Geld wird heute vor allem von privaten Banken geschaffen, und nicht von Zentralbanken, obwohl diese Meinung weit verbreitet ist. Doch führt dieses System nicht zu Spekulation und Finanzkrisen? Die Befürworter der "Vollgeld-Initiative" sind davon überzeugt. Sie wollen mit einer radikalen Reform des Geldsystems den Schweizer Bankenplatz stabilisieren. Doch für Regierung und Parlament handelt es sich um eine gefährliche Hochrisikostrategie.

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Die Eidgenössische Volksinitiative "Für krisensicheres Geld: Geldschöpfung allein durch die Nationalbank! (Vollgeld-Initiative" wurde von Ökonomen, Finanzfachleuten und Unternehmern lanciert. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, ein stabileres Geldsystem zu verwirklichen. Die Initiative wurde im Nachgang zur grossen Finanzkrise lanciert, die vor 10 Jahren auch die Schweiz nicht verschonte. Regierung und Schweizerische Nationalbank mussten damals eingreifen, um die grösste Schweizer Bank, UBS, zu retten.

Die Befürworter der Initiative gehen von einer Tatsache aus: Heutzutage wird Geld nur zu einem kleinen Teil von den Nationalbanken geschaffen. Diese stellen Münzgeld und Banknoten her, also "Vollgeld", als Zahlungsmittel auf einer legalen Grundlage. In der Schweiz sind etwa 80 Milliarden Franken Bargeld im Umlauf. Dies entspricht aber nur rund 10 Prozent der gesamthaft umlaufenden Geldmenge. Der Rest wird von privaten Banken als elektronisches Geld emittiert, in der Regel durch die Gewährung von Krediten für Unternehmen, Privatkunden oder andere Banken.

In diesem Fall spricht man von "Buchgeld", da dieses Geld de facto nur auf dem Papier in der Buchhaltung existiert. Um einen Kredit zu gewähren, muss eine Bank nicht über den entsprechenden Gegenwert in bar verfügen. Es reicht aus, den jeweiligen Betrag in einem Depot zu registrieren. Buchgeld ist folglich kein legales Zahlungsmittel, sondern letztlich nur ein Versprechen, einen bestimmten Betrag auf ein Konto zu überweisen. Das Buchgeld hat sich in den letzten Jahrzehnten stark vermehrt, da die elektronische Informationstechnologie den Zahlungsverkehr und andere Bankgeschäfte beschleunigt hat.

Die Verwendung von Buchgeld hat zweifellos einen Beitrag zum Wachstum von Bankaktivitäten und damit zum Wachstum der ganzen Wirtschaft geleistet. Man denke nur an die Gewährung von Firmenkrediten. Andererseits ist damit aber auch der Schuldenberg gewachsen, da Kredite ohne reale Deckung vergeben wurden. Dies führte letztlich zu einer Spekulationsblase, zu Insolvenz der Banken und Finanzkrisen.

Diese Krisen sind für die Initianten der "Vollgeldinitiative" der Anlass geworden, eine radikale Reform des Geldsystems in der Schweiz zu verlangen. Erreicht werden soll dies durch eine Änderung des Artikels 99 in der Bundesverfassung. Demnach soll allein der Bund, via Nationalbank, Münzen, Banknoten und Buchgeld schaffen können. Buchgeld wäre ein gesetzliches Zahlungsmittel, insofern es von der Nationalbank emittiert ist.

Private Banken könnten hingegen kein Buchgeld mehr schaffen, sondern nur noch Geld verleihen, das effektiv von der Nationalbank in Umlauf gesetzt wurde. Die Ausführungsbestimmungen sehen vor, dass am Stichtag des Inkrafttretens des neuen Gesetzes alles Buchgeld auf Zahlungsverkehrskonten zu einem gesetzlichen Zahlungsmittel wird. Diese Konversion soll möglich gemacht werden, indem die Nationalbank den Finanzdienstleistern Anleihen in gleicher Höhe gewährt. Diese Darlehen müssen nach einer zumutbaren Übergangsphase (zirka 15- 20 Jahre) getilgt werden.

Milliarden-Mehreinnahmen für Bund und Kantone

Die Schweizerische Nationalbank bleibt laut Vollgeldinitiative eine unabhängige Zentralbank, die den Auftrag hat, eine Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes zu führen. Sie steuert laut Initiativtext "die Geldmenge und gewährleistet das Funktionieren des Zahlungsverkehrs sowie die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten durch die Finanzdienstleister." Das würde bedeuten, dass die Geldpolitik nicht mehr prioritär über die Zinsen gesteuert würde, so wie es heute der Fall ist.

Vom Nettogewinn der Nationalbank fliessen im Moment ein Drittel an den Bund und zwei Drittel an die Kantone. So soll es auch in Zukunft gemäss der Initiative sein. Zudem soll die Zentralbank die Gewinne aus dem neu geschaffenen Geld (Bargeld oder Buchgeld) der Allgemeinheit zukommen lassen. Die Herausgabe einer 1000-Franken-Banknote kostet die Nationalbank beispielsweise nur wenige Rappen. Dieses Geld wird, ohne Belastung durch Schulden oder Zinsen, der Gesellschaft zukommen, dem Bund, den Kantonen oder direkt den Bürgerinnen und Bürgern. Angesichts des Wachstums der Geldmenge in den letzten Jahren ist mit einem Betrag von 5 bis 10 Milliarden Franken pro Jahr zu rechnen.

Die Befürworter der Initiative sind überzeugt, dass der Franken durch das neue System die sicherste Währung der Welt wird und sich die Schweiz auf diese Weise vor möglichen Finanzkrisen schützen kann. Denn Banken könnten nicht mehr "aus dem Nichts" Geld schaffen. Die Zahl risikobehafteter Investitionen wäre rückläufig. Der Finanzplatz wäre solider, vertrauenswürdig und konkurrenzfähiger. Die Banken müssten zudem nicht länger einem komplizierten Regulierungssystem unterworfen werden, da das Problem an der Wurzel angepackt würde. So sei es auch ausgeschlossen, dass der Staat zu einer Intervention gezwungen würde, um Banken zu retten.

Auch für Kunden bietet das neue System laut Initianten Vorteile. Es sei gegenüber dem heutigen System transparenter und sicherer. Denn Kontoguthaben und Zahlungsverkehr seien zu 100 Prozent durch Nationalbank-Gelder gedeckt. Die Finanzdienstleister führten Zahlungsverkehrskonten ausserhalb ihrer Bilanz. Diese Konten fielen daher nicht in eine mögliche Konkursmasse. Dadurch verringere sich auch das Risiko einer «Bankenpanik» mit einem möglichen Run auf Banken und Geldautomaten.

Banken nicht länger privilegiert

Einen Vorteil hätte dieses System zudem für Bund, Kantone und letztlich alle Bürgerinnen und Bürger. Die Ausschüttung der Gewinne durch die Schaffung neuen Geldes wäre nützlich, um Steuern und Schulden zu reduzieren oder in öffentliche Infrastrukturen oder Sozialeinrichtungen zu investieren. Die Nationalbank könnte gemäss Initianten 300 Milliarden Franken an die Gesellschaft weiter geben, welche aus der Rückerstattung der Kredite stammen, welche den Geschäftsbanken gewährt werden, um Buchgeld in Vollgeld zu konvertieren.

Die Systemumstellung käme am Ende der Realwirtschaft zu Gute: In Infrastrukturprojekte investierte Gelder schafften Arbeitsplätze und Beschäftigung für etliche Unternehmungen. Die Banken könnten nicht mehr selbst Geld schaffen und hätten somit keine ungerechtfertigten Konkurrenzvorteile im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen.

Der Bundesrat anerkennt die Wichtigkeit eines verlässlichen Finanzplatzes, doch kann seiner Meinung nach dieses Ziel mit den neuen internationalen Standards erreicht werden, beispielsweise durch die Anwendung des Regulierungsrahmens, der vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht verabschiedet wurde, oder den neuen nationalen Regeln für die Eigenkapitalquoten für systemrelevante Banken (Too big to fail).

Nach Ansicht der Regierung stellt die Vollgeld-Initiative einen Sprung ins Leere dar, weil kein anderes Land der Erde bis heute über ein solches System verfügt. Die Umsetzung der Initiative hätte eine Neuordnung des Geldsystems zur Folge, die die Schweiz hohen Risiken und potentiell hohen Kosten aussetzen würde.

Die rechtlichen Unsicherheiten durch eine solche Reform des Geldsystems könnten laut Regierung der Glaubwürdigkeit der Schweizer Finanzpolitik schaden, die sich bis anhin gerade für ihre Stabilität und Verlässlichkeit auszeichnet. Für den Finanzplatz seien die Schäden nicht absehbar. Gegenüber der Konkurrenz gerate man ins Hintertreffen. Die Zukunft vieler Banken und vieler Arbeitsplätze sei gefährdet.

Zudem begrenze diese Initiative die Geschäftstätigkeit der Banken in empfindlichem Ausmass. Das Verbot, Buchgeld zu schaffen, führe dazu, über weniger Ressourcen für die Vergabe von Krediten zu verfügen, die gerade für die Banken eine zuverlässige Einnahmequelle darstellten. Um die Rentabilitätseinbussen zu kompensieren, müssten die Banken von der Kundschaft höhere Kommissionen und Gebühren verlangen. Ein Rückgang des Kreditgeschäfts hätte zudem negative Auswirkungen auf die Unternehmungen und somit auf die reale Wirtschaft.

Unabhängigkeit der Nationalbank in Frage gestellt

Nach Überzeugung der Regierung hätte diese Initiative im Falle einer Annahme zudem negative Folgen für die Unabhängigkeit der Nationalbank: Der politische Druck dürfte zunehmen, wenn die SNB jedes Jahr mehrere Milliarden Franken an die Kollektivität ausschütten würde. Die SNB könnte dazu verleitet sein, die in Umlauf befindliche Geldmenge zu erhöhen, um Bund und Kantonen mehr Geldmittel zukommen zu lassen. Die Nationalbank wäre nicht mehr frei, eine effiziente Geldpolitik zu führen, die heute auf der Festlegung von Zinsen basiert, um Preisstabilität zu garantieren.

Auch die Nationalbank selbst lehnte die Initiative klar ab. SNB-Präsident Thomas Jordan warnt davor, ein Geldsystem einzuführen, das nie getestet wurde und sich fundamental von den Systemen in allen anderen Ländern unterscheidet. Die Folge wären seiner Meinung nach Turbulenzen am Finanzmarkt, noch bevor das neue Vollgeld-System überhaupt eingeführt würde. Die Langzeitkonsequenzen sind gemäss Jordan überhaupt nicht abzusehen.

Die Initiative konnte auch die beiden Schweizer Parlamentskammern (Nationalrat und Ständerat) nicht überzeugen. Alle politischen Parteien haben die Initiative abgelehnt, mit Ausnahme einiger weniger Parlamentarier. Im Nationalrat gab es nur 9 Ja-Stimmen. 169 Nationalräte sagten Nein, 12 enthielten sich der Stimme. Der Ständerat schickte die Initiative mit 42 Nein-Stimmen und einer Enthaltung bachab. Kein einziger Ständerat sagte Ja. Im Nein-Komitee sind Vertreter aller politischen Richtungen vertreten.


(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob), swissinfo.ch  © swissinfo.ch

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