Schon die peruanischen Urvölker kannten "El Niño", das Klimaphänomen, das sich meist um die Weihnachtszeit herum bemerkbar macht. Für die Fischer bringt dieses "Christkind" (so heisst es auf Deutsch) schwierige Zeiten. Denn normalerweise sorgt der kalte und nährstoffreiche Humboldtstrom vor der peruanischen Küste für grossen Fischreichtum.

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In El-Niño-Jahren lässt der Humboldtstrom nach und die Netze der Fischer bleiben leer. Doch das Christkind wirkt weit über Peru hinaus und sorgt in ganz Lateinamerika für Klimaturbulenzen. Für die zweite Jahreshälfte haben Forscher ein Super-El-Niño-Phänomen prognostiziert – mit Hitzerekorden.

Was ist El Niño und was hat Humboldt damit zu tun?

El Niño ist ein periodisch wiederkehrendes Klimaphänomen, das mit veränderten Meeres- und Luftströmungen im Pazifik zu tun hat.

In der Regel ist der Luftdruck im Osten des Pazifiks hoch, also über Südamerika. Im Westen, über Südostasien und Australien, ist er niedrig. Passatwinde, die in der Südhalbkugel in westliche Richtung wehen, gleichen den Unterschied im Luftdruck aus.

Dabei treiben sie tropisch-warmes Oberflächenwasser vor die Küsten Australiens und Indonesiens. Vor der Küste Südamerikas hingegen strömt ständig kaltes, nährstoffreiches Tiefenwasser aus der Antarktis nach, um den Verlust auszugleichen. Das ist der sogenannte Humboldtstrom. Er ist benannt nach dem deutschen Naturforscher Alexander von Humboldt, der dieses Phänomen auf seiner Südamerika-Reise im Jahr 1802 erstmals wissenschaftlich dokumentierte.

In El-Niño-Jahren ist der Luftdruckunterschied zwischen dem östlichen und westlichen Pazifik deutlich kleiner oder dreht sich sogar um. Die Passatwinde ermatten oder fallen ganz aus. Dann lässt der Humboldtstrom nach und der Ostpazifik erwärmt sich – also die Westküste Südamerikas. Es fehlen die Nährstoffe, mit Folgen für Phytoplankton und Fischschwärme.

Was führt zu El Niño?

Einen einzelnen Auslöser für ein El-Niño-Phänomen haben Forscher nicht gefunden. El Niño gewinnt an Stärke, wenn der sonst übliche Luftdruckunterschied zwischen West- und Ostpazifik abflacht.

Dieses Luftdruck-Phänomen wird "Southern Oscillation" genannt. Das Klimaphänomen "El Niño" heisst in der Wissenschaftssprache denn auch "El Niño-Southern Oscillatio" (ENSO).

Zusätzlich zum globalen El Niño, der sich aus dem Zusammenspiel von Atmosphäre und Wassertemperatur im Pazifik bildet, gibt es noch den lokalen Küsten-Niño: Wenn sich das Meer vor den Küsten Perus und Ecuadors über ein bestimmtes Mass erwärmt, kommt es zu Wetterkapriolen.

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Hängen El Niño und der Klimawandel zusammen?

"El Niño" ist viel älter als der menschengemachte Klimawandel. Während Wissenschaftler die Gründe für die Klimakrise kennen, wissen sie immer noch zu wenig über die Entstehung von El Niño.

Sie nehmen zwar an, dass sich die beiden Klimaphänomene gegenseitig beeinflussen. Doch wie genau – darüber sind sich die Wissenschaftler nicht einig. Einige sehen eine zunehmende Häufigkeit von Niño-Phänomenen, andere nicht.

In vielen Ländern Südamerikas gibt es erst seit rund 70 Jahren Wetteraufzeichnungen. Im Fall von Peru gibt es diese nur in einigen Regionen und häufig inkonsistent. Die Modelle sind dementsprechend ungenau.

Wie oft kommt das Christkind?

Im Durchschnitt alle 25 Jahre im letzten Jahrhundert. In den letzten hundert Jahren gab es vier globale Niños im zentralen Pazifik, mit zuletzt kürzeren Abständen. Allerdings sind auch die Wetteraufzeichnungen genauer geworden. Die Niños von 1982/83 und 1997/98 waren besonders stark. Daneben gibt es lokal begrenzte Küsten-Niños (Peru 2017 und 2023).

Und wenn es ein Mädchen wird?

Neben dem "El Niño" – dem männlichen Christkind, gibt es auch das umgekehrte "Niña"-Phänomen, also ein weibliches Christkind. Statt warmer Luft strömt dann kaltes Wasser vor die Küsten Südamerikas und verschafft kalte Winter und kühle Sommer.

Welche Folgen hat El Niño in Südamerika?

Kurz gesagt: Umweltkatastrophen und Tote. Zum einen wegen Überschwemmungen: Aus jahrelang trockenen Flussbetten macht der Niño innerhalb von Stunden reissende Ströme, die Häuser – illegal gebaut oder dank Schmiergeldern bewilligt – und ganze Strassen zerstören. Selbst in der peruanischen Hauptstadt Lima, in der es sonst nie regnet, können Niederschläge fallen. Erdrutsche verschütten Strassen, Häuser und Menschen.

Das passierte dieses Jahr bereits in Nord-Peru und im Süden Ecuadors, wo der Zyklon "Yaku" den "Niño" verstärkte.

Infolge der Überschwemmungen greift das Dengue-Fieber um sich. Die Aedes-Aegypti-Mücke, die das Dengue-Fieber überträgt, hält sich am liebsten in Wasserlöchern auf. In mehreren Ländern Südamerikas herrschte Anfang des Jahres bereits eine Dengue-Epidemie. Generell steigt mit der Temperatur das Risiko für von Mücken übertragene Krankheiten wie Malaria.

Das Gegenstück ist die Dürre, zum Beispiel in Süd-Peru. Ernten fallen aus, Lebensmittelpreise steigen, ganze Städte wie Cusco geraten in Wassernot. Das Risiko für Waldbrände steigt. In der Amazonas-Region wächst die Vegetation langsamer nach, speichert deshalb weniger Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Wasserkraftwerke könnten Probleme bekommen und die Strompreise steigen.

Solche Katastrophen können zu politischer Instabilität führen. Die Gefahr ist aktuell so hoch wie noch nie, da die Andenregion derzeit besonders unter innenpolitischen Krisen leidet.

Und wie steht es um die Atlantikseite Südamerikas, also zum Beispiel Brasilien?

Auch im Süden Kolumbiens, dem bolivianischen Hochland und im Süden Brasiliens kann es zu vermehrten Niederschlägen kommen.

Im Norden Kolumbiens, in Venezuela, im Nordosten Brasiliens und Mittelamerika hingegen steigt die Wahrscheinlichkeit von Dürren. Diese Regionen sind ohnehin schon ärmer. Dort leben viele Menschen von der Subsistenzlandwirtschaft. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit von Klima-Migration.

Muss ich meinen Karibik-Urlaub abblasen?

Nein, aber er könnte sich anders gestalten als gedacht. Zum Beispiel, wenn Sie durch die bunte Unterwasserwelt der Korallenriffe schnorcheln wollen.

Wissenschaftler schlagen Alarm, denn seit Monaten sind die Meerestemperaturen weltweit viel zu hoch. Die Gründe sind vielfältig, der Klimawandel und El Niño gehören dazu. Unter dem heissen Wasser leiden besonders die Korallen im Golf von Mexiko. Das mesoamerikanische Korallenriff reicht von Mexiko bis nach Honduras und ist das zweitgrösste weltweit nach dem australischen Great Barrier Reef. Dort werden seit Monaten Oberflächen-Wassertemperaturen von 30 Grad gemessen.

Korallen leben in einer Symbiose mit Mikroalgen, die Fotosynthese betreiben und die Korallen mit Nährstoffen versorgen. Bei zu hohen Temperaturen verlieren die Mikroalgen die Fähigkeit zur Fotosynthese und werden von der Koralle abgestossen. Die Koralle bleicht aus und stirbt schliesslich.

Korallenriffe beherbergen rund ein Viertel des marinen Lebens, obwohl sie weniger als ein Prozent der Meeresböden bedecken. Ihr Verlust wäre darum verheerend für die Gesundheit der Ozeane und für diejenigen, die auf die Riffe angewiesen sind, wie Fischer und die Tourismusindustrie.

Allerdings gibt es auch eine gute Nachricht: In Jahren mit El Niño werden im Atlantik normalerweise weniger Wirbelstürme registriert. Die Saison dauert in der Karibik normalerweise von Mai bis November. Bislang wurde in der Saison 2023 ein Hurrikan gemessen. Die Auswirkungen von El Niño dürften sich allerdings vor allem 2024 bemerkbar machen.

Ich bleibe in Europa. Muss ich auch hier mit Problemen durch El Niño rechnen?

Auf das Wetter in Europa wirkt sich El Niño nur sehr begrenzt aus. "Wenn überhaupt, könnte das nächste Frühjahr kühler ausfallen als gewöhnlich", erklärt Daniela Matei vom Max-Planck-Institut für Meteorologie.

Der spanische Meteorologe Ernesto Rodríguez Camino meint jedoch, dass die ungewöhnliche marine Hitzewelle im Nordatlantik vom April dieses Jahres bereits eine Folge der Überlappung von natürlicher wie auch menschengemachter Ursachen sein könnte. Zum einen seien es die natürlichen Schwankungen der Erwärmungs- und Abkühlungsphasen von El Niño beziehungsweise La Niña und zum anderen der stetige Temperaturanstieg durch Treibhausgase.

Verwendete Quellen:

  • sciencemediacenter.de: Wie entwickeln sich La Niña und El Niño im Klimawandel?
  • sciencemediacentre.es: Reacciones: las olas de calor de julio de Europa y Norteamérica, “casi imposibles” sin el cambio climático

Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.  © RiffReporter

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