Der Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider gilt als einer der profiliertesten China-Experten Deutschlands. Im Interview spricht er über die Gründe für den wachsenden Einfluss Chinas in der deutschen Wirtschaft. Ein Decoupling als Reaktion auf die zunehmend aggressive Rhetorik Pekings hält er für eine naive Vorstellung. Die Sorge vor chinesischen Investitionen in Deutschland hält Sandschneider für übertrieben.
68 deutsche Maschinenbauunternehmen, 43 Konsumgüterhersteller, 38 Firmen der Autoindustrie und 33 Elektrotechnik-Hersteller sind komplett oder mehrheitlich in chinesischer Hand: Keinem autokratischen Land gehören derart viele Unternehmen in Deutschland. Welches Interesse haben chinesische Investoren, sich über Direktinvestitionen Einfluss in Deutschland zu sichern?
Eberhard Sandschneider: In einer globalisierten Weltwirtschaft ist das ein völlig normaler, betriebswirtschaftlicher Vorgang. Chinesische Unternehmen haben dabei das gleiche Interesse wie alle anderen Unternehmen auch: Sich weltweit zu diversifizieren, Zugang zu Know-How zu bekommen und neue Märkte zu erschliessen. Im Übrigen hat es mal eine Zeit gegeben, da waren wir Deutschen stolz, einer der grössten Geber von Direktinvestitionen in China zu sein. Das Ganze gilt nachvollziehbarerweise jetzt auch umgekehrt.
In der politischen Diskussion herrscht der Eindruck vor, bei chinesischen Investitionen handele es sich nicht in erster Linie um betriebswirtschaftliche Entscheidungen, sondern um politische. Den Verdacht, den beispielsweise Bundeswirtschaftsminister Habeck zuletzt im Zusammenhang mit dem Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco im Hamburger Hafen geäussert hat, ist: China sichere sich mit Investitionen in die kritische Infrastruktur politischen Einfluss. Deutschland werde dadurch erpressbar.
Sie sagen zu Recht: Es entsteht der Eindruck. Viele dieser Vorwürfe sind medial getrieben und von Unwissen geprägt - das führt dann zu regelrechten Hypes in der Berichterstattung, denen aber die empirische Grundlage fehlt. Wie gesagt: Die Interessen chinesischer Investoren sind in erster Linie Wachstum durch neue Märkte und Know-how. Investitionen in Deutschland gewähren ihnen zudem Zugang zum gesamten Markt der Europäischen Union. Ich halte das nicht für verwerflich.
Wie treten chinesische Investoren in deutschen Unternehmen auf?
Das Hauptinteresse der chinesischen Investoren ist die Förderung des wirtschaftlichen Erfolgs der betroffenen Unternehmen. Das tun sie in aller Regel als stiller Investor, wobei es da keine übergeordnete Strategie gibt, die für alle Situationen gilt. Was man aber sicherlich sagen kann, ist, dass diese Investitionen nicht das Ziel haben, Wettbewerber vom Markt zu beseitigen, indem Übernahmeobjekte zerstückelt werden.
"Wachsende politische Verunsicherung"
Zuletzt scheint sich der Fokus chinesischer Unternehmen in Europa verändert zu haben: Seit 2016 sind die Direktinvestitionen in Deutschland rückläufig. Ist damit auch die Zeit der milliardenschweren Übernahmen in strategischen Sektoren vorbei?
Nicht zwangsläufig. Aber der Grund für den Rückgang, das sagen chinesische Investoren inzwischen sehr deutlich, liegt in der wachsenden politischen Verunsicherung. Solange Investoren nicht sicherstellen können, dass ihre Investitionen nicht von politischen Regeländerungen betroffen sind, werden sie sich auch in Zukunft zurückhalten. Chinesische Investoren fordern das, worauf auch deutsche Unternehmen im Ausland drängen: ein stabiles, sicheres und verlässliches Investitionsumfeld. Viele meiner Gesprächspartner signalisieren, dass ihnen diese Sicherheit aktuell fehlt.
Das deutsch-chinesische Verhältnis hat sich zuletzt verschlechtert, auch weil die geopolitische Situation sich mit einer zunehmend aggressiven chinesischen Aussenpolitik gedreht hat. Welches Risiko geht davon aus, wenn Unternehmen wie Steigenberger, Mercedes-Benz oder Kuka in grossen Teilen in chinesischer Hand sind?
Dieselben Risiken, die französische, britische oder amerikanische Investoren auch auslösen: Wer im grossen Stil investiert, hat ein Mitspracherecht. Die besondere Risikowahrnehmung bei chinesischen Investoren ergibt sich vor allem daraus, dass China ein kommunistisches System ist, in dem die Regierung weite Teile der Wirtschaft kontrolliert. Das erzeugt bei uns Bauchgrummeln, für das es aber keinen echten, belastbaren Grund gibt. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, dass die KP alles daran setzt, um den Kommunismus in Europa wieder einzuführen. Das ist denen völlig egal.
Keinen belastbaren Grund? Anders als England, Frankreich oder die USA droht China mit einem militärischen Angriff auf seinen Nachbarn Taiwan.
Bei einer tatsächlichen Eskalation des Taiwan-Konflikts sind alle wirtschaftspolitischen Fragen nachrangig. Die Vereinigten Staaten haben klargemacht, dass sie in einem solchen Fall militärisch eingreifen würden. Das wäre der Einstieg in den Dritten Weltkrieg. Wie die Szenarien in einem solchen Fall aussehen, ist relativ einfach zu skizzieren: Europa ist kein militärischer Akteur in dieser Region und hätte nur die Möglichkeit, mit Sanktionen zu reagieren. China würde im Gegenzug gleichsam Sanktionen erlassen. Das heisst: Wir würden uns gegenseitig in einer konfrontativen Blockadehaltung sanktionieren.
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Um dieses Risiko zu reduzieren, wäre aber eine Wegdiversifizierung von China sinnvoll, oder?
Selbst eine gelungene Diversifizierungspolitik würde die wirtschaftlichen Schäden kaum eindämmen können. Von einem Krieg wäre die ganze Welt betroffen, egal wohin man versucht, sich zurückzuziehen. Insofern ist jetzt die Zeit, klarzumachen, was die Kosten wären. Mein Eindruck ist, dass China sehr genau weiss, wie hoch die ökonomischen, militärischen und politischen Risiken einer militärischen Konfrontation zweier Nuklearmächte sind.
"Wenn ich einen Kredit in Anspruch nehme, begebe ich mich ja auch in eine Abhängigkeit von der Bank"
Neben dem Taiwan-Risiko besteht auch ein zweites Risiko, über das zunehmend Staaten in Afrika klagen: Länder, in denen China entlang alter Handelsrouten Strassen, Bahnstrecken und Kraftwerke baut, ächzen unter hohen Zinslasten, politischer Abhängigkeit und mangelndem Umweltschutz. Sind das Risiken, auf die sich auch Deutschland und Europa einstellen müssen?
Theoretisch ja, wobei die Regulierung in Europa deutlich weiter ist als in Afrika. Ich habe insgesamt den Eindruck, dass die betroffenen Länder sich nicht ausreichend mit dem Kleingedruckten beschäftigt haben. Wenn ich einen Kredit in Anspruch nehme, begebe ich mich ja auch in eine Abhängigkeit von der Bank. Dasselbe stellen jetzt Staaten entlang der Neuen Seidenstrasse fest, die zuerst wahnsinnig glücklich waren, dass chinesische Investitionen zu ihnen geflossen sind, jetzt aber feststellen, dass damit auch Verpflichtungen einhergehen. Diese Abhängigkeit gibt es im Übrigen auch bei europäischen oder amerikanischen Investitionen, wo Kreditzusagen oft mit Vorstellungen von Demokratie oder Good Governance verbunden werden. Wenn man solche Abhängigkeiten nicht mag, darf man sich auf eine solche Investitionspolitik nicht einlassen.
Die Volksrepublik wird von deutschen Akteuren in den letzten Jahren mit grösserer Vorsicht beobachtet. Die Bundesregierung teilt beispielsweise die Einschätzungen Brüssels, China als Partner, Konkurrenten und systemischen Rivalen zu betrachten. Wie blicken andere europäische Staaten auf den wirtschaftlichen Einfluss Chinas auf Infrastruktur und Technologieunternehmen?
Sehr unterschiedlich. Und das ist ein Problem. In Europa hat eigentlich jeder Staat seine eigene China-Strategie – die baltischen Staaten eine ganz andere als Polen oder Ungarn. Darüber wölbt sich dann der Schirm der europäischen Rhetorik, der aber in der Praxis nicht durch eine schlüssige China-Politik ergänzt wird. Schlagwörter wie “Wettbewerber, Partner und systemischer Rivale” klingen zwar gut, sind aber in der Realität problematisch. Was bedeutet denn systemischer Rivale konkret? Darauf gibt es bislang keine klaren Antworten.
Wie beeinflusst Chinas wachsender Einfluss auf die deutsche Wirtschaft das Verhältnis zu anderen Handelspartnern, beispielsweise den USA oder der EU?
Der Druck seitens Amerika, sich an einer Entkopplungsstrategie zu beteiligen, wächst. Jedes Unternehmen, das sowohl auf dem amerikanischen als auch dem chinesischen Markt investiert ist, muss sich inzwischen mit dem Risiko von Sekundärsanktionen auseinandersetzen. Wir reden hier von fast jedem Unternehmen, das global operiert.
Aus unternehmerischer Sicht ist die Frage kaum zu beantworten, auf welchem Markt sie in Zukunft den grösseren Teil des globalen Umsatzes verlieren möchten - dem chinesischen oder dem amerikanischen Markt. Diese Frage kann für Unternehmen, je nach Grösse, sehr schnell existenziell werden.
Verwendete Quellen:
- lifepr.de: Neue Studie von MERICS und Rhodium Group zu chinesischen Direktinvestitionen in Europa
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