Erich Kästner sah mit eigenen Augen seine Bücher brennen - dennoch ist der grosse Schriftsteller in Nazi-Deutschland geblieben. Dafür gab es vor allem drei Gründe.
Im Jahr 1933 konnte Erich Kästner mit eigenen Augen verfolgen, was die Nationalsozialisten von seinem Werk hielten. Seine Bücher wurden auf einem Scheiterhaufen auf dem Berliner Opernplatz zu Asche verbrannt. Nur sein berühmter Jugendroman "Emil und die Detektive" entging den Flammen. Später konnte Kästner es sich vielleicht als besondere Ehre anrechnen, dass sein Name bei der berüchtigten Bücherverbrennung bereits an zweiter Stelle ausgerufen wurde. Zusammen mit Heinrich Mann stand er für die Nazis als Beispiel für angebliche Dekadenz und Verfall.
Der Journalist Tobias Lehmkuhl nimmt den bald anstehenden 125. Geburtstag des Schriftstellers (1899-1974) zum Anlass, sich mit dem widersprüchlichsten, aber auch spannendsten Lebensabschnitt des gebürtigen Dresdners zu beschäftigen, nämlich Kästners Wirken im Nationalsozialismus.
Der überaus populäre Autor wurde von den Nazis als verhasster "Asphaltliterat" mit Publikationsverbot belegt und von der Gestapo sogar zweimal verhört. Mit einem Mal sah sich Kästner wie viele seiner Kollegen und Kolleginnen mit einer existenziellen Frage konfrontiert: Bleiben oder gehen?
Mutter war ein Grund, Deutschland nicht zu verlassen
Bekanntlich blieb Kästner in Deutschland, er versteckte sich nicht einmal, arbeitete sogar weiter, und es gelang ihm das Kunststück, einigermassen unbeschadet diese düstere Zeit zu überstehen. In jedem Fall litt sein Ruf nicht darunter, dass er in Deutschland geblieben war. Ganz im Gegenteil. Nach dem Krieg erreichte seine Popularität noch einmal neue Höhen.
Natürlich steht am Anfang die alles entscheidende Frage: Warum blieb Kästner trotz aller Anfeindungen überhaupt in Deutschland? Lehmkuhl macht dafür vor allem drei Motive aus. Das wichtigste, und diese Erkenntnis ist nicht neu, ist die enge Bindung Kästners an seine Mutter. Ida Kästner litt an Depressionen. Als einziger Sohn fühlte sich Kästner für sie verantwortlich. Er schrieb ihr täglich Briefe von Berlin nach Dresden. Er befürchtete, dass sein "liebes, gutes Muttchen" seine Emigration nicht überleben würde.
Erich Kästner wollte das Geschehen beobachten
Als weiteren Grund gab er an, als Beobachter vor Ort bleiben zu wollen, um später einen Roman über die Zeit des Nazi-Regimes zu verfassen. Tatsächlich sollte dieser Roman jedoch nie erscheinen. Später sprach Kästner dem Reich der Nationalsozialisten fast entschuldigend jegliche literarische Qualität ab. Was allerdings erschien, waren seine Kriegstagebücher, die er ab dem Jahr 1941 verfasste, versteckt hielt und durch alle Wirren rettete.
Ein wichtiges Motiv für Kästners Verbleib in Deutschland sieht Lehmkuhl aber auch in dem puren Erfolg des Schriftstellers, der damals auf dem Gipfel seines Ruhms stand. Trotz Publikationsverbot arbeitete Kästner nämlich unter den Nazis unter Pseudonym weiter. Den später erfolgreich verfilmten Roman "Drei Männer im Schnee" veröffentlichte er unter dem Namen Robert Neuner. Auch wurden seine Bücher im deutschsprachigen Ausland weiter gedruckt und noch in Deutschland vertrieben.
Drahtseilakt: Trotz Verbot wirtschaftlich überleben
Propagandaminister Goebbels höchstpersönlich setzte mit einer Ausnahmegenehmigung durch, dass Kästner unter Pseudonym das Drehbuch zu dem Film "Münchhausen" schreiben konnte. Es fiel den Nazis offenbar schwer, auf Kästners grosses Entertainmenttalent zu verzichten. Ein tatsächliches Berufsverbot ereilte Kästner erst ab 1943. Bis zum Kriegsende lebte er von Ersparnissen.
War Kästner ein Opportunist? Der Autor hält sich zurück mit allzu moralisierenden Bewertungen, etwa bei dem gescheiterten Versuch Kästners, in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen zu werden. Den schwierigen Drahtseilakt, trotz des offiziellen Publikationsverbots wirtschaftlich zu überleben, meisterte Kästner erstaunlich souverän, ohne sich allzu sehr zu kompromittieren.
Sein komödiantisches Talent half ihm natürlich dabei, unverdächtige Nischen zu finden. Es spricht für Kästner, dass er nach dem Krieg nicht der Versuchung erlag, sich als heimlicher Widerstandskämpfer zu inszenieren. (Sibylle Peine, dpa/af)
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