Die weltweit anerkannte Ratingagentur Moody's stuft das Unternehmen Wirecard bezüglich dessen Kreditwürdigkeit nur noch als "Ramsch" ein: Bei dem Bezahldienstleister sind 1,9 Milliarden Euro Bilanzvermögen spurlos verschwunden. Gründer und Vorstandschef Markus Braun ist zurückgetreten. Was war passiert? Eine Chronologie, die sich wie ein Wirtschafts-Krimi liest.

Mehr Wirtschafts-Themen finden Sie hier

Wie verschwinden 1,9 Milliarden Euro? Vor dieser Frage steht der Bezahldienstleister Wirecard. Die Existenz des bayerischen Unternehmens ist bedroht, die Aktie rauschte in die Tiefe, der Firmengründer trat zurück. Die Chronologie der Ereignisse.

Wirecard: Was ist passiert?

  • Wirecard glaubte, auf Treuhandkonten in Asien über ein Vermögen von 1,9 Milliarden Euro zu verfügen. Diese Gelder wurden als Aktivposten in der Bilanz ausgewiesen. Sie existieren aber allem Anschein nach nicht.
  • Am 19. Juni hatten die philippinischen Banken BDO Unibank und Bank of the Philippine Islands mitgeteilt, dass der deutsche Dax-Konzern kein Klient bei ihnen sei.
  • Am 21. Juni teilte auch die Zentralbank in Manila mit, dass die fehlenden Milliarden wohl nicht auf den Philippinen seien.
  • Verwaltet wurden die Konten vom philippinischen Anwalt Mark Tolentino. Der wurde 2018 als Abteilungsleiter im philippinischen Verkehrsministeriums wegen "fragwürdiger Geschäfte" von Präsident Rodrigo Duterte entlassen.
  • Die Bilanzprüfer von Ernst & Young (EY) sehen Hinweise auf Bilanztäuschung bei Wirecard. Dem Unternehmen fehlt dadurch noch immer das Testat für die Jahreszahlen 2019.
  • Bis einschliesslich der Bilanz für 2018 hatte EY nie etwas auszusetzen am Zahlenwerk des Konzerns, auch in den Jahren, als von aussen bereits massive Vorwürfe erhoben wurden, berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".
  • Im Spätherbst 2019 beauftragte Wirecard wegen der anhaltenden Bilanzfälschungsvorwürfe den EY-Konkurrenten KPMG mit einer Sonderprüfung. KPMG schloss diese Prüfung mit einem sehr kritischen Bericht ab. Unter anderem fand die Firma keine Belege für Zahlungsströme in Höhe von 1,9 Milliarden Euro.

Wie reagierte die Börse?

  • Der Aktienkurs von Wirecard brach dramatisch ein, am 18. Juni bereits um mehr als 60 Prozent. Der Kurssturz setzte sich tags darauf fort. Die Aktie fiel um bis zu 82 Prozent.
  • Zu Beginn der neuen Woche büsste das Papier im frühen XETRA-Handel weitere 44,46 Prozent ein, fiel auf einen Kurswert von 14,34 Euro.

Wie reagierte das Unternehmen?

  • Vorstandschef Markus Braun sprach zunächst von möglichen "betrügerischen Vorgängen". Sein Unternehmen werde Anzeige gegen unbekannt stellen.
  • Ein Vorstandsmitglied wurde am 18. Juni mit sofortiger Wirkung freigestellt.
  • Am Tag darauf trat Firmengründer Braun selbst von seinem Vorstandsposten zurück.
  • Interimsmässig wurde James Freis zum Nachfolger Brauns befördert. Der 49-jährige US-Amerikaner hatte erst am Tag zuvor innerhalb des Vorstands die Positon des Beauftragten für "Integrity, Legal and Compliance" bezogen, gilt deshalb in der Bilanz-Affäre als unbelastet.

Lesen Sie auch: Ex-Wirecard-Chef Markus Braun wurde festgenommen

Wie lauten die Aussichten für Wirecard?

  • Der Kursverfall der Aktie dürfte sich fortsetzen. Es droht eine Klagewelle seitens betroffener Partner-Unternehmen und Aktionären.
  • Als Kunden nennt Wirecard zum Beispiel die Airline KLM, den Haushaltsartikel-Spezialisten WMF oder den Paketdienst FedEx
  • Ein Händler an der Frankfurter Börse sagte nach Information des Portals "Finanzen.net": "In das fallende Messer will keiner 'reingreifen." Die Zukunft des Unternehmens sei "aktuell mehr als unsicher." Die Banken könnten Wirecard den Geldhahn abdrehen.
  • Die Ratingagentur Moody's stufte die Kreditwürdigkeit Wirecards innerhalb des spekulativen Grads in die Kategorie "Ramsch" ab, in Englisch: "junk bond".
  • Die IT-Systeme von Wirecard liefen noch ohne Einschränkungen, teilte das Unternehmen mit.

Was unternimmt Wirecard?

  • Das Unternehmen meldete, es stehe mit Hilfe der am 19. Juni angeheuerten Investmentbank Houlihan Lokey weiterhin in "konstruktiven Gesprächen" mit den kreditgebenden Banken.
  • Wirecard nahm alle Prognosen zur künftigen Geschäftsentwicklung und die Zahlen für das erste Quartal zurück. "Mögliche Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorangegangener Geschäftsjahre können nicht ausgeschlossen werden", hiess es in einer Mitteilung weiter.
  • Wirecard will Schritte prüfen, das Geschäft fortzuführen. Darunter seien Kostensenkungen sowie Umstrukturierungen, Veräusserung oder Einstellungen von Unternehmensteilen und Produktsegmenten.

Was steckt hinter dem Unternehmen Wirecard?

  • Wirecard ist eines der Unternehmen, deren Dienste Verbraucher oft in Anspruch nehmen, ohne es zu wissen. Der Münchner Dax-Konzern wickelt Kartenzahlungen sowohl an Ladenkassen als auch im Online-Geschäft ab..
  • Wirecard ist seit über einem Jahr in Bedrängnis, seit die Londoner "Financial Times" dem Management in einer Serie von Artikeln Bilanzmanipulationen vorwarf. Auch die Finanzaufsicht Bafin und die Münchner Staatsanwaltschaft untersuchen verschiedene Aspekte im Fall Wirecard.
  • Für das Kerngeschäft hat Wirecard in Europa eine Bank, die als Mittelsmann dafür sorgt, dass das Geld von den Kartendiensten zu den Händlern kommt.
  • In anderen Ländern, wo Wirecard keine solchen Lizenzen hat, arbeitet die Firma dafür mit Partnern zusammen.
  • Wirecard bietet eine Palette von Dienstleistungen rund ums Bezahlen an. Neben der Integration in Kassensysteme und der Unterstützung verschiedener Bezahlmethoden gehören dazu auch Sicherheitsvorkehrungen gegen Betrugsversuche.

(dpa/AFP/hau)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.