Extreme Hitze. Extremer Regen. Extreme Stürme. Im Jahr 2023 ist die Klimakrise in aller Welt zu spüren gewesen. Allein in Mitteleuropa und dem Mittelmeerraum waren Millionen Menschen betroffen: Im Juli gab es fast 50 Grad auf Sardinien, im August die verheerenden Waldbrände in Griechenland. Im September erschütterte eine schreckliche Starkregen-Katastrophe in Libyen mit Tausenden Toten.
Das laufende Jahr ist das wärmste seit Beginn der Industrialisierung. So hält es der EU-Klimawandeldienst Copernicus für ausgeschlossen, dass die verbleibenden Dezembertage am Hitzerekord 2023 noch etwas ändern. Einschliesslich November habe die global gemittelte Temperatur 1,46 Grad über dem Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900 gelegen. Bislang war 2016 das heisseste Jahr mit plus 1,3 Grad. Möglicherweise ist 2023 das wärmste Jahr seit Zehntausenden Jahren. Natürlich gab es da noch keine Messungen, aber die Wissenschaft kann mit der Analyse uralter Luftblasen tief im Eis auf das Klima in grauer Vorzeit schliessen.
Extremwetter gab es 2023 nicht nur in Europa und im Mittelmeerraum: Verheerender Regen sorgte in Brasilien im Februar für beispiellose Überschwemmungen, im Februar und März wütete Zyklon Freddy im Indischen Ozean 37 Tage lang und damit länger als jeder andere registrierte Zyklon vorher. Er richtete schwere Verwüstung in Madagaskar und Mosambik an. Ab April gab es Rekord-Hitze von Indien bis China, im Juni und Juli schwere Überschwemmungen in Pakistan, im Oktober wurde der mexikanische Urlaubsort Acapulco durch einen fast aus dem Nichts aufbrausenden Hurrikan teils zerstört. Extremwetter gab es zwar schon immer, aber die Wissenschaft hat nachgewiesen, dass solche Ereignisse durch den Klimawandel häufiger und stärker werden.
In Deutschland war der Sommer 2023 zwar für viele Menschen gefühlt eher durchmischt, aber unbeständiges Wetter und Regen hierzulande ändern nichts daran, dass es viel zu warm war.
Die Lage in Deutschland
"Eigentlich sind wir in Europa seit dem heissen Sommer 2018 gefühlt im Ausnahmezustand", sagt Helge Gössling, Klimaphysiker am Alfred Wegener-Institut in Bremerhaven, der Deutschen Presse-Agentur. Er nennt unter anderem mehrere ungewöhnlich trockene und zu warme Sommer und den Starkregen im Ahrtal. "Aber wir müssen damit rechnen, dass wir im neuen Normal sind." Für ihn ist klar, dass der Klimawandel eine ernsthafte Bedrohung für die Menschheit ist.
Die Durchschnittstemperatur in Deutschland lag nach Daten des Deutschen Wetterdienstes 2018, 2019, 2020 und 2022 schon mehr als 2,5 über dem Niveau von 1881, als systematische Wetteraufzeichnungen begannen. Das ist deutlich mehr als im weltweiten Durchschnitt. Das liegt daran, dass der globale Wert die Temperaturen über den Meeresflächen einschliesst, die bislang weniger stark gestiegen sind als über Land.
"Regional betrachtet kommen wir in Mitteleuropa vergleichsweise glimpflich beim Klimawandel weg", sagt Gössling. Im Mittelmeerraum sei die Lage schon brenzliger mit Hitze und Trockenheit. "Man darf sich die Situation bei uns nicht schön reden", warnt Gössling. Der Chef der Weltwetterorganisation (WMO), Petteri Taalas, verweist auf die trockenen Sommer und die verheerende Überschwemmung im Ahrtal 2021. "Solche Ereignisse werden häufiger, und sie werden auch Deutschland betreffen", sagt er der dpa. "Dazu kommt der Migrationsdruck aus Afrika, wo die Herausforderungen viel grösser sind."
Es bleibt über Jahrzehnte schwierig
Die schlechte Nachricht: Mehr Extremereignisse sind auf Jahrzehnte hinaus vorprogrammiert - auch wenn die Treibhausgasemissionen rasch reduziert würden. "Der negative Trend wird sich bis in die 2060er Jahre fortsetzen", sagt Taalas. Das liegt an den bereits ausgestossenen Treibhausgasen, die noch so lange in der Atmosphäre wirken. "Und bei den Berggletschern haben wir den Kampf schon verloren", sagt er. "Wir erwarten, dass sie bis Ende des Jahrhunderts völlig geschmolzen sind." Der schädliche Treibhausgasausstoss müsse aber jetzt dringend so gedrosselt werden, damit die heutigen Kinder und ihre Nachkommen ab den 2060er Jahren ein besseres Klima erleben.
Was zu tun ist
Das Ende der klimaschädlichen fossilen Energie - Kohle, Öl, Gas - ist der grösste Hebel gegen den Klimawandel. Unterschätzt werde aber der grosse andere Hebel, der Umgang mit Landflächen, sagt Gössling. "Es ist ja krass, dass 75 Prozent der Agrarflächen der Welt entweder als Weidefläche oder um Futterpflanzen für Tiere anzubauen genutzt werden", sagte er. Mehr pflanzenbasierte Nahrung brauche weniger Fläche für die gleiche Menge Proteine und Kalorien. Wald kann mehr CO2 aufnehmen als Weiden. "Zurück zu mehr naturbelassenen Flächen hätte neben einer deutlich besseren Klimabilanz auch den extrem wichtigen Effekt, dass es entscheidend gegen den Verlust der Artenvielfalt hilft."
Wenn die Länder sich in Dubai wie erhofft deutlich stärkere Klimaschutzmassnahmen auferlegen, sieht Taalas in den 2030er Jahren im günstigsten Fall eine andere Welt: "Dann nutzen wir keine Kohle mehr als Energiequelle, die Mehrheit der Autos weltweit fährt elektrisch, wir nutzen mehr öffentliche Verkehrsmittel, wir essen weniger Fleisch und Reis, der grosse Methan-Emissionen verursacht, wir stoppen die Abholzung der tropischen Regenwälder und beschleunigen den Technologietransfer, mit dem aufstrebende Länder klimaneutral wachsen können."
Was kurzfristig zu erwarten ist: 2024
Ob der nächste Sommer in Deutschland heiss oder trocken wird, kann jetzt noch niemand voraussagen. Global könnte es aber noch wärmer werden als in diesem Jahr. "Ich schätze die Chancen auf 50:50", sagt Gössling. Das liegt am Wetterphänomen El Niño, das dieses Jahr begann. Es heizt alle paar Jahre den Pazifik auf und erhöht die globale Mitteltemperatur um rund 0,2 Grad. In der Regel schlägt sich das erst im Jahr nach dem Auftreten nieder, das wäre dann 2024.
Dieses Mal könnte es aber auch anders sein. 2023 gab es Zufallsschwankungen beim Wetter im Frühling, sagt Gössling. Schwache Passatwinde führten zu einer starken Erwärmung der Meeresoberfläche, vor allem im Nordatlantik, was die globale Durchschnittstemperatur erheblich nach oben drückte. "Die schwachen Passatwinde haben nicht zwangsläufig etwas mit dem Klimawandel zu tun" sagt er. Deshalb ist es nicht gesagt, dass der Atlantik 2024 wieder so warm wird wie 2023. © dpa
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