Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis beschreibt in München seine Vision für Europa: Die jetzige Währungsunion sei zum Scheitern verurteilt. Er fordert mehr Investitionen – und Lebensmittel-Gutscheine für Bedürftige.
Drei Jahre ist es inzwischen her, dass
Auch wenn er sein Amt schnell wieder aufgab: Der Name des Wirtschaftswissenschaftlers steht noch heute für den entschiedenen Widerstand vieler Griechen gegen die Sparauflagen der EU und vor allem Deutschlands.
Als das vor der Pleite stehende Griechenland mit seinen europäischen Partnern über Hilfskredite verhandelte, trat Varoufakis besonders hart auf.
Umso überraschender ist auf den ersten Blick der Titel des Vortrags, den er am Montagabend im Münchener ifo-Institut hält: "Warum Deutschland für die Rettung der Eurozone nicht zahlen kann und nicht zahlen sollte."
Kritik an Sparauflagen – und an Geldtransfers
Hat hier etwa jemand seine Standpunkte geändert? Varoufakis bestreitet das – vielmehr sei er von Anfang an falsch verstanden worden.
Der 57-Jährige ist überzeugt, dass Griechenland unter den Bedingungen, unter denen es seine Kredite erhielt, gar nicht aus der Wirtschaftskrise finden kann.
Die harten Sparauflagen hätten dafür gesorgt, dass die Griechen ein Viertel ihres Einkommens verloren. Und wenn sich die Wirtschaft nicht erholen könne, sei es ineffizient und unverantwortlich, immer wieder das Geld anderer europäischer Steuerzahler in das Land zu stecken.
Das sei auch der Grund für seinen Rücktritt als Finanzminister gewesen: "Ich hätte niemals einen Kreditvertrag geschlossen, bei dem von Beginn an völlig klar war, dass dieses Geld nicht zurückgezahlt werden könnte und würde", sagt Varoufakis.
"Wenn man pleite ist, gilt die moralische und politische Pflicht, kein Geld mehr zu leihen, bis die Insolvenz überstanden ist." Und selbst ein grosses Land wie Deutschland könne nicht die gesamte Euro-Zone retten.
"Nur die Feinde Europas profitieren"
Diese negativen Effekte für beide Seiten – ein desaströser Sparkurs für die Griechen und der Geldverlust für die Menschen in den Geberländern – haben laut Varoufakis vor allem gegenseitiges Misstrauen zur Folge.
"Von diesen giftigen Schuldzuweisungen profitieren nur die Feinde Europas", sagt er – und das habe er auch schon 2015 geschrieben.
Durch die neuesten Entwicklungen sieht sich der Grieche bestätigt: In Italien haben rechte Populisten und Euro-Kritiker gerade die Regierung übernommen.
Über den neuen italienischen Innenminister Matteo Salvini sagt Varoufakis: "Ich kann Ihnen versichern: Herr Salvini träumt davon, den Euro zu verlassen. Für ihn ist das ein Ziel, keine Gefahr."
Auch wenn er selbst häufig gegen die herrschenden Eliten wetterte: Mit den neuen Mächtigen in Italien will Varoufakis sich nicht vergleichen lassen: "Kein Vorwurf hat mich stärker verletzt als der, ein Anti-Europäer zu sein", sagt er.
Lebensmittel-Gutscheine, grüne Energie, EZB-Anleihen
Am jetzigen System der Währungsunion lässt der überzeugte Europäer kein gutes Haar: Das sieht er zum Scheitern verurteilt. Wie könnten die Alternativen aussehen?
Der bekennende Linke nennt einen Weg, den auch einige Politiker aus dem rechten Spektrum fordern: ein Ende der Währungsunion in ihrer heutigen Form.
Wenn die grossen Unterschiede zwischen wirtschaftsstarken Ländern wie Deutschland, den Niederlanden und Österreich auf der einen Seite sowie dem armen europäischen Süden auf der anderen Seite bestehen bleiben, könne dieses System nicht mehr funktionieren.
Deutschland und andere "Überschuss-Länder" könnten ihre eigene Währungszone formen. Das ist laut Varoufakis eine Möglichkeit – aber nicht diejenige, die er bevorzugt.
Stattdessen beschreibt der Grieche eine Vision – Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron würden auf einer Pressekonferenz folgende Massnahmen ankündigen:
Die Überschüsse der Europäischen Zentralbank würden als Schecks an bedürftige Europäer ausgezahlt werden. Die Empfänger könnten diese Schecks jede Woche gegen Lebensmittel eintauschen. "Sie werden sich europäisch fühlen", verspricht Varoufakis.
Der zweite Vorschlag: 2,5 bis 3 Billionen Euro, die laut Varoufakis als nicht-investiertes Kapital im europäischen Finanzsystem feststecken, sollen in die Schaffung einer nachhaltigen "grünen Energie-Union" fliessen.
Das würde nicht nur Jobs schaffen, sondern Europa auch weniger abhängig von russischem Gas machen, so der Ökonom.
Drittens soll die EZB nach seiner Vorstellung eigene Anleihen auf den Markt bringen. Die Vorstände von schlecht wirtschaftenden Banken will Varoufakis zudem entmachten und so der Korruption entgegenwirken.
Dass Merkel und Macron tatsächlich einmal diese Massnahmen ankündigen, glaubt auch Varoufakis nicht.
Trotzdem ist er überzeugt: Europa brauche wieder eine "Rede der Hoffnung".
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