Seit Monaten befürchtet, jetzt Realität: das Wetterphänomen El Niño. Es kann in vielen Weltregionen für Dürre, Hitze oder Überschwemmungen sorgen. Und es kann die Erderwärmung befeuern.
Das in vielen Regionen gefürchtete Wetterphänomen ist wieder da. Die Weltwetterorganisation (WMO) teilte am Dienstag in Genf mit, dass im tropischen Pazifik erstmals seit mehreren Jahren wieder El-Niño-Bedingungen herrschen. Dies könne die globalen Temperaturen weiter in die Höhe treiben und regionale Wetter- und Klimamuster verändern. Die WMO geht mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit davon aus, dass das Wetterphänomen die zweite Jahreshälfte bestimmen wird. Wie stark es diesmal ausfällt, lasse sich noch nicht sagen. Den letzten starken El Niño hatte es 2015/2016 gegeben. Uneins ist die Wissenschaft, ob auch 2018/2019 El-Niño-Bedingungen herrschten.
WMO-Chef warnt vor extremer Hitze
"Der Start eines El Niño erhöht deutlich die Wahrscheinlichkeit, dass Temperaturrekorde gebrochen werden, dass sich in vielen Teilen der Welt und im Ozean extreme Hitze entwickeln", sagte WMO-Chef Petteri Taalas. Er rief Regierungen auf, Vorkehrungen zu treffen, damit bei extremen Wetterereignissen Menschenleben gerettet werden können.
Im zentral-östlichen äquatorialen Pazifik sei die monatliche Durchschnittstemperatur von 0,44 Grad unter dem langjährigen Mittel im Februar bis Mitte Juni auf 0,9 Grad über dem Mittel gestiegen, berichtete die WMO. Die US-Klimabehörde NOAA hatte nach ihrer eigenen Definition bereits im Juni einen El Niño erklärt. Die WMO bezieht bei ihren Berechnungen die Expertise mehrerer Klimabehörden ein.
Was ist ein El Niño?
Erstes Anzeichen des Phänomens ist eine starke Erwärmung der oberen Wasserschichten im Pazifik in Tropennähe, entlang der mittel- und südamerikanischen Küste. Eigentlich drücken Passatwinde das warme Wasser nach Westen und kühleres strömt aus tieferen Schichten nach. Bei El-Niño-Lagen sind die Winde aber schwächer. Der schnelle, bandförmige Windstrom Jetstream verschiebt sich Richtung Süden und die Stratosphäre mehr als zehn Kilometer über der Erde wird wärmer, wie Bob Leamon von der University of Maryland erklärt.
Das Gegenstück dazu ist La Niña, mit umgekehrten Vorzeichen. La Niña drückt auf die globale Durchschnittstemperatur. Eine ungewöhnlich lange dreijährige La Niña-Phase ist gerade zu Ende gegangen. Beide Phänomene passieren in unterschiedlichen Abständen alle paar Jahre.
Woher kommt der Name?
"El Niño" heisst übersetzt das Christkind. Der Name stammt von Fischern in Peru, die den Temperaturanstieg des Meeres oft in der Weihnachtszeit bemerkten.
Was sind die Folgen?
Das kommt auf die Weltregion an. Trockener und heisser wird es in der Regel etwa in Südostasien, im südlichen Afrika und in Australien. Dort steigt das Risiko von Wald- und Buschbränden. In Australien war der heisseste je gemessene Sommer die durch einen El Niño geprägte Jahreswende 2018/2019. Auch in Brasilien und dem nördlichen Teil Südamerikas wird es trockener, ebenso im mittleren Westen der USA, wo es deshalb in El-Niño-Jahren oft besonders gute Getreideernten gibt. Feuchter wird es dagegen in Ostafrika, das gerade durch eine verheerende Dürre gegangen ist, ebenso an der Westküste Nord- und Südamerikas und in Sri Lanka vor der Südspitze Indiens.
Im Golf von Mexiko sinkt die Gefahr von Hurrikans, weil weniger Feuchtigkeit in der Luft ist. Über dem Atlantik auch, weil stärkere Scherwinde Hurrikane auseinanderreissen, so Leamon. Im Pazifik drohen dagegen mehr gefährliche Stürme.
Und Europa? "Der Fingerabdruck von El Niño ist auf den tropischen Pazifik konzentriert, mit spürbaren Auswirkungen auf den grösseren Pazifikraum und entlang des Äquators, aber mit nur geringen Auswirkungen in Europa", sagt Helge Gössling vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven.
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Was ist der Auslöser eines El Niño?
Die Wissenschaft weiss es noch nicht. Es gilt als natürliches Phänomen wie der Monsun, tritt allerdings in unregelmässigen Abständen auf. Bekannt ist, dass die Stärke sowohl von El Niño als auch La Niña von anderen Phänomenen beeinflusst wird. Wenn die Passatwinde sich im Laufe des Jahres normalisieren, wie 2014, kann sich ein beginnender El Niño auflösen, wie Klimawissenschaftlerin Michelle L'Heureux von der US-Klimabehörde NOAA erklärt.
Dass das jüngste La-Niña-Ereignis so lange dauerte, lag zum Beispiel mit an den schweren Bränden 2019/20 in Australien, glaubt John Fasullo vom National Center for Atmospheric Research im US-Bundesstaat Colorado. Rauch-Aerosole in der Atmosphäre hätten Sonnenlicht reflektiert, was über dem Pazifik Luftschichten und in der Folge die Meeresoberfläche kühlte.
Wieso steigt die globale Durchschnittstemperatur in El-Niño-Jahren?
Das hat der Klimawissenschaftler Richard Allan von der Universität Reading untersucht. Zum einen zeigten 2015/16 Satellitenaufnahmen und Computersimulationen, dass sich mehr tiefe Wolken über dem Pazifik auflösten und mehr Sonnenlicht das Wasser zusätzlich erwärmte. Zudem binde die Atmosphäre deutlich mehr Wasser als in anderen Jahren. Bei starken El Niños könne das 3.000 Kubikkilometer Wasser ausmachen, so viel wie 120 Millionen 50-Meter-Schwimmbecken. "Dies trägt dazu bei, die Heizkraft von El Niño weiter zu erhöhen, da Wasserdampf ein starkes natürliches Treibhausgas ist", so Allan.
Ist das Ziel, die Erwärmung möglichst auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, durch den aufziehenden El Niño in Gefahr?
Das Ziel ist zwar in Gefahr, aber das liegt nicht an El Niño. Es geht um unterschiedliche Dinge. Das 1,5 Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen - das Experten zufolge kaum noch zu erreichen ist - bezieht sich auf einen Durchschnittswert über mehrere Jahre.
Einzelne wärmere Jahre, die jetzt durch El Niño wahrscheinlicher sind, sind dafür nicht ausschlaggebend. Viele Wissenschaftler gingen schon vor den ersten Anzeichen für einen El Niño davon aus, dass die 1,5-Grad-Grenze demnächst in einem einzelnen Jahr überschritten wird. Danach dürften wieder kühlere Jahre kommen. 2022 lag die globale Durchschnittstemperatur laut WMO rund 1,15 Grad über dem Niveau von 1850 bis1900. 2016 waren es rund 1,3 Grad.
Wie stark wird der El Niño 2023?
Schwer zu sagen. Leamon von der Universität Maryland kommt mit seinen Modellrechnungen zu dem Schluss, dass das Phänomen in diesem Jahr eher im Sande verläuft und erst 2026 ein Super-El-Niño droht.
Was bedeutet das für die Weltwirtschaft und die Menschen?
Nach den Berechnungen von US-Ökonomen brachten die El Niños 1982/83 und 1997/98 innerhalb von fünf Jahren jeweils bis zu 4,1 Billionen Dollar Verluste - verglichen mit einer Entwicklung ohne das Wetterphänomen. Das Analyseunternehmen Economist Intelligence Unit sieht bei einem starken El Niño in diesem Jahr ein grosses Risiko für die Agrar- und Fischproduktion in Süd- und Südostasien. Das treibe Nahrungsmittelpreise in die Höhe.
Höhere Temperaturen könnten dort zu Energie-Engpässen mit Abschaltungen führen. Das beeinträchtige dann die Industrieproduktion. In Sri Lanka könnte stärkerer Regen die Teeproduktion beeinträchtigen, während die Feuchtigkeit gleichzeitig für mehr Dengue-Fieberfälle sorgen könnte. Das Analyse-Institut Fitch Solutions warnt vor Einbrüchen in der Getreideernte im südlichen Afrika.(Christiane Oelrich, dpa/sbi)
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