Ein Rekord jagt den nächsten: Der Dax steigt zu immer neuen Höchstwerten. Der als "Mr. Dax" bekannte Börsenexperte Dirk Müller erläutert im Interview die Gründe für den Börsen-Boom und warum sich Kleinanleger vor dem "psychopathischen Markt" und übertriebenen "Puff-Preisen" für Aktien in Acht nehmen sollten.

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Herr Müller, die Aktienrallye geht weiter, Woche für Woche steigt der Dax auf ein neues Rekordhoch. Wann ist der Höhepunkt erreicht?

Dirk Müller: Langfristig ist er noch nicht erreicht, der Dax wird weiter steigen. Die Frage ist nur, ob er zwischendurch mal wieder nach unten rauscht. Der Markt ist momentan ausgesprochen stark, die Aktien nicht massiv überbewertet. Zwar werden die Aktien nicht zu Schnäppchenpreisen gehandelt, aber es ist auch keine Blasenbildung zu beobachten. Ob und wann eine Korrektur kommt, können wir gerne auswürfeln, aber das kann niemand exakt vorhersagen.

Lohnt es sich für Kleinanleger überhaupt noch, in den Aktienmarkt zu investieren oder sind die Kurse viel zu überteuert?

Die Anleger, die noch nicht dabei sind, sollten jetzt mit Sicherheit nicht "All-in" gehen und ihr ganzes Geld in Aktien zu investieren. Das wäre mit Sicherheit der falsche Zeitpunkt. Ich empfehle aber grundsätzlich eine hohe Aktienquote zu halten. Allerdings sollte man generell an billigen Tagen einkaufen. Ich rate Anlegern immer wieder: "Hört auf, immer nur auf das kurzfristige Auf und Ab der Börse, auf die kurzfristigen Sprünge zu schielen. Sucht Euch "gute" Unternehmen aus, bei denen ihr euch langfristig beteiligen wollt." Dann muss man sich von dem täglichen Hin und Her an der Börse auch nicht beeinflussen lassen.

Woran erkennt der Anleger den richtigen Zeitpunkt, um zu investieren?

Ein Beispiel ist die Apple-Aktie, die im ersten Halbjahr so massiv unter die Räder kam, weil der Markt nach unten völlig übertrieben hat. Das sind Situationen, in denen man in ein solches Unternehmen sehr günstig investieren kann.

Das heisst im Umkehrschluss auch: Finger weg von Aktien, die gerade gehypt werden?

Absolut. "Mister Markt", die Figur der Börse, ist ein Psychopath. Der ist mal absolut euphorisch und begeistert. Genau in diesen Phasen sollte man sich bloss nicht von ihm anstecken lassen und ihm nichts abkaufen. Denn dann verlangt er Puff-Preise. Und dann, oftmals nur ein paar Tage später, bekommt er Panik, hat Tränen in den Augen und wird manisch-depressiv. In solchen Phasen ist er dann dazu bereit, auch die "guten" Unternehmen zu Schnäppchen-Preisen herzugeben. Und dann sollte man zuschlagen!

Was zeichnet solche "guten" Unternehmen aus?

Das sind vor allem die grossen Marktführer. Davon gibt es jede Menge. Die Unternehmen, die ich nenne, sind ja immer wieder im Gespräch, wie beispielsweise Coca Cola, das bereits seit Jahrzehnten mit seinen Produkten Geld verdient und eine solche Weltmarke ist, dass das Geschäftsmodell auch auf lange Sicht tragfähig bleiben wird. Das gleiche gilt für Nestle, das mittlerweile weltweit weitgehend die Lebensmittelversorgung übernommen hat. Oder auch IBM, Cisco und - wie schon erwähnt – Apple. Das sind alles Unternehmen, die schon seit Jahren oder sogar Jahrzenten viel Geld verdienen - und das wohl auch in Zukunft tun werden.

Welche deutschen Unternehmen bieten sich an?

Da ist zum Beispiel Fielmann, ein Unternehmen, das jede zweite Brille verkauft. Da wird keiner kommen und sagen: "So, ab morgen übernehmen wir den Brillenmarkt in Deutschland". Ein anderes Beispiel ist Volkswagen. Da habe ich was weitgehend Sicheres, was mit Substanz. Auch hier wird morgen keine Pleite ins Haus stehen. Aber auch bei all diesen Beispielen gilt: sich nicht von den Psychosen von "Mister Markt" anstecken lassen, sondern darauf warten, bis er Tränen in den Augen hat und an diesen schwachen Tagen zuschlagen.

Was raten Sie Kleinanlegern, die jetzt 10.000 Euro investieren wollen?

Man sollte weiterhin etwa 10 bis 15 Prozent in physisches Gold investieren, beispielsweise in Münzen. "Vergiss die Kurssteigerung oder Inflation, dafür weisst du: egal, was kommt, ich besitze etwas, was nie wertlos wird." Dann sollte man ein bisschen Liquidität halten, um zahlungsfähig zu bleiben. Dafür bietet sich ein Tagesgeld-Konto an. Und den Rest würde ich eben in "gute" Unternehmen oder breit streuende Fonds investieren. Festgeld lohnt sich wegen der niedrigen Zinsen momentan überhaupt nicht.

Nach der neuerlichen Zinssenkung im Euro-Raum am Donnerstag ist der Dax noch einmal gestiegen. Spielt der Markt verrückt oder sind die Kurszuwächse mit realwirtschaftlichen Gründen erklärbar?

Die Realwirtschaft hat sich in den letzten zwei, drei Jahren sehr gut entwickelt, gar keine Frage. Wobei die Konjunktur jetzt schon wieder nachlässt. Aber die Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren gut aufgestellt, ihre Hausaufgaben gemacht und sich auf die schwierigeren Rahmenbedingungen gut eingestellt. Von daher kann man sagen, dass die Aktien fair bewertet sind. Allerdings ist fraglich, ob die Risiken, die uns bevorstehen, was die Weltkonjunktur angeht, bereits ausreichend in die Aktienkurse eingepreist sind. Das ist die grosse Frage.

Was sind die grössten Risiken?

Wir haben einerseits eine mehr als unheilige Entwicklung in China. Dort haben wir eine riesige Blasenbildung im Immobilien- und Kreditbereich. Die offiziellen Daten aus China sind mit keiner Silbe belastbar, ähnlich wie die Wirtschaftsdaten aus Russland aus den 80er Jahren oder die griechischen Angaben bis 2010. Für mich ist es immer wieder verwunderlich, wie wir uns über jedes Zehntel, das in China vermeldet wird, freuen können. Zum anderen werden zunehmend Gelder aus den Schwellenländern abgezogen. Deren Währungen und Kreditinstitute kommen dadurch wieder unter Druck.

Und in Europa? Sind wir hier auf einem guten Weg, wie es zuletzt immer wieder hiess?

Nein, in Europa ist kein einziges Problem gelöst. Wir haben weiter katastrophale Zustände auf den Arbeitsmärkten, die Wirtschaft kommt nicht in Schwung und wir sparen auch noch weiter in die Krise hinein. Auch die Schuldenproblematik der europäischen Staaten ist nicht gelöst und die Banken sitzen weiter auf Müllpaketen. Bei aller berechtigter Freude über die Entwicklung auf dem Aktienmarkt müssen wir diese Risiken berücksichtigen.

Klingt so, als wäre es höchste Zeit für eine Konsolidierung auf dem Aktienmarkt?

Natürlich wird eine Korrektur kommen, aber noch einmal: Wann die kommt, kann niemand genau sagen. Eine kleine Korrektur ist auch dringend notwendig, da die Märkte momentan heiss gelaufen sind. Auch ein starker Einbruch wäre möglich - wenn sich eines der Risikoszenarien, eines dieser gerade beschriebenen Damoklesschwerter löst. Dann haben wir ein richtiges Feuerwerk an der Börse - aber nach unten. Niemand kann aber das genaue Timing vorhersagen.

Dirk Müller ist als das "Gesicht der Börse" bekannt geworden, weil sein Arbeitsplatz genau vor der Kurstafel des Frankfurter Börsenparketts lag, was ihm von den Medien den Spitznamen "Mr. Dax" einbrachte. Heute gilt er als Dolmetscher zwischen den Finanzmärkten und den Menschen ausserhalb der Börse. Müller schreibt Bücher (zuletzt: "Showdown: Der Kampf um Europa und unser Geld", Verlag Droemer Knaur) und betreibt die unabhängige Finanzinformationsplattform www.cashkurs.com, auf welcher tagesaktuell über die wichtigsten Informationen und Hintergründe rund um die Themen Wirtschaft, Finanzen, Börse, Politik und Gesellschaft berichtet wird.
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