Eine Meldung in Spanien löste kürzlich grosse Diskussionen aus: Künftig sollen in staatlichen Museen keine menschlichen Überreste mehr gezeigt werden. Betroffen sind Jahrtausende alte Mumien, Schädel und Knochen. Die Begründung: Die meisten Überreste seien einst aus sakralen oder häuslichen Kontexten entnommen worden. Eine Ausstellung sei daher ethisch nicht mehr vertretbar. In Deutschland und anderen EU-Ländern sieht man dies hingegen anders.
Das Strassburger Voudou-Museum, eine Privatsammlung, präsentiert Ursprung und Geschichte der westafrikanischen Urform der Voudou-Religion. Dabei räumt es mit Mythen rund um Voudou-Puppen und Schadenszauber auf und verdeutlicht vor allem, wie Menschen diese komplexe Religion auch heute praktizieren. In der Ausstellung sind unter anderem drei menschliche Schädel, Oberschenkelknochen und Unterkiefer zu sehen, die in sogenannte Voudous – rituelle Gegenstände – eingearbeitet sind.
"Sie stammen hauptsächlich aus Benin und Togo. Leider wissen wir nicht viel mehr über diese Menschen. Zuvor befanden sich die Überreste in religiösen Stätten", erklärt Adeline Beck, Kuratorin des Museums, im Gespräch mit unserer Redaktion. Von einer Verbannung dieser Objekte hält sie wenig: "Sie sind wichtige Exponate, um den Kult zu erklären. Es sind zentrale Objekte dieser Religion." Tatsächlich gehört zu vielen Ausprägungen des Voudou ein Ahnenkult, bei dem Schädel oder Knochen Verstorbener im Haus oder in der Wohnung der Gläubigen aufbewahrt werden. Eine Ausstellung im Museum ist für Beck somit grundsätzlich legitim.
Vom Homo Sapiens werden nur noch Nägel, Zähne und Haare gezeigt
Die spanische Regierung hält von solch einer kontextbezogenen Rechtfertigung wenig. Grundsätzlich sollen dort keinerlei menschliche Überreste mehr zu Ausstellungsobjekten werden. Das betrifft auch Besuchermagneten wie die Guanche-Mumie im Nationalen Archäologischen Museum in Madrid. Diese gilt als am besten erhaltene Mumie der Ureinwohner der Kanaren und stammt aus dem 12. Jahrhundert.
Die Museen, die die amtliche Mitteilung unterzeichnet haben, erklären damit, dass fortan alle Gegenstände, die der Gattung Homo Sapiens zuzuordnen sind, nicht mehr ausgestellt werden sollen, da eine pietätvolle und kontextbezogene Präsentation nicht garantiert werden kann. Ausgenommen von dieser Regelung seien lediglich Körperteile wie Nägel, Zähne oder Haare.
Überreste anderer menschlicher Gattungen, dazu zählen Neandertaler oder Frühmenschen wie der Homo Erectus, sind davon nicht betroffen. Was künftig mit Objekten der Gattung Homo Sapiens geschehen soll, wird in dem Communiqué de Regierung als "würdevolle Unterbringung" bezeichnet. Dies betrifft fast 15.000 Exponate aus 16 staatlichen Museen, die die Charta unterzeichnet haben.
Lange war der Handel mit Mumien ohne grössere Restriktionen möglich
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass menschliche Überreste in Museen der westlichen Welt einen langen Weg hinter sich haben. Ursprünglich oft als Kuriositäten ausgestellt, entwickelte sich die Betrachtung allmählich hin zu stark geschützten oder gar nicht mehr öffentlich präsentierten Objekten.
Insbesondere koloniale Ausstellungskontexte im 18. und 19. Jahrhundert waren häufig rassistisch motiviert und hatten mit den heutigen wissenschaftlichen und didaktischen Ansprüchen wenig gemein. Gerade ethnologische Sammlungen stellten dabei oft den vermeintlichen Kontrast zwischen den "zivilisierten" Kolonialmächten und ihren "wilden" Untertanen heraus.
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Parallel zu solchen Ausstellungen wurden Schädel oder Mumien geraubt, verkauft oder sogar zu angeblichen Heilmitteln verarbeitet. Noch bis 1983 war der Handel mit Mumien ohne grössere Restriktionen möglich. Für die spanischen Museen ist diese Geschichte Grund genug, menschliche Überreste künftig gar nicht mehr zu zeigen.
Wiebke Ahrndt: "Es kommt darauf an, wie man das macht"
Wiebke Ahrndt hat Verständnis für den radikalen Schritt in Spanien, plädiert aber für einen anderen Ansatz in deutschen Museen. Die Präsidentin des Deutschen Museumsbundes erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Es ist völlig legitim, menschliche Überreste zu zeigen. Es kommt aber darauf an, wie man das macht." 2021 veröffentlichte der Deutsche Museumsbund dazu einen Leitfaden.
In Deutschland ist für die Bewertung von Überresten weniger das Alter ausschlaggebend als vielmehr die Provenienz – also die Herkunftsgeschichte des Objekts – und die jeweilige Kultur. Am Beispiel von Mumien wird das deutlich: "Ägyptische Mumien werden auch in Ägypten ausgestellt", sagt Ahrndt. "Es gibt also keinen Grund, warum wir das hier nicht auch tun sollten."
Gleichzeitig seien andere Mumien problematisch, etwa wenn sie aus einem Grabraub oder kolonialistischen Kontexten stammen, wie beispielsweise die Guanche-Mumie im Archäologischen Museum in Madrid. "Wenn das klar ist, sollte man sie auf keinen Fall ausstellen", betont Ahrndt. "Museumsmacherinnen und -macher sollten sich zudem überlegen, ob man die Geschichte nicht auch ohne Überreste erzählen kann. Es darf nicht nur um die Schaulust gehen."
Eine Frage der Perspektive
Adeline Beck vom Strassburger Voudou-Museum kennt die koloniale Geschichte der Herkunftsländer der Totenschädel in ihrer Ausstellung sehr genau. Sie weiss aber auch um den kulturellen Umgang mit menschlichen Überresten in der westafrikanischen Voudou-Religion.
Für Gläubige dieser Religion sei die Darstellung von Schädeln oder anderen Überresten der Ahnen oft sogar eine Ehre: "Der Dialog ist aufseiten der Kritiker oft verschlossen. Der Verweis auf die Hautfarbe ist immer eine zu einfache Ausrede." Kritik von Besuchern gibt es ihrer Erfahrung nach nur selten: "Die Leute sind zwar überrascht, wenn sie vor den Schädeln stehen, aber wir bekommen höchstens einmal im Jahr eine kritische Rückmeldung."
Über die Gesprächspartner
- Prof. Wiebke Ahrndt ist Professorin für Ethnologie in Bremen und Direktorin des Übersee-Museums Bremen. Darüber hinaus ist sie seit 2022 Präsidentin des Deutschen Museumsbundes.
- Adeline Beck ist seit 2014 Kuratorin im Musée Château Vodou (Museum Vodou-Schloss) in Strassburg. Das Château Vodou ist das weltweit grösste Museum mit Vodouobjekten aus Westafrika.
Verwendete Quellen
- historia.nationalgeographic.com.es: España retira los restos humanos de los museos: la Momia Guanche y otras piezas, fuera de exhibición
- Ministero de Cultura: Carta Compromiso Restos Humanos
- museumsbund.de: Leitfaden zum Umgang mit menschlichen Überresten