In der parlamentarischen Sommerpause herrscht alles andere als ein "Sommerloch". Dafür sorgt auch der Skandal um den insolventen Dax-Konzern Wirecard, der zunehmend die Politik beschäftigt. Diese Rollen spielen das Kanzleramt, das Finanz- und das Wirtschaftsministerium.
Die Münchner Staatsanwaltschaft hat den früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun wieder verhaftet. Das sagte die Sprecherin der Anklagebehörde, Anne Leiding, am Mittwoch vor Journalisten.
Zudem seien zwei weitere frühere Vorstände verhaftet worden, darunter der bis 2017 amtierende ehemalige Finanzvorstand. Bei den Haftbefehlen gehe es unter anderem um gewerbsmässigen Bandenbetrug und Marktmanipulation, sagte Leiding.
Ein Kronzeuge und weitere Unterlagen hätten den Ermittlern weitergeholfen: Demnach sollen die Betroffenen schon seit 2015 beschlossen haben, die Wirecard-Bilanz "aufzublähen".
Staatsanwaltschaft ermittelt
Der Betrugsskandal bei Wirecard wird auch für die Bundesregierung immer ungemütlicher. Am Mittwoch wurde bekannt, dass das Kanzleramt mehrmals Kontakt mit Wirecard-Managern und Beratern hatte - dazu gehörte auch der Ex-Geheimdienstkoordinator der Regierungszentrale.
Neben den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Manager des insolventen Dax-Konzerns richtet sich der Blick auf die Frage: Was hat die Regierung wann gewusst - und was hat sie unternommen oder unterlassen? Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags rückt näher. Innerhalb der Koalition ist ein Streit über Verantwortlichkeiten ausgebrochen.
Wirecard hatte im vergangenen Monat zuerst Luftbuchungen in Höhe von mutmasslich 1,9 Milliarden Euro eingeräumt und wenig später Insolvenz angemeldet. Am kommenden Mittwoch stellen sich Finanzminister
Kanzleramt hatte seit 2018 mehrmals Kontakt zu Wirecard-Managern
Am Mittwoch legte das Bundeskanzleramt Karten auf den Tisch. Die Regierungszentrale hatte seit Ende 2018 mehrmals Kontakt mit Wirecard-Managern und Beratern - überraschend tauchte dabei auch der Name Klaus-Dieter Fritsche auf. Fritsche war im Kanzleramt von 2014 bis zum Frühjahr 2018 Staatssekretär und zuständig für die Geheimdienste.
Fritsche wandte sich nach Angaben eines Regierungssprechers am 13. August 2019 an das Kanzleramt und bat um einen Gesprächstermin für die Wirecard AG bei Merkels Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller am 11. September 2019. Zur Vorbereitung bat das Kanzleramt beim Finanzministerium um Informationen zum Unternehmen.
Das Ressort von Scholz schickte dann "öffentlich verfügbare Informationen" ans Kanzleramt - darunter Antworten der Regierung auf Anfragen der Opposition, bei denen es um Vorwürfe gegen Wirecard ging, etwa zu Unregelmässigkeiten bei der Rechnungslegung.
Wirecard hat wohl keine Hilfen aus Kanzleramt eingefordert
Fritsche sagte dem "Spiegel", im Sommer 2019 habe ihn ein Freund gefragt, ob er für Wirecard einen Kontakt zum Kanzleramt organisieren könne. "Da es eins von nur vier Dax-Unternehmen aus Bayern ist, habe ich zugesagt und einen Termin mit Herrn Röller angefragt." Weiter sagte er: "Wir haben ganz zivil geredet, es wurden keine Hilfe aus dem Kanzleramt oder gar der
Auch Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg machte Lobbyarbeit für Wirecard und hatte im Zusammenhang mit einer China-Reise von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Kontakt zum Kanzleramt. Auf der Reise im September 2019 sprach Merkel das Thema der geplanten Übernahme des chinesischen Unternehmens AllScore Financial durch Wirecard an.
Merkel habe zum Zeitpunkt der Reise "keine Kenntnis von möglichen schwerwiegenden Unregelmässigkeiten bei Wirecard" gehabt, so der Sprecher. Die Regierung setze sich in ihren bilateralen Kontakten mit anderen Ländern regelmässig auch für die wirtschaftlichen Interessen deutscher Firmen in diesen Ländern ein.
Weiter hiess es, in einem Telefonat mit Röller habe der inzwischen zurückgetretene Wirecard-Vorstandschef Markus Braun am 20. Mai 2020 den Vorwurf der Bilanzfälschung zurückgewiesen und vollständige Aufklärung zugesichert. Linke-Fraktionsvize Fabio De Masi sagte zu den neuen Details: "Die Affäre Wirecard wird immer undurchsichtiger."
Finanzministerium wusste schon 2019 Bescheid
Im Fokus steht auch das Finanzministerium. Einer Aufstellung zufolge traf sich Finanzstaatssekretär Jörg Kukies am 5. November 2019 mit dem Wirecard-Chef Braun zu einem persönlichen Gespräch - an Brauns Geburtstag. Kukies habe den Manipulationsverdacht angesprochen sowie die Sonderprüfung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, so das Ministerium.
Finanzminister Scholz wurde am 19. Februar 2019 darüber unterrichtet, dass die Finanzaufsicht Bafin den Fall Wirecard wegen des Verdachts des Verstosses gegen das Verbot der Marktmanipulation untersuche. Scholz sagte der "Zeit", er sei mit einer Vorlage über den Sachstand unterrichtet worden, der bereits weitgehend öffentlich bekannt gewesen sei.
Es sei etwa darum gegangen, dass die Bafin von der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung eine Prüfung des Halbjahresabschlusses von Wirecard verlangt habe, um Vorwürfe gegen das Unternehmen aufzuklären. Wirecard sei seit fast zehn Jahren von einem grossen Wirtschaftsprüfungsunternehmen geprüft worden, ohne dass dabei Erkenntnisse über die Unregelmässigkeiten zutage gefördert worden wären.
Der Finanzminister hat angekündigt, Versäumnisse aufzuklären, ausserdem will er Reformen. Der "Zeit" sagte er, die Bafin solle mehr in Richtung der amerikanischen Finanzaufsicht SEC gehen, die umfassendere Befugnisse habe. Ausserdem sollen Wirtschaftsprüfer bei Unternehmen häufiger wechseln.
Oppositionspolitiker hatten Scholz bereits aufgefordert, spätestens bei der Sondersitzung des Finanzausschusses alle Fakten auf den Tisch zu legen, auch angesichts von vielen geschädigten Anlegern.
Wirtschaftsministerium trägt zu wenig zur Aufklärung bei
Die SPD wirft Wirtschaftsminister
Eine Sprecherin Altmaiers hatte gesagt: "Alle beteiligten Stellen sind aufgefordert, die unsäglichen Vorfälle bei Wirecard aufzuklären, das gilt selbstverständlich auch für alle betroffenen Bundesressorts." Allerdings lägen Regelungen für die Wirtschaftsprüfer und die Anforderungen an die Prüfungen in der Zuständigkeit des Justizministeriums - das wiederum ist SPD-geführt. Die Abschlussprüferaufsichtsstelle APAS sei hingegen eine unabhängige berufsrechtliche Aufsicht über Wirtschaftsprüfer. (dpa/AFP/lh)
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