Im Jahr 9 n. Chr. wurden drei römische Legionen in Germanien vernichtet, Rom erlitt eine seiner schwersten militärischen Niederlagen. Lange rätselten Forscher über den Austragungsort der Schlacht. Inzwischen verdichten sich die Hinweise auf Kalkriese in Niedersachsen. Innovative Methoden sollen zur Klärung beitragen.

Mehr Wissensthemen finden Sie hier

Nach der Eroberung Galliens und der Schaffung römischer Provinzen auf diesem Gebiet waren die Germanen unmittelbare Nachbarn Roms geworden.

Das Verhältnis zu diesen jenseits des Rheins lebenden Stämme war unterschiedlich: Auf der einen Seite gab es Handelsbeziehungen und Rom konnte germanische Söldner gut gebrauchen. Auf der anderen Seite kam es immer wieder zu Überfällen, denn eine Ansiedlung auf der linken Rheinseite war für viele Germanen wegen des römischen Reichtums verheissungsvoll.

Auch die Römer überquerte den Rhein immer wieder und errichtet am anderen Ufer militärische Stützpunkte, um seine Grenze zu Gallien besser zu schützen. Inzwischen geht die Forschung auch davon aus, dass geplant war, Germanien dauerhaft in eine Provinz umzuwandeln.

Der Verrat des Arminius

Ein Rom besonders verbundener Stamm waren die Cherusker, die auch Hilfstruppen stellten. Aus deren Führungsschicht stammte Arminius, der im römischen Heer diente, das römische Bürgerrecht besass und sogar den Rang eines Ritters erhielt. Er genoss das Vertrauen des Publius Quinctilius Varus, des römischen Statthalters in Germanien.

Im Jahre 9 n. Chr. kam es aber zu einer überraschenden Wendung: Arminius gelang es, eine Reihe von Stämmen für einen gemeinsamen Schlag gegen Rom zu gewinnen: Varus wurde von einem angeblichen kleinen, regionalen Aufstand berichtet, den es niederzuschlagen gelte. Auf dem Weg dorthin gerieten Varus und seine Truppen schliesslich in einen von Arminius organisierten Hinterhalt und mussten eine vernichtende Niederlage einstecken. Varus beging am Ende Selbstmord.

Diese Geschichte erzählt unter anderem die neue Netflix-Serie "Barbaren" aus der Sicht der Germanen.

Streit um den Ort der Schlacht

Bekannt sind diese Ereignisse vor allem durch die Berichte der späteren Geschichtsschreiber Cassius Dio und Tacitus. Bei Letzterem wird ein "Teutoburgiensis saltus" (Teutoburger Wald) als Ort der Schlacht genannt.

Wo genau dieser aber lag, ist umstritten. Der heutige Teutoburger Wald in Niedersachsen und Westfalen, in dem auch ein monumentales Denkmal des Arminius steht, bekam seinen Namen erst in der Neuzeit.

Von allen Möglichkeiten erhielt die Fundregion Kalkriese nahe Bramsche, wo Überreste einer Schlacht entdeckt wurden, besondere Aufmerksamkeit. Dort ist heute auch ein Museum.

Ob hier tatsächlich die Varusschlacht stattfand, ist in der Forschung umstritten. Es könnten auch Überreste einer späteren Germanien-Expedition der Jahre 14 bis 16 n. Chr. unter Nero Claudius Germanicus sein. Varus oder Germanicus?, lautet also die Frage, die die Wissenschaft beschäftigt.

"Nach dem derzeitigen Forschungsstand scheint es sich in Kalkriese um ein Schlachtfeld des bellum Varianum zu handeln", fasst Dr. Salvatore Ortisi, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiter der Wissenschaftsabteilung am Museum und Park Kalkriese, den aktuellen Stand im Gespräch mit unserer Redaktion zusammen.

"Belege, dass die dort gefundenen Reste einer römischen Armee mit einem jüngeren Kriegsereignis zu tun haben könnten, haben wir auch in unseren letzten Ausgrabungen nicht entdeckt." Daher zeigt er sich zuversichtlich, dass man sich am richtigen Ort der Varusschlacht befinde.

Offen bleiben muss hingegen, um welchen Abschnitt der weiträumigen und mehrere Tage andauernden Schlacht es sich handelt. Die entscheidenden Kämpfe, bei denen auch Varus starb, müssen nach Ansicht Dr. Ortisis weiter nördlich stattgefunden haben.

Germanien wurde nicht romanisiert

Auch wenn die persönlichen Motive für Arminius' Bruch mit Rom unsicher sind, hatte die Varusschlacht weitreichende kulturelle Folgen. "Der Verlust der Varus-Armee und die letztlich erfolglosen Rückeroberungs- oder 'Rache'-Feldzüge des Germanicus haben die Expansionspolitik Roms in Germanien zunächst beendet und die weitere Germanien-Politik Roms bestimmt", fasst Ortisi zusammen.

"Die bereits begonnene Eingliederung der zwischen Rhein und Elbe eroberten Gebiete und deren Bewohner in das Römische Reich kam abrupt zu einem Ende." Eine Romanisierung wie in Gallien blieb somit aus.

Besonders gut zu sehen ist dies an der Sprache: Mit Deutsch wird in Mitteleuropa bis heute eine germanische Sprache gesprochen, während das Romanische die ursprünglich keltischen Sprachen in Frankreich verdrängte.

Dies brachte jedoch auch Nachteile: "Die Folgen für die weitere Entwicklung können Sie ermessen, wenn Sie für die Zeit um 200 n. Chr. die Infrastruktur, das Städtewesen und den Lebensstandard der linksrheinischen germanischen Provinzen mit dem des rechtsrheinischen Germanien vergleichen", gibt Ortisi zu bedenken. Das "freie Germanien" zwischen Rhein und Weichsel hinkte dabei immer hinterher. Ein gewisser Einfluss römischer Kultur bestand aber dennoch fort.

Offene Fragen und innovative Methoden

Geht man davon aus, dass Kalkriese tatsächlich der Ort der Varusschlacht ist, gibt es dennoch eine Reihe offener Fragen. "Noch wissen wir relativ wenig über den Verlauf und den Umfang der Kämpfe in Kalkriese", hält Ortisi fest. "Gab es dort einen germanischen Hinterhalt, haben sich die Römer hinter Wall und Graben verschanzt oder fand die Schlacht in freiem Gelände statt?"

Seit 2017 läuft an der Technischen Hochschule Georg Agricola in Bochum noch ein von der Volkswagenstiftung gefördertes Projekt, mit dem wissenschaftliches Neuland betreten wird: Untersucht wird, ob römische Waffen anhand ihrer metallischen Zusammensetzung einzelnen Legionen zugeordnet werden können. Mit ersten Ergebnissen ist hierbei Anfang 2021 zu rechnen. Diese könnten dann auch Gewissheit in Bezug auf Kalkriese bringen.

Über den Experten:
Salvatore Ortisi ist Professor für Provinzialrömische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und leitet seit 2015 die wissenschaftliche Erforschung der Fundregion Kalkriese.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Salvatore Ortisi, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiter der Wissenschaftsabteilung am Museum und Park Kalkriese
  • Günther Moosbauer: Die Varusschlacht, München 2009
  • Reinhard Wolters: Die Römer in Germanien, München 2011
  • Lutz Walther (Hrsg.): Varus, Varus! Antike Texte zur Schlacht im Teutoburger Wald, Stuttgart 2009
  • Stefan Burmeister: Der metallurgische Fingerabdruck der Legionen – was wir wollen, Blog des Museums und Parks Kalkriese, 2. Februar 2018
  • Stefan Burmeister: Tour de Germania – Unterwegs im Namen der Forschung, Blog des Museums und Parks Kalkriese, 9. Februar 2020
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.