Seit Jahren warnt der Weltklimarat IPCC vor den unumkehrbaren Folgen der Klimakrise. Professor Stefan Rahmstorf gehörte zu den Leitautoren des 2007 veröffentlichen Vierten Sachstandsberichtes und gilt als einer der führenden Klimaforscher weltweit. Wie sieht eine Welt mit 3 Grad Erwärmung aus? Warum ist gerade Deutschland stark von der Klimakrise betroffen? Und gibt es noch Hoffnung?

Ein Interview

In einer aktuellen Umfrage des ZDF-Politbarometers glauben 74 Prozent der Befragten, dass es die Welt in den nächsten Jahrzehnten nicht schaffen wird, den Klimawandel zu bekämpfen. Teilen Sie diese Meinung?

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Prof. Stefan Rahmstorf: Die Menschen sehen, dass die Politik bislang dem Klimawandel nicht wirksam entgegentritt. Das entscheidende Mass dafür sind die weltweiten Treibhausgase, insbesondere die CO2 Emissionen. Und die steigen bekanntlich immer weiter. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat gerade erst vermeldet, dass 2022 die weltweiten Subventionen für den Verbrauch fossiler Brennstoffe auf über 1 Billion US-Dollar angestiegen sind. Das zeigt, dass wir den Klimawandel finanzieren – und nicht etwa bekämpfen.

Werden aus Ihrer Sicht genügend Schritte unternommen, um dem Einhalt zu gebieten?

In der Tat bewegt sich schon einiges. Ich bin da nicht vollkommen pessimistisch. Vor zehn Jahren, also vor dem Pariser Abkommen, hat die Wissenschaft auf Grundlage der damaligen Klimapolitik noch mit einer Erwärmung von etwa 4 Grad bis 2.100 gerechnet. Inzwischen steuern wir mit der jetzigen Klimapolitik auf einem 2,7-Grad Kurs.

Laut Weltklimarat hat sich die Erde bereits seit dem vorindustriellen Zeitalter um 1,1 Grad erwärmt. Wie sieht unsere Welt mit 3 Grad globaler Erwärmung aus?

Mit 3 Grad Erwärmung werden wir sehr weit aus der natürlichen Schwankungsbreite der letzten 100.000 Jahre hinauskatapultiert. Wir haben das Klima des Nacheiszeitalters Holozän, also die recht stabilen letzten 10.000 Jahre, inzwischen verlassen. Das bedeutet, dass die Ökosysteme sich weltweit zunehmend nicht mehr an das immer ungewohntere Klima anpassen können. Wir Menschen werden immer häufiger nie Dagewesenes, neue Extremwetter und weitere Veränderungen erleben.

Was bedeuten diese 3 Grad im globalen Mittel für Deutschland?

Wenn wir global tatsächlich bei 3 Grad landen werden, drohen Deutschland etwa 6 Grad Erwärmung.

Woran liegt das?

Deutschland ist ein Landgebiet. Und Landgebiete erwärmen sich etwa doppelt so rasch wie der globale Mittelwert, der zu 70 Prozent aus Meerestemperaturen gebildet wird. Hierzulande ist in der Vergangenheit die Temperatur daher etwa doppelt so stark gestiegen wie im globalen Mittelwert von 1,1 Grad. Wir sind in Deutschland inzwischen bei rund 2,3 Grad Erwärmung angelangt.

Sie sind schon 30 Jahre aktiv in der Klimafolgenforschung. Ist das Thema mittlerweile in der Öffentlichkeit angekommen?

Man kann schon beobachten, dass die Leute heute den Klimawandel ernster nehmen als früher. Dass die Menschen gerade aufgrund der vielen Extremwetterereignisse zunehmend verstehen, dass wir da ein dringendes Problem haben. Wobei ich das, ehrlich gesagt, auch schon nach der Elbe-Flut 2002 und dem Hitze-Rekordjahr 2003 mit europaweit etwa 70.000 Hitze-Toten dachte.

Geraten solche Ereignisse zu schnell in Vergessenheit?

Wenn ich so zurückblicke: Da war das Gedächtnis schon sehr kurz. Und wenn dann ein paar Jahre keine schlimmen Wetterextreme passieren, haben die Leute das Gefühl, dass alles halb so schlimm ist.

Waldbrand

2022 war wärmster bisher gemessener Sommer in Europa

Dürren, Waldbrände und Hitzerekorde: Im vergangenen Jahr ist der Klimawandel an vielen Orten der Welt auf extreme Weise spürbar gewesen - auch in Europa.

Zumindest die Bewohnerinnen und Bewohner grosser Städte werden das vermutlich anders sehen. Es wird dort auffällig heiss im Sommer.

Für Grossstädte wie Berlin nimmt die Hitze-Problematik deutlich zu, weil die starke Bodenversiegelung noch zu einer zusätzlichen Erwärmung führt. Städte kühlen auch nachts nicht herunter. Die Gesundheitsgefahren steigen für uns Menschen, weil der Körper sich nachts nicht mehr ausreichend erholen kann. Auch die Niederschlagsextreme werden gefährlich. Die Klimakrise bringt hierzulande extreme Trockenheit und Starkregen – beides. Ein Punkt, der Laien und Klimawandel Skeptikern oft schwer zu vermitteln ist: dass sowohl Extremregenereignisse als auch Dürren durch die globale Erwärmung in derselben Region zunehmen.

Nimmt die aktuelle politische Führungsriege den Klimaschutz in Deutschland ernst?

Eigentlich nur die Grünen. Mein Eindruck ist: die FDP bremst, wo sie kann. Der Kanzler hat sich als Klimakanzler im Wahlkampf plakatieren lassen, ich vermisse da aber ein deutliches Engagement.

Welchen Rat würden Sie der Ampel geben?

Alle parteitaktischen Erwägungen hintenanstehen zu lassen und zu verstehen, dass wir in einer wirklichen Notsituation sind, wo es jetzt auf entschlossenes Handeln ankommt – weil die Zukunft der Menschen davon abhängt.

Was bereitet Ihnen derzeit am meisten Sorgen?

Dass wir einfach unumkehrbare Dinge in Gang setzen. Nicht nur die berühmten Kipppunkte, sondern ganze Kaskaden von Kipppunkten, die dann zum unaufhaltsamen Selbstläufer werden. Auch ein Albtraum: dass wir grosse Dürren in den ‚Kornkammern der Welt‘ und damit auch Hungerkrisen erleben werden; und das gleichzeitig in Eurasien und Nordamerika. Bestimmte Muster im Jetstream, einem die Erde umzirkelnden Höhenwind, können gleichzeitige Hitzewellen in die Weltregionen bringen, die etwa ein Viertel der globalen Nahrungsmittelproduktion ausmachen. Besonders anfällig sind der Westen Nordamerikas und Russlands, Westeuropa und die Ukraine.

Die globale Nahrungssicherheit ist dann in Gefahr?

Ganz genau. Die Weltöffentlichkeit hat durch den anhaltenden Ukrainekrieg und den Kampf um Getreideexporte eine Vorahnung davon bekommen. Wenn Ernten ausfallen, können wir in den reichen Ländern auf dem Weltmarkt die Lebensmittel zu höheren Preisen kaufen. Andere Menschen in ärmeren Ländern können das nicht.

Aber noch können wir das abwenden?

Ja, aber man muss rechtzeitig im Vorhinein reagieren auf Gefahren, die man erkannt hat. Der Klimawandel ist ein klassischer Anwendungsfall für das Vorsorgeprinzip. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, ist es zu spät.

Begreifen die Menschen diese Dringlichkeit?

Viele haben noch nicht verstanden, dass der Klimawandel unumkehrbar ist, weil die CO2-Menge in der Luft Zehntausende Jahre erhöht bleiben wird. Wir können nicht sagen: ‚Jetzt ist uns aber zu ungemütlich geworden. Jetzt drehen wir den Temperaturanstieg wieder zurück.‘ Das geht eben nicht.

Was macht Ihnen am meisten Hoffnung?

Zum einen, dass wir die Lösungen – technologisch gesehen – ja schon haben. Das sah vor 15, 20 Jahren längst nicht danach aus. Und wie viel man wirklich erreichen kann mit erneuerbaren Energien, mit Wärmepumpen, mit Elektromobilität. Wir haben da fantastische Fortschritte mit den entsprechenden Technologien gemacht. Dazu kommen sinkende, erschwingliche Preise. Die Energiewende kommt voran – das macht Hoffnung. Und auch, dass durch die weltweite Klimabewegung das Bewusstsein wächst, dass wir dringend umsteuern müssen. Da gibt es eben diesen gesellschaftlichen Kipppunkt, wo Veränderungen, die lange Jahre unmöglich erscheinen, dann doch plötzlich passieren. Ich habe auch eine Frage.

Ja?

Mich würde interessieren, ob alle Abgeordneten im Bundestag überhaupt einmal die kurze Zusammenfassung für Entscheidungsträger der IPCC-Berichte im Original gelesen haben. Ich habe den Eindruck, dass viele da ihre Hausaufgaben nicht machen und sich nur aus den Medien über den Klimawandel informieren – das darf nicht sein.

Warum haben Sie diesen Eindruck?

Ich forsche schon 30 Jahre lang und beteilige mich an öffentlichen Diskussionen zur Klimakrise. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass nach Jahrzehnten Klimadebatte das allgemeine Wissen auch unter den Entscheidern immer noch so begrenzt ist.

Herr Rahmstorf, vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person: Professor Rahmstorf ist Klima- und Meeresforscher und leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Seit 2000 ist er ausserdem Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Paläoklimaforschung, Veränderungen von Meeresströmungen und Meeresspiegel sowie Wetterextreme. Er forscht seit 1991 zum Kipppunkt der Atlantikzirkulation.

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