- Am 9. August hat der Weltklimarat IPCC seinen neuen Bericht vorgestellt.
- Der menschliche Einfluss auf den Klimawandel gilt demnach als gesichert.
- Mithilfe von sogenannten SSP-Szenarien untersuchen Wissenschaftler mögliche Entwicklungen in der Zukunft.
Wenn Wissenschaftler abbilden, wie eine mögliche Zukunft aussehen könnte, bedienen sie sich Modellen. In der Klimaforschung müssen dabei Annahmen getroffen werden, wie sich die Menschheit in Zukunft verhalten wird. Diese Annahmen heissen SSP-Szenarien.
Wie wird sich der Temperaturanstieg entwickeln? Wie die Höhe des Meeresspiegels? Was bedeutet das für bislang gemässigte Klimazonen? SSP-Szenarien erlauben einen Blick in die Glaskugel.
Fünf Visionen für die Zukunft
SSP steht für "Shared Socioeconomic Pathways", zu Deutsch: gemeinsame sozioökonomische Entwicklungspfade. "Insgesamt arbeiten wir mit fünf beispielhaften SSP-Szenarien. Theoretisch liessen sich aber Hunderte Kombinationen abbilden", sagt Dirk Notz vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg. Er ist Mitautor des IPCC-Sachstandsberichts. Die SSP berücksichtigen, wie sich die Welt wirtschaftlich und politisch entwickeln könnte.
"Wie wird sich die Zusammenarbeit der Länder gestalten? Werden Gesellschaften auf fossile oder erneuerbare Energien setzen? Sozioökonomische Parameter ergänzen in den Szenarien die rein naturwissenschaftliche Sicht", erklärt Klimaforscher Notz.
Zwischen Kehrtwende und ungebremstem "Weiter so"
Das optimistischste Szenario SSP1 beschreibt eine mögliche Zukunft, in der die Menschheit einen nachhaltigen Weg einschlägt. Das Wohlbefinden der Menschen ist darin wichtiger als Wirtschaftswachstum, die Grenzen der Natur werden respektiert, grüner Konsum hat sich durchgesetzt.
Dem pessimistischsten Szenario SSP5 liegt hingegen eine Zukunft zugrunde, in der der Verbrauch fossiler Brennstoffe ungebremst ansteigt. Statt wie heute rund 40 Milliarden Tonnen Kohlendioxid jährlich, würde die Weltgemeinschaft in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts bis zu 130 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr freisetzen.
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Welche Bedeutung hat der Strahlungsantrieb?
Ein Ziffernzusatz ergänzt jeweils die Szenarien eins bis fünf. Im optimistischsten Entwicklungsszenario lautet die vollständige Bezeichnung SSP1-1.9, im pessimistischsten Szenario SSP5-8.5. Die Zahl hinter dem Bindestrich bezeichnet den sogenannten menschengemachten Strahlungsantrieb.
"Dieser Strahlungsantrieb beeinflusst, wie viel zusätzliche Erwärmung wir bis zum Ende des Jahrhunderts durch menschliche Aktivitäten bekommen werden. Je höher diese Zahl, desto mehr Wärme. Deshalb ist sie für uns Naturwissenschaftler und Naturwissenschaftlerinnen von grösster Bedeutung", erläutert Dirk Notz.
Wärme, erklärt er, erhalte die Erdoberfläche aus zwei Quellen: der Sonne und der Atmosphäre. Wer nachts ins Freie geht, steht eben nicht in der Eiseskälte des Weltraums, sondern in einer relativ warmen Umgebung. "Das ist die Wärmestrahlung der Atmosphäre, die aus Treibhausgasen in der Atmosphäre stammt. Diese Wärmestrahlung nimmt durch unseren Ausstoss von Treibhausgasen immer weiter zu, wodurch sich das Klima erwärmt."
Wie würde das Leben im Worst-Case-Szenario aussehen?
Im schlechtesten aller Fälle, dem Szenario SSP5-8.5, würden die Temperaturen zur Mitte des Jahrhunderts gegenüber der vorindustriellen Zeit um 2,4 Grad steigen. Zum Ende des Jahrhunderts wäre es schon 4,4 Grad wärmer.
Der Meeresspiegel läge im Jahr 2100 bis zu einem Meter höher als heute und würde weiter steigen. Wo sich keine Deiche befinden, würden Strände ins Landesinnere wandern, bis sie höhere Lagen erreicht hätten.
Hitzewellen und Extremwetterereignisse würden uns in nahezu jedem Jahr begleiten. "Weil sich Europa stärker erwärmt als die mittlere globale Temperatur, könnte auch eine um zwei Grad wärmere Welt schlimme Folgen haben", sagt Notz.
In einer um mehr als vier Grad wärmeren Welt würde die Landwirtschaft in Deutschland nicht mehr ohne zusätzliche Bewässerung, wie sie heute schon in Spanien üblich ist, auskommen, was zu Verteilungskämpfen um das vorhandene Wasser führen könnte. Das Leben würde sich in Richtung der Polarregionen und in höhere Lagen in den Bergen verlagern.
"Die gesamte Zivilisationsentwicklung fand unter den Bedingungen eines unglaublich stabilen Klimas statt", sagt der Wissenschaftler. "Wir sind dabei, die Komfortzone des Klimasystems zu verlassen und bewegen uns in einen Klimabereich hinein, für den die Menschheit keine Vorerfahrung besitzt."
Die Szenarien im Realitätscheck
Der Weltklimarat nimmt keine Einschätzung vor, mit welcher Wahrscheinlichkeit die SSP-Szenarien jeweils eintreffen könnten. Eine Verdreifachung der Emissionen gegenüber heute erscheint angesichts des neuen Bewusstseins für Umwelt- und Klimafragen dennoch unwahrscheinlich.
Würden die bisherigen Klimaschutzzusagen der Staaten umgesetzt werden, würde die Menschheit sich auf das mittlere Szenario SSP2-4.5 zubewegen. Aktuell liegt die weltweite Temperatur 1,1 Grad über der vorindustriellen Zeit.
Um das Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen von höchstens 1,5 Grad zu erreichen, müssten die Anstrengungen verstärkt werden – und sie müssten rechtzeitig eingeleitet werden. "Denn das Klimasystem ist relativ träge", sagt Notz. "Die Verläufe, die wir bei vielen Parametern sehen, sind in den nächsten 20 Jahren vergleichsweise ähnlich. Ab der Mitte des Jahrhunderts ergeben sich dann aber ganz klare Unterschiede für die unterschiedlichen Szenarien. Die Zukunft des Klimas liegt damit in unseren Händen."
Verwendete Quellen:
- Interview mit Prof. Dr. Dirk Notz am 12. August 2021
- Klimanavigator: Die aktuellen SSP-Szenarien
- Deutsches Klima Konsortium (DKK): Ergebnisse des Weltklimarats
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