Starker Franken, Schneemangel, weniger Wintersportler: Die meisten Schweizer Skiorte kämpfen mit wachsenden finanziellen Schwierigkeiten. Doch statt nach Alternativen zum Skifahren zu suchen, investieren die Bergbahnen weiter massiv in die Infrastruktur. Das sagt Christophe Clivaz, Experte für nachhaltigen Tourismus an der Uni Lausanne.

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Zwei Drittel der Seilbahnunternehmen in der Schweiz sind auf öffentliche Gelder angewiesen. Das besagt die Studie Finanzsituation von Bergbahnen in der Schweiz 2013/2014 der Fachhochschule Luzern.

Die Gründe sind verschieden: Einerseits sind es die milden Winter, die den Skiorten in geringer und mittlerer Höhe zu schaffen machen, andererseits ist die Zahl der Skifahrer rückläufig. Hinzu kommt eine internationale Konkurrenz, die immer mehr Liebhaber des Wintersports anzieht, die genug von der Hochpreisinsel Schweiz haben.

Indem sie viel Geld in ihre Bahnen und in die künstliche Beschneiung stecken, versuchen die Skiorte wettbewerbsfähig zu bleiben. Christophe Clivaz verurteilt diese Flucht nach vorne. Er ist Professor am Institut für Geographie und Nachhaltigkeit der Universität Lausanne und Co-Autor des Buches "Tourisme d'hiver: le défi climatique" (Wintertourismus: die klimatische Herausforderung).

Zum dritten Mal in Folge haben Skiorte auf geringer und mittlerer Höhe stark unter ausbleibendem Schnee über die Festtage gelitten. Während dieser Zeit holen die Bahnen normalerweise einen grossen Anteil ihres Umsatzes ein. Ist das ein Vorgeschmack auf das, was uns künftig erwartet?

Christophe Clivaz: Klimamodelle besagen tatsächlich eine Verschiebung des ersten Schnees zu Beginn der Saison. Diese Tendenz wird sich in Zukunft verstärken, auch wenn die meteorologischen Unterschiede von einem Jahr zum nächsten sehr stark variieren können. Kommt hinzu, dass die Übergangsgrenze von Regen zu Schnee in den Schweizer Alpen seit den 1960er-Jahren um rund 300 Meter angestiegen ist.

Sind die Schweizer Skiorte gerüstet, um dieser klimatischen Herausforderung die Stirn zu bieten?

Das kommt auf die Region an. Im Kanton Graubünden denkt man wirklich darüber nach, wie man den Tourismus den klimatischen Veränderungen anpassen könnte. Die Strategie der Behörden sieht vor, das Entwicklungspotenzial auf die anderen Jahreszeiten auszurichten, insbesondere auf den Sommer.

Im Kanton Wallis ist das anders. In den offiziellen Dokumenten ist immer noch die Rede vom Wachstum des Wintertourismus. Man spricht davon, den Anteil an Skifahrern und –fahrerinnen zu steigern, wohingegen es schon eine gute Neuigkeit wäre, wenn man in den kommenden Jahren nicht zu viele Gäste verlieren würde.

Im Wallis finden sich mehrere Skiorte, die zu den höchstgelegensten der Alpen gehören (Verbier, Zermatt, Saas-Fee). Ist das nicht ein entscheidender Wettbewerbsvorteil?

Die nächste Generation wird die positiven Auswirkungen noch spüren: Wer weiter Skifahren will, wird auf die höher gelegenen Orte ausweichen. Doch das Problem der Klimaerwärmung wird früher oder später auch diese Skiorte einholen. Mit der Schliessung von kleinen Skiorten in den Voralpen oder im Jura werden die Kinder immer weniger die Möglichkeit haben, in der Nähe ihres Zuhauses Skifahren zu lernen. Es wird also immer weniger neue Skifahrer geben.

Zudem führen Investitionen für die künstliche Beschneiung der Pisten zu noch teureren Skiabonnementen. Bereits heute verzichten viele Menschen aus finanziellen Gründen aufs Skifahren. In Zukunft wird dieser Sport nur noch Wohlhabenden offenstehen.

Die meisten Seilbahnunternehmen investieren aber weiter massiv in ihre Infrastrukturen. Ist das sinnvoll?

Nein. Wir wohnen einer Art gefährlichen Aufrüstung bei, einer regelrechten Flucht nach vorne. Auch unabhängig vom Klimawandel werden einige Stationen nicht überleben. Die Zahl der Skitage ging in den letzten zehn Jahren um fast 20 Prozent zurück und nichts deutet darauf hin, dass sich das ändern wird.

Nur wenige der Schweizer Skiorte sind streng wirtschaftlich gesehen wirklich rentabel. Sie sind auf Hilfe angewiesen und sie können kein Geld auf die Seite legen, um Investitionen zu tätigen. Ein grosser Teil der Ski-Industrie wird von der lokalen öffentlichen Gemeinschaft getragen, von den Steuerzahlern also.

Haben die Schweizer Seilbahnunternehmen denn wirklich die Wahl, wenn sie nicht gänzlich von der österreichischen, italienischen oder französischen Konkurrenz abgehängt werden wollen?

Natürlich macht es für einen Skiort Sinn, in Massnahmen zu investieren, die eine Anpassung an Klimaveränderungen erlauben – vor allem also zur Erzeugung von Kunstschnee. Angesichts der allgemein schrumpfenden Nachfrage nach Skifahren aber macht es wenig Sinn, wenn das alle Skiorte tun. Es wird nicht mehr genug Kunden für alle geben. Sinnvoll wäre es also, die öffentlichen Gelder gezielt in einigen Skiorten einzusetzen und andere beim Rückbau und der Suche nach Alternativen zu unterstützen.

Wie erklären Sie angesichts dieser Ausgangslage, dass nichts oder zu wenig in diese Richtung unternommen wird?

Die Blockade ist vor allem in den Köpfen. Viele Akteure des Tourismus und auch Politiker halten eine Art Mythus und sentimentalen Bezug zu den Seilbahnen aufrecht. Dank dem Aufschwung des Skisports hielt die wirtschaftliche Tätigkeit in den alpinen Tälern nach dem Ende der Bauperiode von Stauanlagen weiter an. In den 1950er- und 1960er-Jahren konnte so eine massive Landflucht verhindert werden.

Gibt es denn überhaupt eine wirkliche Alternative zum Wintersport, die genug Einkommen für die Menschen in den Bergen generiert?

Es gibt keine Aktivität, welche die gleichen Einkünfte bringt wie der Wintersport. Arbeitet man aber mit einer ganzen Palette von diversifizierten Produkten, ist das durchaus möglich. Ich denke dabei zum Beispiel an den Mountainbike-Sport und das Wandern. In der Schweiz weisen diese beiden Aktivitäten noch ein riesiges Entwicklungspotenzial auf. Zwar können damit niemals die gleichen Umsätze erwirtschaftet werden wie mit dem Skisport. Aber die Investitionen sind auch viel kleiner.

Auch die Klimaerwärmung ist eine Chance für den Sommertourismus in den Alpen: Denn diese werden zu einer geschätzten Oase der Frische und Ruhe werden.

Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann

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