Du fehlst mir, schmachten die Verliebten. Du meldest dich viel zu selten, beschweren sich die Mütter. Heute via Kurznachricht - vor zweieinhalb Jahrhunderten in Briefen, wie die Analyse einst beschlagnahmter und lange nicht gelesener Botschaften zeigt.
Liebe in Zeiten des Krieges: Rund 265 Jahre lang blieben einst von Grossbritannien beschlagnahmte Liebesbriefe und Familienbotschaften an französische Seeleute ungelesen - nun wurden sie geöffnet und ausgewertet. Ihr Inhalt biete bewegende Einblicke in die Liebe, das Leben und familiäre Streitigkeiten der Menschen damals, von Bauernfamilien bis hin zu wohlhabenden Offiziersfrauen, berichtet Renaud Morieux von der Universität Cambridge im Fachjournal "Annales Histoire Sciences Sociales".
"Ich könnte dir die ganze Nacht schreiben ... Ich bin deine immer treue Frau", schrieb demnach Marie Dubosc 1758 an ihren Mann. Der habe den Brief nie erhalten - und Marie Dubosc sei ohne ein Wiedersehen im Jahr darauf gestorben. "Ich kann es kaum erwarten, dich zu besitzen", habe wiederum Anne Le Cerf ihrem Mann geschrieben und mit "Deine gehorsame Frau Nanette" unterzeichnet.
"Es war sehr emotional"
Die mehr als 100 Briefe von 1757 und 1758 waren demnach von Verlobten, Ehefrauen, Eltern und Geschwistern an Seeleute auf dem französischen Kriegsschiff "Galatée" mit seiner 181-köpfigen Besatzung geschickt worden. Die französische Postverwaltung habe damals versucht, die Briefe an das Schiff zuzustellen, indem sie sie von Hafen zu Hafen weitergeschickt habe, aber sie seien immer zu spät gekommen. Die Briefe wurden während des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) schliesslich von der britischen Royal Navy beschlagnahmt und in die Admiralität in London gebracht. Inzwischen befinden sie sich in den National Archives in Kew, einem Stadtteil der britischen Hauptstadt.
"Es gab drei Stapel Briefe, die mit Bändern zusammengehalten wurden", sagte Morieux einer Mitteilung vom Dienstag zufolge. "Mir wurde bewusst, dass ich der erste Mensch war, der diese äusserst persönlichen Nachrichten gelesen hat, seit sie verfasst wurden. Es war sehr emotional." Dabei war es nach Angaben seiner Universität auch mühselig für Morieux, die Briefe zu entschlüsseln, die von fehlenden Satzzeichen und Grossbuchstaben sowie generell wilder Rechtschreibung geprägt seien.
Beschwerde: Zu selten bei Mama gemeldet
Einige der bemerkenswertesten Briefe seien an den jungen Matrosen Nicolas Quesnel aus der Normandie geschickt worden, hiess es. Ihm habe im Januar 1758 seine 61-jährige Mutter Marguerite geschrieben - beziehungsweise schreiben lassen, da sie selbst höchstwahrscheinlich Analphabetin war. Darin ging es vor allem um die Beschwerde, dass der Sohn sich so selten bei ihr melde. "Ich denke, ich stehe kurz vor dem Grab, ich war drei Wochen lang krank", heisst es im Brief auch - eine Druck-machende Bemerkung.
Einige Wochen später wiederum habe Nicolas' Verlobte Marianne ihm in einem Brief befohlen, seiner Mutter zu schreiben und ein guter Sohn zu sein. Und im März 1758 folgte erneut eine Beschwerde Marguerites: "In deinen Briefen erwähnst du nie deinen Vater. Das verletzt mich sehr. Nächstes Mal, wenn du mir schreibst, vergiss deinen Vater bitte nicht."
Sehr vertraute Nachrichten
Die Schreiben handelten von persönlichen Angelegenheiten, sagte der Wissenschaftler. "Sie enthüllen, wie sehr wir alle mit grossen Herausforderungen im Leben umgehen müssen. Wenn wir von geliebten Menschen getrennt sind durch Ereignisse jenseits unserer Kontrolle wie Pandemien oder Kriege, versuchen wir, Kontakt zu halten, uns zu versichern, für Menschen zu sorgen und die Leidenschaft am Leben zu halten", sagte Morieux. "Heute haben wir Zoom und WhatsApp. Im 18. Jahrhundert hatten die Menschen nur Briefe, aber worüber sie schrieben, klingt sehr vertraut."
Klar machten die Briefe zudem, dass die damalige Schreibkultur Analphabeten keineswegs ausschloss. Die Menschen hätten einem Schreibkundigen in der Verwandtschaft oder Bekanntschaft mitgeteilt, was sie sagen wollten - oder sich empfangene Botschaften von ihm vorlesen lassen, sagte Morieux. "Miteinander in Kontakt zu bleiben, war eine Gemeinschaftsleistung." (dpa/mak)
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