht", betont Jacques Bourgeois, Direktor des Schweizer Bauernverbands.

Wichtiges Abkommen

Die Wirtschaftswelt nährt jedoch noch andere Befürchtungen: Die Schweizer Unternehmen könnten empfindlich benachteiligt werden, sollte es der Schweiz nicht gelingen, sich schnell dem TTIP anzudocken. "Dieses Abkommen ist für unsere Wirtschaft von grösster Bedeutung, insbesondere für den Industriesektor, der schon mit dem starken Franken und den sehr hohen Produktionskosten zurechtkommen muss", erklärt Stefan Vannoni, stellvertretender Chefökonom beim Wirtschaftsdachverband economiesuisse.

"Wenn auch noch Nachteile wegen Zollabgaben für den Export in die USA hinzukommen würden, stünden die Schweizer Unternehmen vor grossen Schwierigkeiten, zum Bespiel wegen der Konkurrenz aus Deutschland."

(Übertragung aus dem Italienischen: Gaby Ochsenbein)

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