"Die Geschichte erinnert die Leute an ihr eigenes Leben" - Marine-Historikerin Kathrin Orth erklärt im Interview, warum uns die Meuterei auf der Bounty 225 Jahre später noch immer begeistert.
Wie muss man sich das Leben auf einem Schiff wie der "Bounty" vorstellen?
Kathrin Orth: Im 18. Jahrhundert waren Schiffe oft Monate, teils sogar Jahre unterwegs. Eine grosse Menge an Menschen war auf engstem Platz zusammengepfercht. Da blieben Konflikte nicht aus. Ausserdem hatte man damals noch nicht die Möglichkeit, reines, sauberes Wasser mitzuführen, das wurde schnell brackig. Also bekamen die Seeleute dünnes Bier zu trinken und natürlich den Grog, also stark verwässerten und mit Zitronensaft versetzten Rum. Der Alkoholkonsum führte leicht zu Trunkenheit und Streitigkeiten unter den Seeleuten. Dann wurden auch mal Pflichten vernachlässigt oder einem Vorgesetzten widersprochen. Im offiziellen Sprachgebraucht hiess das "Befehlsverweigerung". Doch Meutereien wie auf der "Bounty" waren die Ausnahme.
Wie kam es zur Meuterei auf der Bounty?
Die Bounty war 1787 mit 46 Mann von England in die Südsee aufgebrochen, um von dort Brotfrüchte nach Westindien zu bringen, die als Lebensmittel für die dort lebenden Sklaven dienen sollten. Nach einer langen beschwerlichen Fahrt kam man nach zehn Monaten Fahrt in Tahiti an. Dort mussten die Seeleute zunächst warten, da man zu der Jahreszeit keine Brotfruchtbaum-Stecklinge aufnehmen konnte. Die Besatzung blieb also fünf Monate auf Tahiti. Die Männer lernten Tahitianerinnen kennen und genossen das Leben. Entsprechend schwer fiel dann die Abreise.
Und das führte dann zur Meuterei?
Nein, dazu kam es erst später. Nach einigen Wochen auf See bezichtigte der Kommandant des Schiffes, William Bligh, Fletcher Christian, den zweiten Offizier an Bord, sich am Kokosnussvorrat vergriffen zu haben. Flechter fühlte sich dadurch so angegriffen, dass er sich betrank und seinen Frust laut kundtat. Es hatte schon vorher häufig Streit zwischen den beiden gegeben, wobei Bligh Christian vor versammelter Mannschaft abgekanzelt hatte. Christians Unmut stiess bei einigen Matrosen auf offene Ohren. Erst überlegte er, mit einem Floss nach Tahiti zurück zu fahren. Dann entschied man offenbar, das Schiff zu behalten und Bligh mit einem Beiboot auszusetzen.
Heute aber kennen wir Bligh als fiesen, brutalen Kapitän. Wie passt das zusammen?
Damals wurde von Flechters Angehörigen eine regelrechte Rufmordkampagne gestartet, die Bligh als skrupellosen Kommandanten darstellte. Das hat sich dann auch auf Bücher und Spielfilme übertragen. Was aber stimmt ist, das Bligh einen aufbrausenden Charakter hatte. Wenn jemand nicht seinen hohen Anforderungen entsprach, hat er ihn angeschrien. Bligh war aber ein sehr guter Seemann - und er hat erstaunlich wenig bestraft.
Wie liefen Bestrafungen damals ab?
Was man in den Logbüchern am häufigsten sieht, ist das Auspeitschen mit der neunschwänzigen Katze. Wenn man bei einem Vergehen erwischt wurde, wurde man zunächst in Eisen gelegt, damit sich die Gemüter beruhigen. Am nächsten Tag wurde dann die ganze Besatzung versammelt, meist um die Mittagszeit herum. Dann verlas der Kapitän die Kriegsordnung. Die Strafe hiess dann häufig Auspeitschen. Bei Diebstahl hingegen hiess die Strafe manchmal Spiessrutenlauf. Alle stellten sich mit Tauenden in der Hand in zwei Reihen auf. Und dann wurde der Delinquent dort durchgeführt und jeder schlug auf ihn ein. Dabei ging es vor allem um die Abschreckung. Das entsprach dem damaligen Rechts- und Strafsystem und wurde von den Seeleuten akzeptiert. Auch an Land wurden Verbrecher für bestimmte Vergehen ausgepeitscht.
Was fasziniert die Menschen also noch heute an Geschichten wie der Meuterei auf der Bounty?
Da ist zum einen das Prinzip David gegen Goliath, und zum anderen der Mut, so eine Meuterei anzuführen. Zum anderen gibt es den Aspekt des Abenteuers und der Exotik von Tahiti und Südsee, welche die Phantasie der Leute anregen. Hinzu kommt, dass das Schiff ganz allein auf den Weiten des Meeres unterwegs ist. Die Menschen müssen miteinander auskommen, haben keine Fluchtmöglichkeit. Viele Leute haben das auch mal erlebt, waren etwa lange Zeit im Auto unterwegs oder bekamen in einer einsamen Skihütte Langeweile. Die Frage ist doch immer wieder: Wie kommt man damit zurecht, wenn viele Leute auf engem Raum aufeinandersitzen? Da sind klare Regeln und Kommunikation gefragt, und – was auf der Bounty offenbar nicht so gut funktionierte - gute Menschenführung.
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