Vor 96 Jahren, am 4. November 1922, öffnete der Abenteurer und selbsternannte Ägyptologe Howard Carter das Grab des berühmten ägyptischen Pharaos Tutanchamun. Für seine Entdeckung wurde er gefeiert. Doch so schillernd, wie einst angenommen, ist Carters Person vielleicht gar nicht. Offenbar soll der Grabesfund einem Raubzug geglichen haben, bei dem sich der Brite nicht nur selbst an den Schätzen bereichert, sondern auch Schaden historischen Ausmasses angerichtet haben soll.
Die Entdeckung der Grabkammern des Tutanchamun gilt als einer der bedeutendsten Momente in der Geschichte der Archäologie. Bis heute ranken sich zahlreiche Mythen um das Leben und den Tod des kindlichen Pharaos, der als Sohn des umstrittenen Königs Echnaton von zirka 1332 bis 1323 v. Chr. regierte.
Carter galt als letzter grosser Schatzsucher der Moderne
Howard Carter war es, der die Unwissenheit über Tutanchamun durch die Entdeckung seines Grabes beenden sollte. Nie zuvor war ein so unberührtes Grab eines altägyptischen Pharaos entdeckt worden, unangetastet seit mehr als 3.000 Jahren. Das zumindest war es, was Howard Carter die Welt glauben lassen wollte. Doch es werden immer mehr kritische Stimmen laut, die den britischen Hobby-Archäologen als Betrüger und Dieb enttarnt haben wollen, der für seinen eigenen Profit gegen Regeln, Gesetze und das Recht der Wissenschaft auf Aufklärung verstossen haben soll.
Horst Beinlich, Ägyptologe an der Universität Würzburg, hält ihn für einen "grundehrlichen Mann voller Idealismus", doch das Image des Entdecker-Helden ist nicht so makellos, wie es den Anschein hat. Carter soll angeblich Fotos und Dokumente vom Grabkammern-Fund manipuliert und damit die ägyptischen Behörden übers Ohr gehauen haben.
Howard Carters illegaler Handel mit Grabbeigaben
Mit einem einfachen Ziel: Der Brite wollte mehr von seiner Entdeckung profitieren als nur mit einem Ehrendoktortitel. Der illegale Handel mit Antiquitäten dieses Kalibers, Originale aus einem ägyptischen Pharaonen-Grab, soll für Howard Carter eine lukrative Einnahmequelle gewesen sein.
Angeblich wurden mittlerweile unter anderem im Louvre in Paris, in New York und in Kansas City Schätze als Grabbeigaben des Tutanchamun enttarnt, wie der britische Nachrichtensender BBC berichtet. Da sich diese Stücke ausserhalb von Kairo befinden, aber Experten zufolge teils mit dem Thronnamen des jungen Pharaos versehen sind, teils auf Fotos aus der Grabstätte zu sehen sind, liegt der Schluss nahe, dass Howard Carter und seine Helfer sich illegal an den Schätzen bereichert haben.
Ob Schmuck oder Büste: Alles soll Carter als Handelsgut recht gewesen sein. Manchmal erreichten die Stücke Männer in hohen und einflussreichen Positionen, Royals oder auch Millionäre, oftmals schlicht den Schwarzmarkt. Die Rede ist dabei nur von Objekten, die nie irgendwo als Fund gelistet waren. Anders liegt der Fall bei Statuen, Metallen und anderen Grabbeigaben, die Carters Angaben zufolge von Einbrechern aus den Kammern entwendet worden waren – einige bereits im Altertum, eine kurz nach der Öffnung des Grabes durch den Briten selbst.
Vorsätzliche Zerstörung wichtiger wissenschaftlicher Erkenntnisse
Wie das Magazin „Der Spiegel“ 2010 berichtete, soll Howard Carter nicht nur mit Fundstücken aus Tutanchamuns Grab gehandelt, sondern sie so verändert haben, dass Forscher Carters wissenschaftlichen Tricks jahrzehntelang aufgesessen seien. Wichtige Erkenntnisse zum Sohn von König Echnaton könnten dadurch tatsächlich verloren gegangen sein.
Und nicht nur durch die Manipulation der Gegenstände: Einige Wissenschaftler behaupten, die von Carter angeführten Einbrecher seien Männer aus den eigenen Reihen gewesen, sowie der Abenteurer selbst. Angaben von "Spiegel"-Redakteur Matthias Schulz zufolge soll in unveröffentlichten Briefen von Carters Geldgeber Lord Carnarvon und seiner Tochter die erste Nacht nach der Graböffnung geschildert sein. Darin habe sich der Trupp – entgegen der Vereinbarung mit den ägyptischen Behörden – angeblich bereits Zutritt zu allen Grabkammern bis hin zum Sarkophag verschafft.
Lizenz für Ausgrabungen stand auf dem Spiel
Wären sie dabei ertappt worden, hätten sie allesamt ihre Lizenz für die Ausgrabungen in Theben verloren. Was genau in dieser Nacht geschah, kann bis heute nicht eindeutig geklärt werden. Sicher ist jedoch, dass die Schäden, die durch einen solchen Einbruch entstanden sein müssen, für die Forschung rund um Tutanchamun einen gravierenden Nachteil bedeuten.
Genau der Fakt, dass Carters keinen wissenschaftlichen Bericht über seinen Fund verfasst hat, ist der grösste Fehler, den er begangen hatte, beschreibt der Archäologe Keith Fitzpatrick-Matthews. Denn zum einen sorgt das dafür, dass man ihn immer als Betrüger abstempeln kann, der illegalerweise Dinge aus der Grabkammer entwendet hat. Zum anderen kann die Nachwelt nie nachvollziehen, was genau in der Grabkammer lag und in welchem Zustand die einzelnen Teile waren.
Schuld kann heute nicht mehr genau bewiesen werden
Gibt es Fotos, wie das des Pharaonengrabs, während es Carter und ein ägpyptischer Archäologe untersuchen, werfen sie kein gutes Licht auf den Entdecker. Denn auf dem Foto sieht man den König mit verschränkten Armen – eine Haltung, die er heute wohl nicht mehr hat. Die Journalistin Dr. Christel Heybrock beschreibt den groben Umgang des Briten auf ihrem Blog. Die Totenmaske sei mit einem heissen Messer entfernt, sogar der Körper soll zerschnitten worden sein – nur um leichter Gold und Juwelen entwenden zu können.
Ob und wie viel Dinge Carter entwendet hat, kann man heute nur schwer nachvollziehen. Insgesamt hat er aber 5.000 Objekte wie Streitwagen, Götterstatuen oder Schmuckstücke entdeckt und katalogisiert, was zehn Jahre gedauert hat. Es kam die Frage auf, was mit den gefundenen Möbeln, Parfumdosen, Fliegenklatschen und Straussenfedern passiert und wie die Schätze verteilt werden sollen. Am Ende sollte alles in Ägypten bleiben und Carter wurde mit 100.000 Pfund Sterling entlohnt.
Graböffnung wie zu Carters Zeiten nicht mehr denkbar
Wie man heutzutage ein Grab wie das des Tutanchamun erforschen könnte, ohne dabei wichtige historische Beweise und wissenschaftliche Erkenntnisse zu zerstören, zeigt etwa das "ScanPyramids"-Projekt vom Heritage Innovation Preservation Institute in Paris.
Das Team um Forscher Mehdi Tayoubi und den Japaner Kunihiro Morishima konnte mit einer neuen Entdeckung im Bereich der Hochenergiephysik die Cheops-Pyramiden in Gizeh untersuchen. Dabei bedienen sich die Archäologen der Myonentomografie, bei der sogenannte Myonen-Teilchen in die Erde bzw. das Gestein eingelassen werden. Leeren Raum durchqueren sie leichter als dichte Materialien, wodurch via Detektoren gemessen werden kann, wo sich feste Masse befindet und wo Hohlräume.
Ausgrabungen in Ägypten werden inzwischen vom ägyptischen Ministerium für Altertümer angestossen, aber auch streng überwacht. Entdecken Archäologen neue Gräber, werden diese sorgsam geöffnet und jeder Schritt penibel dokumentiert. Erst im vergangenen Jahr wurde übrigens erneut das Grab von Tutanchamun untersucht - diesmal weil man in einer geheimen Kammer die Mumie seiner Stiefmutter Nofretete vermutete.
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