Auf dem Kohlenstoff-Markt können zum Beispiel Konzerne CO2-Zertifikate kaufen und mit ihrer Emissionsbilanz verrechnen. So helfen sie dem Erhalt tropischer Wälder und dem Klima - in der Theorie. Eine Studie zeigt, wie die Praxis aussieht.

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Zur Eindämmung des Klimawandels ist jedes Mittel willkommen - aber ist jedes Mittel auch sinnvoll? Zumindest bei einer gängigen Massnahme ist dies einer internationalen Studie mit deutscher Beteiligung zufolge nicht der Fall.

Die Regelung gilt dem Erhalt tropischer Regenwälder, die enorme Mengen Kohlenstoff speichern, die im Falle ihrer Abholzung frei werden und in der Atmosphäre das Treibhausgas CO2 bilden würden: Zum Erhalt dieser Kohlenstoffsenken soll das Programm REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) durch finanzielle Anreize beitragen.

Was hinter dem Programm REDD+ steckt

"REDD+ belohnt Regierungen und lokale Gemeinschaften finanziell dafür, dass sie die Entwaldung und damit Emissionen nachweislich reduzieren", hiess es 2015 in einer Broschüre der Bundesregierung. "REDD+ Gelder werden nur ausgezahlt, wenn die Entwicklung nachweislich reduziert wurde. Der Erfolg wird in Tonnen CO2 gemessen, welche nicht in die Atmosphäre ausgestossen werden, sondern in den Wäldern gebunden bleiben."

Die Menge des zurückgehaltenen CO2 wird zertifiziert, und diese Zertifikate werden auf dem freien Markt gehandelt. Der Preis pro Tonne lag um 2020 bei etwa 4 bis 5 Euro. Kohlenstoff-Zertifikate werden auch von deutschen Unternehmen wie Fluggesellschaften, Autoherstellern oder Lebensmittelhändlern erworben und mit der eigenen CO2-Bilanz verrechnet. Denn der Erwerb sorgt ja dafür, dass weniger Treibhausgase in die Erdatmosphäre gelangen. So weit die Theorie.

Es hagelt Kritik wegen Greenwashing

Doch wie sieht die Praxis aus? Seit dem Beginn von REDD+ im Jahr 2007 hagelt es Kritik: Etwa, dass Konzerne dadurch ihre Klimabilanz aufpolieren können, ohne selbst Emissionen zu drosseln - Stichwort Greenwashing. Kritik richtet sich aber auch gegen die Methode, wie verhinderte Abholzung und damit eingesparte Kohlenstoff-Emissionen berechnet werden.

Dies hat ein internationales Forschungsteam mit deutscher Beteiligung nun untersucht. Die Gruppe um Thales West der Universität Amsterdam überprüfte 26 solche Projekte in sechs Ländern auf drei Kontinenten. Fazit: "Wir fanden heraus, dass die meisten Projekte die Abholzung nicht deutlich verringerten. Bei den übrigen Projekten waren die Verringerungen wesentlich geringer als angegeben."

Ein Teilresultat: Jene 18 Projekte, für die es ausreichend Daten gab, reklamierten für sich, im Jahr 2020 bis zu 89 Millionen Tonnen CO2 vermieden zu haben. Mehr als zwei Drittel davon - gut 60 Millionen Tonnen - entfielen auf Projekte, bei denen in der Studie keinerlei vermiedene Entwaldung erkennbar war. Das Forschungsteam geht davon aus, dass nur etwa 6 Prozent der angegebenen Einsparungen tatsächlich mit Verringerungen verbunden waren.

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So funktioniert die Berechnung des eingesparten Kohlenstoffs

Überraschen kann das eigentlich kaum, denn es geht nicht nur ums Klima, sondern auch um viel Geld: Allein im Jahr 2021 seien rund 228 Millionen Tonnen CO2 aus der Landnutzung auf dem Kohlenstoff-Markt gehandelt worden, schreibt das Team - die Landwirtschaft nicht mitgerechnet. Zwei Drittel der dabei geflossenen 1,3 Milliarden Dollar (umgerechnet 1,2 Milliarden Euro) liefen demnach über REDD+.

Generell läuft die Berechnung des eingesparten Kohlenstoffs so: Man vergleicht die Entwicklung eines Waldgebiets damit, wie stark es ohne Schutz abgeholzt worden wäre. Dazu entwickeln die Betreiber ein Referenzszenario, das etwa auf früheren Entwicklungen in der Projektregion basieren kann. Dann wird berechnet, wie viel Kohlenstoff-Emissionen im Vergleich dazu vermieden werden können. Die Zertifizierung dieser Kalkulationen übernehmen darauf spezialisierte Agenturen, führender Anbieter ist die Nichtregierungsorganisation Verra mit Sitz in Washington.

Bei 16 von 26 Projekten war keine verringerte Entwaldung erkennbar

Das Team untersuchte 26 Projekte in Kolumbien, Peru, Kambodscha, Tansania, Sambia und der Demokratischen Republik Kongo. Als jeweilige Referenzflächen wählte das Forschungsteam selbst Areale aus, nach vorher festgelegten Kriterien. Im Vergleich zu diesen Flächen war bei 16 der 26 Projekte gar keine verringerte Entwaldung erkennbar - und bei den übrigen acht lag sie unter den behaupteten Angaben.

Bis November 2021 hatten jene 18 Projekte, für die ausreichend Daten vorlagen, Zertifikate für 62 Millionen Tonnen Kohlenstoff angegeben. Für knapp ein Viertel davon - 14,6 Millionen Tonnen - waren Zertifikate bereits von Käufern erworben worden, um eigene Treibhausgas-Emissionen aufzurechnen. "Damit wurden diese Projekte nach unseren Schätzungen dazu genutzt, fast dreimal mehr Kohlenstoff-Emissionen abzuschreiben, als sie zur Eindämmung des Klimawandels beitrugen", schreibt die Gruppe. "Und weitere 47,4 Millionen Kohlenstoff-Abschreibungen sind noch auf dem Markt verfügbar."

Zu den Gründen für die immense Diskrepanz zählt das Team die Tendenz, Einkünfte aus dem Verkauf der Zertifikate zu maximieren. "Es ist zu erwarten, dass jemand, der eine Fläche schützt und damit Geld verdienen will, besonders hohe Zahlen angibt", sagt Ko-Autor Jan Börner von der Universität Bonn.

Das betrifft nicht nur die sechs untersuchten Länder. Im Jahr 2020 hatte der Bonner Experte für nachhaltige Landnutzung zusammen mit Erstautor West im Fachblatt "PNAS" eine Analyse für Brasilien vorgelegt - mit ähnlichem Ergebnis.

"An dem System muss sich etwas ändern."

Jan Börner, Experte für nachhaltige Landnutzung

"Die derzeit verwendeten Methoden und Kriterien haben sich als nicht zielführend erwiesen", sagt Börner. "An dem System muss sich etwas ändern - sonst ist das nur ein Ablasshandel." Möglicherweise müsse man zur Berechnung von Referenzszenarien nicht nur die Projektregionen, sondern grössere Verwaltungseinheiten heranziehen wie etwa Bundesstaaten.

"Die Ergebnisse der Studie teile ich voll", sagt Michael Köhl, Experte für Weltforstwirtschaft an der Universität Hamburg, der nicht an der Untersuchung beteiligt war. Entscheidendes Kriterium für die CO2-Effekte sei die Auswahl des Referenzszenarios. Das Problem sei bekannt, sagt Köhl, die Europäische Union entwickle derzeit neue Richtlinien.

Jährlich fünf Milliarden Tonnen Kohlendioxid durch Abholzung

Auch Michael Böcher von der Universität Magdeburg spricht von einer wichtigen Studie. "Man muss aber berücksichtigen, dass hier 26 Projekte untersucht wurden, es aber laut Datenbank mehr als 600 REDD+-Projekte gibt." Allerdings liege der Verdacht durchaus nahe, dass es hier generelle Probleme gebe, betont der Politikwissenschaftler und Experte für nachhaltige Entwicklung.

In einem "Science"-Kommentar heben Julia Jones von der Bangor University und Simon Lewis von der Universität Utrecht die Bedeutung für den Klimawandel hervor: "Änderungen der Landnutzung, überwiegend die Abholzung in den Tropen, emittieren jährlich fünf Milliarden Tonnen Kohlendioxid", schreiben sie. Der einzige noch gewichtigere Sektor sei die Nutzung fossiler Brennstoffe, die pro Jahr für 35 Milliarden Tonnen verantwortlich sei.

Studienergebnisse sorgten für Konsequenzen

Die Studienresultate hätten weitreichende Folgen, so Jones und Lewis: Die Zertifikate für solche Projekte verringerten weder die Emissionen noch die Abholzung wie behauptet. Stattdessen könnten sie wegen der angekratzten Reputation des Programms sogar künftige Investitionen in den Erhalt von Wäldern verhindern. "Für die Glaubwürdigkeit des freiwilligen Kohlenstoff-Marktes zeigt die Studie von West und Kollegen, dass grössere Änderungen gebraucht werden, wie Zertifikate berechnet werden", heisst es weiter. Aber auch das allein reiche zum Schutz von Tropenwäldern nicht aus.

Für den Zertifizierungs-Marktführer Verra hatte die Studie bereits Konsequenzen: Als Reaktion auf einen bereits zu Jahresbeginn veröffentlichten Preprint und Recherchen diverser Medien trat Verra-Chef David Antonioli im Mai zurück. (dpa/mak)

Verwendete Quellen:

  • Science.org: Action needed to make carbon offsets from forest conservation work for climate change mitigation
  • Science.org: Forest carbon offsets are failing
  • Homepage von Verra
  • Verra.org: Who we are
  • Sciencedirect.com: REDD+ measurement, reporting and verification – A cost trap? Implications for financing REDD+MRV costs by result-based payments
  • Carbon-mechanisms.de: Der freiwillige Markt
  • Pnas.org: Overstated carbon emission reductions from voluntary REDD+ projects in the Brazilian Amazon
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