1.500.000 Ballons, um den schlechten Ruf einer Stadt aufzupolieren: Was als PR-Aktion geplant war, sorgte in der US-amerikanischen Stadt Cleveland für Chaos und Umweltzerstörungen.

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Cleveland in Ohio war in den 80ern nicht gerade beliebt und wurde spöttisch als "Mistake on the Lake" (in etwa "Fehler am See") bezeichnet. Also dachte sich die Verwaltung einen PR-Gag für den guten Zweck aus: 1.500.000 mit Helium gefüllte Luftballons sollten die Stadt ins Guinness-Buch der Rekorde bringen und Geld für eine Benefizaktion sammeln. Doch schlechtes Wetter und eine kurzsichtige Planung sorgten für Chaos.

Treb Heining schätzte, dass ein Kind in etwa zwei bis drei Ballons pro Minute mit Helium füllen kann. In einem Interview mit einem lokalen TV-Sender sagte der Ballon-Künstler und Industrielle aus Los Angeles selbstbewusst: "Das sind pro Kind 700 Ballons am Tag und wir haben ja noch 46 Stunden Zeit."

Kurz darauf kam mit dem 27. September 1986 der Tag, den er und sein Team seit Monaten vorbereitet hatten. Tausende Freiwillige bliesen Ballons mit Helium auf und liessen sie in ein Netz steigen, das einen ganzen Häuserblock umspannte. Wie ein gigantischer Pilz waberte es im Stadtzentrum. Das Ziel: Spenden sammeln für die lokale Wohltätigkeitsorganisation United Way. Dann folgte der Startschuss, das Netz löste sich und das Chaos begann.

Ballons verteilten sich in der ganzen Stadt

Dabei sah es fast so aus, als würde der Versuch gar nicht starten. Denn noch in der vorherigen Nacht zogen Stürme durch Ohio. Und weil auch die Wettervorhersage für den Nachmittag des 27. Septembers nicht besonders rosig war, entschieden sich alle Beteiligten, die Ballons früher als geplant loszulassen. Eine gigantische Wolke erhob sich gegen 14:00 Uhr über einer Masse von 100.000 Schaulustigen.

Eigentlich war geplant, dass die Ballons eine Zeit lang in der Luft bleiben und dann ungefähr am gleichen Ort zu Boden gehen. Doch der plötzlich auffrischende Wind blies in Richtung Norden und verteilte die Ballons in der ganzen Stadt. Strassen mussten gesperrt werden und ein Flughafen der Stadt seinen Betrieb einstellen.

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Unglücklicher Zufall oder unmögliche Rettung?

Möglicherweise wirkten sich die Ballons auch auf das Schicksal zweier Fischer aus. Am Morgen des 27. Septembers wurde ihr Boot an das Ufer des Eriesees gespült. Die beiden 40-Jährigen waren am Vorabend bei dem Sturm gekentert. Die Küstenwache machte sich sofort auf die Suche. Weil der Eriesee sehr kalt ist, zählte jede Stunde.

Doch weil die Ballons mit einer Kaltluftfront und Regenwolken kollidierten, wurden sie vom Wind nach unten gedrückt, ohne dass das Helium entwich. Sie landeten hunderttausendfach auf der Oberfläche des Eriesees. "Können Sie sich vorstellen, hier jemanden mit roter oder orangener Schwimmweste zu finden, wenn hier kilometerweit rote und gelbe Ballons auf der Oberfläche schwimmen?", fragte ein Reporter in Ufernähe in die Kamera.

Tatsächlich musste die Küstenwache nach zwei Tagen die Suche aufgeben. Sie fanden die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen nicht. Die Leichen der beiden Fischer wurden kurz darauf an Land gespült. Ob die Ballons nun am Tod der Fischer schuld waren, lässt sich nicht zweifelsohne bestätigen, weil sie sich womöglich vorher schon seit über zwölf Stunden im Wasser befanden und die Küstenwache in diesem Fall nur noch die Leichen hätte bergen können.

Plastik bis nach Kanada

Für die Umwelt war das Balloonfest jedenfalls ein Desaster. Noch Jahre später wurden Plastikreste am Ufer angespült, obwohl im Vorfeld versprochen wurde, dass die Ballons kompostierbar seien. Vögel und im Wasser lebende Tiere verschluckten die Ballonfragmente oder verhedderten sich in den Resten. Bis nach Kanada, also auf die andere Seite des Eriesees, zogen die Ballons weiter.

Tatsächlich erkannte das Guinness-Komitee den Rekordversuch zunächst als erfolgreich an. Cleveland hatte damit die 1.000.000 Ballons zum 30-jährigen Bestehen von Disneyland California geschlagen. Doch kurz darauf wurde die Kategorie "Ballons steigen lassen" komplett aus dem Buch entfernt. Seither gibt es auch keinen offiziellen Verweis mehr.

Die Konsequenzen

Nach der Aktion kam es zu Klagen gegen die Veranstalter, die die Folgen einer derart massiven Freisetzung von Ballons nicht richtig bedacht hätten. Sie mussten Schadensersatz zahlen. Über die Höhe variieren die Berichte. In jedem Fall einigte sich die Organisation United Way mit den Hinterbliebenen der beiden Fischer auf Vergleiche.

Für die Verantwortlichen ist das Fest bis heute ein Erfolg, das im Nachhinein aus ihrer Sicht reisserisch zerlegt wurde.

2022 hat der Stadtrat von Cleveland ein neues Ballongesetz beschlossen. Künftig ist das Aufsteigen lassen von zehn oder mehr Ballons auf einmal verboten. Wer sich nicht daran hält, soll 150 Dollar zahlen. Vom Balloonfest 1986 ist in dem Gesetzestext aber keine Rede mehr.

Treb Heining arbeitet immer noch als Ballon-Industrieller und Künstler. Bis heute organisiert er zum Beispiel den "New Year's Confetti Blizzard" am Times Square in New York, wo er mit seinem Team mehrere Tausende Kilo Konfetti zum Jahreswechsel verteilt.

Verwendete Quellen

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