1932 startet Oskar Speck seine unglaubliche Reise. Er paddelt auf einem winzigen Faltboot sieben Jahre lang 50.000 Kilometer bis nach Australien. Der Nichtschwimmer wird beschossen, ausgeraubt, kommt in Kriegsgefangenschaft - und findet trotzdem am Ende sein Glück.
Kein Job, keine Zukunft, aber viel Paddelerfahrung – so könnte man die Gemengelage zusammenfassen, in der der damals 25-jährige Oskar Speck im Mai 1932 in Ulm in sein Kajak steigt und auf der Donau losfährt.
In einer Zeitung hat er von Kupferminen auf Zypern gelesen, die gut bezahlte Arbeit versprechen. Weil der Hamburger bereits seit seiner Jugend im Faltbootklub ist, beschliesst er, dorthin zu paddeln. Es ist der Beginn einer Reise, die ihn 50.000 Kilometer bis nach Australien führen wird. "Ich war verrückt", wird er später schreiben.
Der wilde Fluss Vardar
Für die kommenden sieben Jahre ist ein fünf Meter langes Boot die Heimat von Speck. Gesponsert von der Faltbootwerft Pionier, hat Speck den zweiten Sitz entfernt, um mehr Stauraum zu bekommen. Sein Gepäck: Kompass, Karten, Wasser, Kondensmilch, Sardinen und Fleisch in Dosen, etwas Kleidung und ein Fotoapparat.
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Die ersten Wochen seiner Reise verlaufen ohne grössere Zwischenfälle, bis er beschliesst, von der Donau auf den Fluss Vardar zu wechseln. Der zu diesem Zeitpunkt komplett wilde Strom soll ihn bei Griechenland zum Mittelmeer bringen.
Doch sein Boot hält dem wilden Fluss nicht stand. Die Hälfte der Rippen bricht durch Kollisionen mit Felsen. "Es war hoffnungslos, weiterzufahren", schreibt Oskar später in seinem Reisebericht. "Ich schickte die Aussenhaut des Kajaks zur Reparatur nach Deutschland, und sie leisteten so gute Arbeit, dass der mazedonische Zoll darauf bestand, dass es sich um ein neues Boot handelte, als ich es zurückbekam." Als die Ersatzteile kommen, ist der Fluss zugefroren. Oskar muss vier Monate lang warten, bis er schliesslich im Frühling 1933 das Mittelmeer erreicht.
Zypern ist nicht genug
Speck paddelt immer nahe an der Küste. Das macht seine Reise zwar länger, erhöht aber auch seine Sicherheit. Als er Zypern erreicht, ist ihm die Lust, in Minen zu arbeiten, längst vergangen. Er beschliesst, den Euphrat zu erpaddeln. "Ich wollte viel mehr eine Kajakreise machen, die in die Geschichte eingehen würde", sagt er 1956 der Zeitung "Australian Post".
Auf dieser Flussreise wird er angeschossen und beraubt. Unbekannte stehlen sein Boot, sein Geld und seinen Pass in der Region Belutschistan am Persischen Golf. Er überzeugt zwei örtliche Polizisten, ihm zu helfen und verspricht, sein Bargeld beim Auffinden des Bootes zu teilen. Am kommenden Morgen kann er seine Reise fortsetzen.
Malaria bis zum Ende der Reise
Oskar ist in diesem Abschnitt seiner Reise aber vom Pech verfolgt: Wenig später kentert sein Boot erneut und er fängt sich Malaria ein, die ihn den Rest seiner Reise begleiten wird. Die Pionier-Faltbootwerft ersetzt sein Kajak insgesamt viermal.
Durch Zeitungsartikel und Reiseberichte, die er nach Berlin schickt, verdient er ein wenig Geld nebenbei. Mit dem neuen Boot geht seine Reise über den Persischen Golf nach Indien weiter. Im Mai 1935, drei Jahre nach Beginn seiner Fahrt, erreicht er die Stadt Colombo.
Doch das öffentliche Interesse in Deutschland wird weniger. Im Jahr darauf beginnen die Olympischen Spiele in Berlin, die das NS-Regime gezielt zur Propaganda nutzt. Oskar Speck ist als Aushängeschild deutschen Abenteuergeistes zu weit weg.
Durch die Monsunzeit fährt er an der indischen Küste entlang und kämpft gegen Wind und Regen. Er schreibt in seinem Bericht: "Am nächsten Morgen paddelte ich immer noch unermüdlich, fast genau dort, wo ich in der letzten Abenddämmerung war."
Monate später kommt er in Singapur an, wo bereits ein neues Boot auf ihn wartet. Mehr als zwei Jahre wird Oskar brauchen, um 1938 Neuguinea zu erreichen. In der Zwischenzeit kämpft er gegen Malaria-Schübe und Angriffe indigener Stämme.
Rekordfahrt unter einer Glocke
Als Speck 1939 Australien erreicht, ist die Welt eine andere – nur, dass er es nicht wirklich mitbekommen hat. Der Zweite Weltkrieg ist ausgebrochen und Australien als britische Kolonie im Krieg gegen Nazi-Deutschland.
Bei seiner Ankunft wird der mittlerweile 32-Jährige nicht für einen Abenteurer gehalten. Drei Offiziere fangen ihn ab. Laut Oskars Reisebericht sollen sie gesagt haben: "Gut gemacht, Kumpel. Sie haben es geschafft - von Deutschland nach Australien. Aber jetzt haben wir eine schlechte Nachricht für Sie. Sie sind ein feindlicher Ausländer. Wir werden Sie internieren."
Sein Glück findet er Down Under dennoch. Innerhalb kurzer Zeit verdient er ein Vermögen im Diamanthandel und beschliesst, in Australien zu bleiben. Deutschland wird er nur noch einmal im Jahr 1970 besuchen. 1993 stirbt er im Alter von 86 Jahren.
Sein Rekord ist bis heute ungebrochen. Zwar ist die Australierin Sandy Robson von 2014 bis 2016 Oskar Specks Route im Kayak nachgefahren, doch aufgrund bewaffneter Konflikte musste sie einige Passagen über den Landweg nehmen. Oskar vermachte sein geliebtes Faltboot "Sonnenschein" dem Museum Sydney, wo es noch heute zu sehen ist.
Verwendete Quellen
- sea.museum: Being a hero is all about timing: Oskar Speck's kayak voyage
- wordpress.com: Oskar Speck’s Epic Journey From Germany to Australia
- sandy-robson.com: Retracing the Oskar Speck Journey
- Der Flussregenpfeifer, Tobias Friedrich, 2022.
- A speck in the ocean: An unlikely journey by folding boat, Roland Leikauf, Australian National Maritime Museum, 2022.
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