• Durch einen Fund im bayerischen Oberding verdichten sich die Hinweise darauf, dass es wohl bereits eine frühe Form der Währung im bronzezeitlichen Mitteleuropa gab.
  • Zudem kamen weitere erstaunliche Erkenntnisse ans Tageslicht.

Mehr Wissensthemen finden Sie hier

Mitteleuropas Vorgeschichte ist eine Welt, die aufgrund ihrer Schriftlosigkeit noch zu grossen Teilen im Dunkeln liegt. Dennoch gelingt es der Archäologie immer wieder, neue Erkenntnisse ans Tageslicht zu bringen. Ein aussergewöhnlicher Fund in Oberbayern spricht nun dafür, dass es bereits im bronzezeitlichen Mitteleuropa eine frühe Form der Währung gab.

Geld wird für uns heute klassisch mit Münzen verbunden, wie man sie aus dem griechischen und römischen Altertum kennt. Daneben gab es in verschiedenen Erdteilen auch ältere Formen von Zahlungsmitteln, sogenanntes Primitivgeld. Bekannt sind etwa Kakaobohnen bei den Azteken und die Gehäuse von Kaurischnecken in weiten Teilen Afrikas und Asiens.

Auch in Mitteleuropa deutet mittlerweile vieles auf eine Frühform der Währung hin, den sogenannten Spangenbarren. Dabei handelt es sich um langgestreckte und an den Enden gekrümmte Metallstreifen von um die 30 Zentimetern Länge, entstanden vor rund 4.000 Jahren.

Lesen Sie auch: Mann spürt Schatz aus Bronzezeit mit Metall-Detektor auf

Oberding bei München: 796 aus Kupfer bestehende Spangenbarren gefunden

Der bislang grösste Fund wurde 2014 im oberbayerischen Oberding nordöstlich von München gemacht. Im Zuge eines Bauantrags waren auf einem Grundstück archäologische Grabungen vorgenommen worden, dabei kamen 796 aus Kupfer bestehende Spangenbarren zum Vorschein.

Die Besitzer des Grundstücks, die damit auch Eigentümer des Fundes waren, entschlossen sich dazu, diesen an die Stadt Erding zu verkaufen. Damit blieben die Spangenbarren der Region erhalten und werden seitdem näher erforscht. Seit 2019 ist ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziertes Projekt damit betraut, auch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege ist beteiligt.

Mitteleuropas Kupferlagerstätten

Ernst Pernicka, Professor vom Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie in Mannheim, wies durch chemische Analysen nach, dass das Kupfer aus Lagerstätten vom Mitterberg im Salzburger Land, dem Inntal in Tirol sowie dem slowakischen Erzgebirge stammte.

Damals gab es in Mitteleuropa bereits ein grosses Netzwerk, über das abgebautes Kupfer verteilt wurde. Kupfer und Zinn waren sehr begehrt: Diese Rohstoffe gab es nicht überall und sie waren für die Herstellung von Bronze erforderlich. Gegenstände aus Bronze – neben Schmuck auch Werkzeuge und Waffen – besassen damals wohl auch einen entsprechenden Prestigewert.

"Die Leute, die diese Gegenstände besassen, sind die Elite", meint Carola Metzner-Nebelsick, Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiterin der wissenschaftlichen Untersuchungen in Oberding, im Gespräch mit unserer Redaktion. Entsprechend selten werden Bronzegegenstände in Gräbern gefunden.

Allerdings lässt sich von den Spangenbarren keine spätere Tradition ableiten: Ihre Herstellung wurde im Laufe der Bronzezeit schliesslich wieder eingestellt und wich sogenannten Gusskuchen, also groben Barren aus rohem Kupfer. Die Gründe für diesen Wandel sind nicht bekannt.

Moderne Masse in alter Zeit

Bemerkenswert ist beim Fund von Oberding, dass die Spangenbarren in Bündeln von jeweils zehn Stück verschnürt waren. Dies zeigt, wie Projektmitarbeiterin Sabrina Kutscher nachweisen konnte, dass damals bereits unser heutiges Dezimalsystem zum Einsatz kam.

"Das ist erstaunlich, da in späteren Abschnitten der Bronzezeit ein kontinuierlicher Nachweis eines Dezimalsystems - also einem auf dem Vielfachen der Zahl zehn basierenden Wertsystems - nicht mehr vorliegt", erklärt Metzner-Nebelsick. "Da werden dann andere Werteinheiten besonders wichtig."

Das Gewicht der einzelnen Stücke schwankt zwar leicht, im Mittel handelt es sich aber jeweils um 100 Gramm. Damit macht ein Bündel durchschnittlich jeweils ein Kilogramm aus. Auch dies ist erstaunlich, da die uns heute im Alltag allgegenwärtige Masseinheit des Kilogramms erst in der Neuzeit entstand. Die Menschen der frühen Bronzezeit waren somit bereits in der Lage, Gewichte zu messen.

Ein bronzezeitliches Zahlungsmittel

Dass es sich bei den Spangenbarren um eine frühe Form der Währung gehandelt haben könnte, wurde in der Wissenschaft schon seit den 1960er Jahren vermutet. Heute lassen sich hierzu sicherere Aussagen treffen: Die Tatsache, dass eine Normung der Spangenbarren vorliegt, spricht dafür, dass damit auch ein gewisser Wert verbunden war. Somit waren sie wohl tatsächlich als Zahlungsmittel im Gebrauch.

Wie genau das aber aussah, bleibt ungewiss: "Wir haben keinerlei Aufzeichungen über die Wertäquivalente beziehungsweise was man meinetwegen für einen Spangenbarren im Wert von soundsoviel Gramm Kupfer bekam, wie viel ich 'bezahlen' oder als Gegenwert geben musste, um das Kupfer zu erhalten", hält Metzner-Nebelsick fest. Hier fehlen für Mitteleuropa – anders als beim Alten Orient – schriftliche Quellen, um Umrechnungen vorzunehmen.

Die Begriffe "Währung" und "Zahlungsmittel" dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich lediglich um eine Vorstufe zu späteren Währungen handelt. Spangenbarren waren somit nicht wie heute oder auch in der Antike im Alltag gebräuchliche Zahlungsmittel. Ihre Verwendung war auf bestimmte Gruppen der bronzezeitlichen Gesellschaft beschränkt.

Waren die Spangenbarren Opfergaben?

Möglich ist zudem, dass der Fund in Oberding auch einen kultischen Hintergrund besass, vielleicht ein grosses Opfer darstellte. Gerade die ungewöhnlich hohe Anzahl der Stücke und die sorgsame Zusammenfassung zu Bündeln könnte dafür sprechen.

"Selbst in knallharten Wirtschaftszusammenhängen, wie wir heute sagen würden, kann man das Rituelle, Kultische, Religiös-Motivierte nie vollständig ausblenden", argumentiert Metzner-Nebelsick. "Wir müssen davon ausgehen, dass die Phänomene der natürlichen Umwelt – Wetter, Jahreszeiten, alles mögliche – sicherlich als durch göttliche Mächte vorgegeben oder gelenkt begriffen wurden."

So finden sich etwa im alpinen Raum in der Nähe von Erzlagerstätten besonders oft Opfergaben niedergelegt – wohl als Gegengabe für das entnommene Erz.

Bedeutend ist für die Forscher auch der Kontext des Fundes. Man will verstehen, wie das weitere kulturelle Umfeld und die Lebensgewohnheiten der Menschen aussahen. Bedeutend ist dabei die Frage, in welche damaligen Netzwerke die Menschen in Oberding eingebettet waren.

Manche dieser Fragen können bereits beantwortet werden, allerdings wurden die Forschungsergebnisse noch nicht publiziert. Es wird voraussichtlich noch zwei Jahre dauern, bis dies geschehen ist.

Der Fund ist im Museum Erding ausgestellt, dessen Leiter Harald Krause war wesentlich an den damaligen Grabungen beteiligt. Einige der Spangenbarren sind bis zum 9. Januar 2022 als Leihgabe im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale für die Sonderausstellung "Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte" zu sehen. Mit mehr als 400 Exponaten aus 15 Ländern soll den Besuchern dort die frühbronzezeitliche Welt Mitteleuropas nähergebracht werden.

Über die Expertin: Carola Metzner-Nebelsick ist Professorin für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie Europas an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie leitet seit 2019 das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierte Projekt zur wissenschaftlichen Erforschung des Spangenbarrenfunds von Oberding.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Carola Metzner-Nebelsick, Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München
  • Homepage des Museums Erding
  • Harald Krause, Sabrina Kutscher, Carola Metzner-Nebelsick, Ernst Pernicka, Björn Seewald u. Jörg Stolz: Europas grösster Spangenbarrenhort: Der frühbronzezeitliche Kupferschatz von Oberding, in: Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland. Begleitband zur Ausstellung 21. September 2018 bis 6. Januar 2019 Gropius Bau, Berlin, hrsg. v. Matthias Wemhoff u. Michael M. Rind, Petersberg 2018, S. 167-169.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.