Der Skandal um manipulierte Abgaswerte bei VW betrifft nicht nur den Wolfsburger Konzern, sondern die deutsche Industrie als Ganzes. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Im Interview erklärt er, warum das Image von VW untrennbar mit der Marke "Made in Germany" verknüpft ist - und wie die deutschen Automobil-Unternehmen jetzt handeln müssen, um neues Vertrauen aufzubauen.

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Herr Fratzscher, ist die VW-Affäre nur ein Problem der deutschen Automobilindustrie oder gefährdet dieser Skandal dauerhaft die Strahlkraft der Marke "Made in Germany"?

Marcel Fratzscher: Volkswagen ist eines der grössten deutschen Unternehmen, das wahrscheinlich global am sichtbarsten ist, nicht nur in den USA, sondern auch in China und in Asien. Die Werbung, die dieses Unternehmen macht, betont: "Engineering made in Germany". Da geht es um Qualität, Vertrauen, Zuverlässigkeit. Das sind die drei Dinge, die die Marke "Made in Germany" ausmachen. Und genau dafür steht VW - und dies hat den grossen globalen Erfolg des Unternehmens in den vergangenen Jahrzehnten ausgemacht. Volkswagen hat sich extrem eng an das Image Deutschlands und deutscher Produkte gekoppelt. Das bedeutet natürlich auch, wenn die Reputation von Volkswagen Schaden nimmt, ist die Gefahr sehr real, dass durch die enge Verknüpfung auch die Marke "Made in Germany" und andere Hersteller aus Deutschland davon betroffen sind.

Können Sie sich vorstellen, dass auch deutsche Hersteller von einem Imageverlust betroffen sind, die gar nichts mit dem Automobilbau zu tun haben?

Unter dem Vorbehalt, dass natürlich jede Prognose schwierig ist: Ja, das kann man nicht ausschliessen. Die Marke "Made in Germany" trifft ja nicht nur auf Automobile zu, sondern zum Beispiel auf Maschinenbauer, auf Produkte aus der Pharmazie und der Chemie, die weltweit eine ganz hervorragende Reputation haben.

Also ist für Sie letztlich der Vertrauensverlust in Produkte "Made in Germany" die besondere Dimension der VW-Affäre?

Genau das ist das entscheidende Problem. Wir müssen uns bewusst machen, was Deutschland als Exportnation ausmacht. Wir exportieren ja nicht billige Güter, die wir günstig irgendwo verkaufen. Wenn Sie zum Beispiel billiges Spielzeug kaufen, dann wissen Sie oft nicht mal, wo das herkommt, weil der günstige Preis das entscheidende Merkmal ist. Aber das Gegenteil ist der Fall für viele deutsche Exportprodukte. Das macht ja gerade die Exportnation Deutschland aus, dass es hier nicht um billige Preise und günstige Güter geht, sondern um Markenqualität. Mit dem Wort Deutschland verbürgen wir uns. Und genau darin haben Konsumenten weltweit Vertrauen. Deshalb betrifft dieser Skandal eben nicht nur ein Produkt oder eine Marke, sondern wird eng mit dem Image Deutschlands als Exportnation verbunden.

Können Sie sich überhaupt an einen vergleichbaren Fall erinnern, der der Marke "Made in Germany" ähnlich geschadet hat?

Mir fällt da nur der berühmte Elchtest der neu entwickelten A-Klasse von Mercedes-Benz Ende der neunziger Jahre ein. Damals sorgten Fotos von Fahrzeugen, die in engen Kurven zum Umkippen neigten, weltweit für Aufsehen. Aber ich würde das eigentlich nicht vergleichen, denn damals war das Problem weniger ein Vertrauensverlust, sondern ein technischer Defekt, der bestanden hat - und dann nachgebessert worden ist. Dann war das Problem behoben.

Was können VW und die anderen deutschen Automobil-Unternehmen jetzt unternehmen, um die Auswirkungen der Affäre zu begrenzen?

Das allerwichtigste sind jetzt Transparenz und Offenlegung. Denn die Vermutungen, die zirkulieren, das träfe nicht nur auf Volkswagen zu, sind natürlich eine schwerwiegende Belastung für alle. Unabhängige Tests könnten ein Weg sein, die belegen, es handelt sich wirklich nur um einen Einzelfall und andere Produkte - auch bei VW selbst - sind davon nicht betroffen.

Marcel Fratzscher wurde am 25. Januar 1971 in Bonn geboren. Er ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht vor allem zu Themen der internationalen Makroökonomie.
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