Der Batteriehersteller Varta steht kurz vor der Pleite. Ein Restrukturierungsverfahren soll nun die Rettung bringen. Doch dabei gehen die Aktionäre leer aus. Wie konnte das Unternehmen trotz namhafter Kunden so abstürzen? Und kann ein Einstieg von Porsche die Wende bringen?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Sven Weiss sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es ist noch nicht lange her, da galt der Batteriehersteller Varta als deutsches Vorzeigeunternehmen. Eine lukrative Zusammenarbeit mit Apple jagte die Aktie in die Höhe. Doch dann der jähe Absturz: Um eine Insolvenz zu umgehen, musste das Unternehmen ein sogenanntes StaRUG-Verfahren einleiten.

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"StaRUG" ist die Kurzform für "Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen". Dieses Instrument besteht erst seit 2021 und ermöglicht eine vereinfachte Restrukturierung von Unternehmen, die zahlungsunfähig sind.

Dadurch lässt sich eine Insolvenz vermeiden. Jedoch erfolgt ein kompletter Schuldenschnitt. Die Aktionäre verlieren also ihr Geld.

Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Das Unternehmen aus dem schwäbischen Ellwangen war 2017 mit grossen Hoffnungen an der Börse gestartet. Im Jahr 2019 entwickelte sich Varta gar zu einem der am schnellsten wachsenden Technologieunternehmen Deutschlands. Der Aktienkurs schoss von 25 Euro über 120 Euro. Einer der Hauptgründe für den Boom war der Kunde Apple.

Apple lässt Aktienkurs von Varta explodieren – und bringt den Zusammenbruch

"Das Unternehmen Varta ist als ein Spezialist für Knopfzellen für Hörgeräte an die Börse gekommen", erklärt Aktienanalyst Robert-Jan van der Horst im Gespräch mit unserer Redaktion. Als Apple die Airpods auf den Markt brachte, entstand plötzlich ein grosser Bedarf an Knopfbatterien. Im Gegensatz zur Konkurrenz war Varta in der Lage, das komplex herzustellende Produkt anzubieten.

"Varta war wahnsinnig erfolgreich", erklärt van der Horst. Doch die Konkurrenz – namentlich vor allem Samsung und LG – schlief eben auch nicht. "Es war nicht zu erwarten, dass sie kein Konkurrenzprodukt auf den Markt bringen. Trotzdem hat Varta ohne Ende investiert, als ob es immer so weitergehen würde."

Eine Fehleinschätzung. 2022 kamen die "Airpods Pro 2" auf den Markt, in denen zur Überraschung vieler Experten Samsung-Batterien verbaut waren. "Damit ging für Varta das grösste Produkt des grössten Kunden verloren", analysiert van der Horst.

"Hohe Investitionen, hohe Dividende, steigende Verschuldung, dann bricht der Markt weg."

Aktienanalyst Robert-Jan van der Horst über die Gründe für den Varta-Absturz

Die riesigen Kapazitäten, die Varta hatte, konnten nicht mehr ausgelastet werden. "Trotzdem haben Sie massiv Dividende ausgeschüttet", sagt van der Horst. "Man könnte es so zusammenfassen: Hohe Investitionen, hohe Dividende, steigende Verschuldung, dann bricht der Markt weg."

Ein weiterer Faktor für den Niedergang des Traditionsunternehmens lag im Bereich Heimenergiespeicher. Nach dem Ausbruch des Ukrainekrieges erzielte Varta dabei grosses Wachstum. Doch verkannte man, so van der Horst, dass das Wachstum nicht ewig anhalten konnte. Zudem drängten chinesische Hersteller aggressiv in den Markt.

Zu allem Überfluss wurde das Unternehmen Anfang Februar auch noch Opfer einer Cyberattacke. Dadurch lag die Produktion an mehreren Standorten tagelang still.

"Das Unternehmen war also bereits in einer finanziellen Schieflage und musste nun mit den Banken reden und Wachstumsstrategien vorlegen", erklärt van der Horst. "Die Projektion, die sie der Bank gegeben haben, konnten sie nicht erfüllen. So kam es schliesslich zu dem StaRUG-Verfahren."

Dabei muss eine Schuldenlast von etwa 500 Millionen Euro reduziert werden, wie die "Wirtschaftswoche" berichtet. Gleichzeitig soll frisches Kapital von circa 100 Millionen Euro fliessen.

Neil Armstrong und die Familie Quandt – Vartas Erfolgsgeschichte

Varta ist ein Akronym für "Vertrieb, Aufladung, Reparatur transportabler Akkumulatoren". Der Vorläufer der heutigen Varta AG wurde bereits im Jahr 1887 im westfälischen Hagen gegründet und wuchs bald zum Marktführer im Batteriesegment heran. Ab 1922 übernahm die Industriellenfamilie Quandt die Aktienmehrheit im Unternehmen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann Varta, sich international auszurichten. Auch Neil Armstrongs Kamera bei der Mondlandung war mit einer Varta-Batterie ausgestattet. Nach mehreren Eigentümerwechseln und Restrukturierungen wurde Varta Anfang der 2000er-Jahre wieder eigenständig und konzentrierte sich auf Mikro- und Haushaltsbatterien.

Das Jahr 2024 wird wohl als wichtiger Einschnitt in die Firmengeschichte eingehen. "Durch die Restrukturierung soll ein Neuanfang für die Varta AG Gruppe geschaffen werden", heisst es auf der Unternehmenswebsite. Das Problem: Die Kleinaktionäre gehen dabei leer aus.

Experte: "StaRUG nicht gut umgesetzt"

Genau dies kritisiert Paul Petzelberger von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). "Das StaRUG ist per se gut gedacht, aber nicht gut umgesetzt." Seine Hauptkritik ist, dass "Kleinaktionäre komplett unter den Tisch fallen".

Petzelberger schlägt eine Alternative vor: "Man könnte es charmant lösen, indem die Altaktionäre ein Bezugsrecht eingeräumt bekommen – so wie bei jeder anderen Kapitalerhöhung. Das heisst, dass die freien Aktionäre die Möglichkeit haben, bei dem Unternehmen wieder dabei zu sein." Genauso, wie es übrigens für die Hauptaktionäre gilt.

"Wahrscheinlich braucht es einen Fall wie Varta, einen Wachrüttler, damit das Ganze in die Politik kommt und die Leute in Berlin merken, dass wir nachbessern müssen", sagt Petzelberger. "Denn so schafft man kein Vertrauen in den Kapitalmarkt Deutschland."

Derweil gibt sich Varta-Mehrheitseigner und -Aufsichtsratschef Michael Tojner optimistisch. "Wir hoffen, dass wir bis Ende August oder Anfang September eine Lösung haben", sagte er gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ). Diese Lösung könnte auf den Namen Porsche hören.

Nach StaRUG-Verfahren: Porsche könnte die Zukunft von Varta sichern

"Von uns würde ein Teil des neuen Eigenkapitals kommen, der Rest von Banken und Porsche", beschreibt Tojner das geplante Modell gegenüber der FAZ. Varta baut bereits eine Art Booster-Batterie für die Volkswagen-Tochter. "Porsche hat also ein grosses Interesse daran, nicht im laufenden Betrieb jemanden Neuen ins Boot zu holen", sagt Robert-Jan van der Horst. "Sie wollen in der Nähe einen guten Batteriehersteller haben. Die Produkte von Varta sind gut und es besteht weiterhin eine grosse Entwicklungskompetenz. Ausserdem hat man kein Interesse, dass chinesische Hersteller den Markt übernehmen."

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Ein zweites Rettungsmodell für Varta kommt von vier Hedgefonds, die sich bei Banken in Kredite des Batterieherstellers eingekauft haben. "Wir hoffen, zu einem Ergebnis zu kommen, mit dem alle leben können", sagte Tojner.

Die neuesten Entwicklungen riefen prompt Spekulanten auf den Plan. So schoss die Varta-Aktie innerhalb eines Tages um 19 Prozent nach oben, wie das Börsenmagazin "Der Aktionär" berichtet. Und das, obwohl ein Grossteil der Experten – wie auch "Der Aktionär" – vom Kauf der Aktie abrät.

Aktionäre kämpfen gegen Totalverlust – StaRUG-Verfahren bekommt Gegenwind

Denn das StaRUG-Verfahren bekommt nun Gegenwind. Mehr als 2.000 Aktionäre hätten sich bei der "Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz" (DSW) registriert, um gegen die Neustrukturierung vorzugehen. Das berichtet das Finanzportal "EQS News".

Und so könnte das von Aufsichtsratschef Tojner formulierte Ziel, "Varta bis zum Jahresende stabilisiert zu haben", wieder in Gefahr geraten.

Warburg-Analyst Robert-Jan van der Horst sieht trotz allem eine positive Zukunft für das Unternehmen: "Generell gab es viele schlechte Managemententscheidungen. Aber wenn man nur die Produkte und die Marke betrachtet, sieht das weiterhin gut aus."

Paul Petzelberger äussert sich ähnlich: "Wenn sie frische Mittel erhalten, dann hat Varta eine glorreiche Zukunft." Für die Aktionäre, die er vertritt, fällt sein Fazit dagegen anders aus: "Wir sind sehr pessimistisch."

Über die Gesprächspartner

  • Robert-Jan van der Horst ist Research Analyst bei der Warburg Research GmbH. Dort ist er unter anderem für das Unternehmen Varta zuständig.
  • Paul Petzelberger ist Vorstand des SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V.

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