Vor mehr als 100 Jahren veruntreute der Bankangestellte William Sydney Porter Geld, um die Arztrechnungen seiner schwer kranken Frau zu begleichen. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen konnte: Diese Tat würde ihn nicht nur zum Literaten machen, sondern auch zum Erfinder eines Ausdrucks, der bis heute verwendet wird: "Bananenrepublik". Der Begriff entwickelte sich mit Blick auf korrupte politische Systeme in Lateinamerika – eine Zuschreibung, die bei genauerem Blick in die Geschichte aber Risse bekommt.

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Ende des 19. Jahrhunderts war die Banane in Europa und den USA noch eine exotische Kuriosität. Kaum jemand kannte die Frucht, die botanisch betrachtet eigentlich eine Beere ist. Erst 1870 erkannte der US-Geschäftsmann Lorenzo Dow Baker, dass sich damit möglicherweise reichlich Profit machen lässt. Er importierte also Bananen im grossen Stil aus Jamaika und sorgte mit geschicktem Marketing für eine wachsende Nachfrage.

Wenige Jahre später übernahmen Unternehmen wie die 1899 gegründete United Fruit Company einen Grossteil dieses Marktes. Sie legten in Mittelamerika – unter anderem in Honduras – riesige Plantagen an. In genau dieses Land flüchtete William Sydney Porter 1896, als gegen ihn wegen Veruntreuung Anklage erhoben wurde. Dort erlebte er den Beginn des globalen Fruchthandels mit all seinen Auswirkungen und beschloss, diese Eindrücke literarisch zu verarbeiten.

US-Unternehmen breiten sich in Zentralamerika aus

Die US-amerikanische United Fruit Company wurde binnen kürzester Zeit nicht nur zu einem riesigen Unternehmen, sondern auch zu einem mächtigen politischen Akteur in Mittel- und Südamerika. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts kontrollierte sie als Monopolist grosse Territorien und Transportwege und wurde zum grössten Arbeitgeber in Zentralamerika. Die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen waren jedoch oft erbärmlich und führten immer wieder zu Aufständen.

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Während Porter diese Entwicklungen in Honduras aus nächster Nähe sah, verschlechterte sich der Gesundheitszustand seiner Frau dramatisch. Er kehrte in die USA zurück, wo er schliesslich für kurze Zeit ins Gefängnis musste. Seine Erlebnisse verarbeitete er in Kurzgeschichten, die er fortan unter dem Pseudonym O. Henry an Magazine schickte.

Binnen kürzester Zeit gewannen O. Henrys Geschichten an enormer Popularität. Besonders bekannt wurde die Erzählung "Rouge et Noir", in der das fiktive Land Anchuria – "eine kleine, maritime Bananenrepublik", wie er das Land nannte – im Mittelpunkt steht. Anchuria ist ganz offensichtlich an Honduras angelehnt und wird als derart korrupt und instabil beschrieben, dass die Geschichte aus heutiger Sicht beinahe wie eine Parodie wirkt.

Begriff der "Bananenrepublik" etabliert sich

Tatsächlich litten viele lateinamerikanische Länder zu dieser Zeit unter Instabilität und Korruption. Honduras etwa hatte in den ersten 40 Jahren seiner Unabhängigkeit im Jahr 1821 bereits rund 30 verschiedene Präsidenten erlebt. Hinzu kam, dass Unternehmen wie die United Fruit Company oder die Cuyamel Fruit Company faktisch einen "Staat im Staat" bildeten und grosse Landstriche ausbeuteten.

Wie mächtig diese Firmen wurden, zeigte sich am Sturz des honduranischen Präsidenten Miguel R. Dávila im Jahr 1911, der vor allem vom Unternehmer Sam Zemurray finanziert wurde. Zemurray war Gründer der Cuyamel Fruit Company, die später von der United Fruit Company aufgekauft wurde. Er wurde dort anschliessend Direktor und nutzte seinen Einfluss weiter.

All diese Vorgänge sorgten dafür, dass O. Henrys literarische "Bananenrepublik" schnell zum Schlagwort für mittelamerikanische Länder wurde, die als Marionetten von US-amerikanischen Fruchtmonopolisten galten.

Dass diese Fruchtunternehmen selbst einen erheblichen Anteil an der politischen Instabilität trugen und skrupellos Verbrechen begingen, wird dabei häufig übersehen. Beim sogenannten "Bananenmassaker" von 1928 etwa erschossen kolumbianische Truppen auf Geheiss der United Fruit Company mehrere Hundert streikende Arbeiter.

Der Blick in die Gegenwart

Heute werden jährlich weltweit schätzungsweise rund eine Billion Bananen weltweit pro Jahr verzehrt. Das Nachfolgeunternehmen der United Fruit Company existiert noch immer als grosser Player im globalen Bananengeschäft. Seit der Umbenennung in Chiquita Brands International (1984) vermarktet das Unternehmen die Früchte unter dem Namen "Chiquita-Bananen" bis heute. In Europa hält Chiquita schätzungsweise bis zu 20 Prozent Marktanteil – genaue Zahlen schwanken je nach Quelle und Region.

Der Schöpfer des Begriffs "Bananenrepublik" wurde in den USA ein gefeierter Autor von Kurzgeschichten und veröffentlichte mehrere Bücher. Dennoch kam er, so heisst es, nie über den Tod seiner Frau hinweg. Seine letzten Jahre waren geprägt von Geldsorgen, Alkoholproblemen und einer unglücklichen zweiten Ehe. 1910 starb er im Alter von nur 57 Jahren. Bis heute wird in seinem Namen aber jährlich ein O. Henry Award für herausragende Kurzgeschichten vergeben.

Verwendete Quellen

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