Vor 50 Jahren starb der letzte Kaiser von China. In seinen 61 Lebensjahren war er dreimal Kaiser, Kriegsgefangener, Häftling in einem Umerziehungslager, Angestellter im Botanischen Garten und Bestsellerautor. Bei seinem Tod lebte er als einfacher Bürger in Peking.

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Zwei Monate vor seinem dritten Geburtstag wird Aisin Gioro Puyi 1908 zum Kaiser von China gekrönt - so jung, wie noch niemand vor ihm. Ebenso ist kein Mensch ausser ihm dreimal Kaiser gewesen.

Und trotzdem stirbt er mit 61 Jahren als ganz gewöhnlicher Bürger der Volksrepublik China. Sein Leben bis dahin ist turbulent - und tragisch.

Mit zwei Jahren zum ersten Mal Kaiser

Vor Puyis Geburt ist die Kaiserwitwe Cixi die heimliche Machthaberin Chinas. Ihren Neffen, Kaiser Guangxu, hat sie schon in jungen Jahren manipuliert.

Einen Erben hat er nicht. 1908 lässt Cixi deshalb den Neffen des Kaisers, Puyi, seinen Eltern entreissen und in die Verbotene Stadt nach Peking bringen.

Nur einen Tag später stirbt Guangxu unter merkwürdigen Umständen. Gerüchten zufolge hat Cixi ihn vergiftet, sie will Puyi zu ihrer neuen Marionette machen. Doch nicht einmal 24 Stunden später ist auch Cixi tot - gestorben an der Influenza.

Puyi besteigt mit zwei Jahren den Thron, viel früher als gedacht. Er wird der zehnte Kaiser der Qing-Dynastie - und der mächtigste Mensch im Land.

Das neue Zuhause mit seinen strengen, jahrhundertealten Ritualen macht dem jungen Regenten Angst. Zwar hat der Palast über 9.000 Zimmer, aber normale Bürger dürfen ihn nicht betreten, und Puyi darf nicht hinaus.

Den Kaiser umgibt ein Heer von Eunuchen, Lehrern, Köchen und Beratern, darunter sein Vater. Trotzdem ist er einsam. Puyi schlüpft jeden Morgen in ein neues kaisergelbes Seidengewand und isst von silbernen Tellern. Pro Monat rechnen die Diener mit einer halben Tonne Fleisch und 240 Stück Geflügel nur für ihn.

Puyi wird als gottähnliche Gestalt verehrt, innerhalb der Palastmauern darf er alles - und das nutzt er aus. Mit einem Luftgewehr schiesst er auf Fenster, einem Eunuchen überreicht er einen Kuchen voller Eisenspäne.

Zum zweiten Mal Kaiser - für zwölf Tage

Was ausserhalb der Verbotenen Stadt passiert, weiss Puyi nicht. Weltweit stürzen Revolutionen die Monarchien in Krisen.

Anfang 1912 passiert das auch in China: Die Republik wird ausgerufen. Der Premierminister besticht die Untergebenen des Kaisers, die ihn zum Abdanken zwingen - mit gerade einmal sechs Jahren.

Erstaunlicherweise ändert das so gut wie nichts an seinem Leben. Er darf seinen Titel behalten und im Palast wohnen bleiben, wie zuvor völlig isoliert.

Am 1. Juli 1917 wird Puyi unerwartet zum zweiten Mal Kaiser: Nach einem Militärputsch steigt er erneut auf den Thron. Nach zwölf Tagen allerdings gewinnt die Republik die Macht zurück.

Puyi dankt mit elf Jahren ab, erneut auf Anraten seiner Berater. Doch langsam öffnet sich seine enge Welt. Endlich bekommt er einen echten Gefährten: Sein zehnjähriger Bruder Pujie wohnt nun bei ihm.

Die Welt kommt in die Verbotene Stadt

1919 kommt der Schotte Reginald Fleming Johnston als Hauslehrer in den Palast. Sein Einfluss ist gross: Er bringt dem Jungen nicht nur Englisch bei, sondern zeigt ihm auch moderne Erfindungen wie Fernglas, Plattenspieler und Sonnenbrille.

Nachdem Puyi die Namen englischer Könige gelernt hat, gibt er sich selbst den Spitznamen Henry. Der Schotte ermutigt den jungen Mann auch, seinen Zopf abzuschneiden - ein Affront im konservativen Hofstaat.

Die Tore des Palasts bleiben für Puyi weiter fest verschlossen, aber er bekommt Gesellschaft. 1922 heiratet er und bekommt gleich eine Nebenfrau dazu. Insgesamt heiratet Puyi fünfmal und ist der erste Kaiser, der geschieden wurde.

Puyis Leben ändert sich erneut 1924 - diesmal komplett. Ein blutiger Bürgerkrieg tobt in China. Die Machthaber glauben, dass es keinen Frieden geben kann, solange der letzte Kaiser der Qing-Dynastie noch in der Verbotenen Stadt lebt.

Puyi und der Hofstaat haben drei Stunden Zeit, den Palast zu verlassen.

Der junge Mann sieht sein goldenes Gefängnis zum ersten Mal von aussen, aber er weiss nicht, was er tun soll. Die britische Botschaft lehnt ein Visum ab, sie will die Chinesen nicht verärgern. Puyi wendet sich an die Japaner, die ihm raten, Peking zu verlassen.

So zieht er in die Hafenstadt Tianjin und lebt in einer Villa auf japanischem Territorium. Doch nun benutzen ihn die Japaner als Marionette.

Sie wollen einen Staat in der von Japan besetzten chinesischen Mandschurei errichten. Puyi wird Anfang der 1930er-Jahre erneut Kaiser des neuen Landes Mandschukuo, mit einer kurzen Unterbrechung bis 1945. Wie zuvor hat er aber keinerlei echte Macht und lebt isoliert.

In russischer Gefangenschaft

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs befreien die Russen die Mandschurei. Puyi verbrennt alle wichtigen Dokumente, dankt als Kaiser ab und flieht.

Nach fünf Tagen auf der Flucht ergreift ihn die sowjetische Armee und verschleppt ihn nach Sibirien.

Fünf Jahre wird der ehemalige Kaiser in verschiedenen Lagern gefangen gehalten. Doch er fürchtet die Lage in seinem Heimatland: Am 1. Oktober 1949 ruft Mao Zedong dort die Volksrepublik China aus.

Ein Jahr später verlangt Mao von Russland, die Kriegsgefangenen auszuliefern. Puyi ist sicher: Jetzt ist sein Leben zu Ende.

Doch es kommt anders: In einem kommunistischen Umerziehungslager wird der letzte Kaiser von China zum Gefangenen 981.

Mao findet, dass es nützlicher sei, Kriegsverbrecher umzuerziehen, statt sie zu exekutieren. Zum ersten Mal in seinem Leben hat Puyi keine Diener und muss alltägliche Aufgaben verrichten.

Spätes Glück in Freiheit

1959 begnadigt Mao Puyi überraschend. Endlich ist er ein freier Mann - mit 53 Jahren. In Peking lebt er mit seiner fünften Ehefrau, arbeitet halbtags im Botanischen Garten und schreibt auf Empfehlung der Machthaber seine Lebensgeschichte auf.

"Die erste Hälfte meines Lebens" ist 1964 ein internationaler Erfolg. Daraufhin wird er rehabilitiert und in das Nationalkomitee des Landes berufen. Endlich darf er reisen, wenn auch nur in China.

Doch die neue Freiheit geniesst er nicht lang. Maos Kulturrevolution nimmt auch ihn ins Visier. Sie spricht ihm die Buchtantiemen ab und kürzt seine Lebensmittelrationen.

Puyi erkrankt an Blasen- und Nierenkrebs, woran er nach mehreren Operationen am 17. Oktober 1967 stirbt - als normaler Bürger und ehemaliger dreifacher Kaiser.

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