Die Weltnaturschutzkonferenz COP16 und der Weltklimagipfel COP29 sollen der Umsetzung grosser Ziele dienen – das Risiko des Scheiterns ist aber riesig, wie zwei neue Publikationen zeigen. Die Erderwärmung wird demnach noch in vielen Zehntausend Jahren zu spüren sein.
Krieg im Nahen Osten, Krieg in der Ukraine, Wahlsiege von Rechtspopulisten, eine drohende Achse Trump-Putin, chinesische Flugzeugträger vor Taiwan – die Weltpolitik ist derart von akuten Krisen bestimmt, dass für die zwei vielbeschworenen "Jahrhundertaufgaben" der Menschheit kaum Aufmerksamkeit übrigbleibt.
Vertreter aus 200 Staaten kommen seit dem 21. Oktober in Kolumbien zum sechzehnten UN-Naturschutzgipfel (COP16) zusammen und ab 11. November in Aserbaidschan zum neunundzwanzigsten UN-Klimagipfel (COP29).
Doch Klimaschutz ist sowohl auf der Agenda von Regierungen als auch in den Umfragen, was Bevölkerungen wichtig finden, in den vergangenen Monaten weit nach hinten gerutscht. Der Schutz der Biodiversität hat es eigentlich noch nie wirklich in die Spitzenränge öffentlicher Aufmerksamkeit geschafft, obwohl es buchstäblich um die Lebensgrundlagen geht.
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Zudem bedeutet "Jahrhundertaufgabe" keinesfalls, dass die Probleme erst über Jahrzehnte auftreten oder dass viel Zeit wäre, sie anzupacken – es geht ebenfalls um akute Krisen, die den Auftakt eines Dramas von erdgeschichtlichen Dimensionen bilden.
In Südamerika ist mit dem Rio Negro der zweitgrösste Nebenfluss des Amazonas trockengefallen. Etwas weiter südlich steht mit dem Pantanal das weltweit grösste Feuchtgebiet auf weiten Flächen in Flammen.
Häufigere Wetterextreme – wie prognostiziert
In Deutschland, so wurde es vor Kurzem bekannt, hat der Wald aufgehört, im Saldo Kohlendioxid zu speichern. Vor allem durch Fichtenmonokulturen, die von Hitze und Trockenheit überfordert sind, ist er zur CO2-Quelle geworden. Und ein "Faktencheck Artenvielfalt" aus der Feder von 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hat ergeben, dass es "einem grossen Teil unserer Tierarten, Pflanzen und Lebensräume schlecht geht", wie einer der Hauptautoren des Berichts die Ergebnisse zusammenfasste.
Bei uns stehen die Feuchtgebiete zwar nicht wie das Pantanal in Flammen. Aber rund 7.000 von insgesamt 12.900 untersuchten Arten und Unterarten, die in Deutschland im Süsswasser leben, sind laut Report "gefährdet, stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht".
Weltweit häuften sich in den vergangenen Wochen schwere Überschwemmungen und Unwetter – kurz vor den Rekordhurrikans "Milton" und "Helene" in den USA standen in Mitteleuropa ganze Landstriche unter Wasser. Dass in Westafrika eine extrem ausgeprägte Regenzeit Millionen Menschen aus ihren Häusern vertrieb, schaffte es wegen all der anderen Wetterextreme kaum in die Schlagzeilen westlicher Medien.
Bei allen diesen Überschwemmungen gehen Klimaforscher davon aus, dass die globale Erwärmung sie in ihren Ausmassen verstärkt hat: Eine um durchschnittlich ein Grad Celsius wärmere Atmosphäre kann sieben Prozent mehr Wasser aufnehmen.
Jenseits der planetaren Grenzen
Das sind aber nur einige von vielen Schauplätzen, an denen Millionen Menschen akut von Wetterextremen betroffen sind und der "Krieg gegen die Natur" geführt wird, den UN-Generalsekretär António Guterres im Kontext von COP16 und COP29 anprangert. Ein Wissenschaftlerteam um William Ripple und Christopher Wolf von der Oregon State University bringt im Journal "BioScience" auf den Punkt, wie beunruhigend passgenau sich solche Ereignisse in globale Trends einordnen.
Und eine Forschergruppe um Colin Summerhayes vom Scott Polar Research Institute im britischen Cambridge legt im Journal "Global and Planetary Change" ausführlich dar, dass diese Doppelkrise von Klima und Natur eben nicht umgehend beendet werden könnte, sondern schon jetzt einen Schatten auf Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende Jahre künftiger Erdgeschichte wirft.
Ripple und Wolf aktualisieren die Analyse sogenannter "Planetarer Grenzen". Sie zeigen auf, in welchen Bereichen die Menschheit Umweltbedingungen zerstört und hinter sich lässt, unter denen sie die Zivilisation sicher aufrechterhalten kann. Die Ausführungen beginnen weniger im Stil einer wissenschaftlichen Veröffentlichung als eines Notfall-Telegramms, das seine Empfänger aus dem Alltag reissen will: "Wir befinden uns am Rande einer unumkehrbaren Klimakatastrophe. Es handelt sich zweifellos um einen globalen Notfall. Ein Grossteil der Lebensgrundlagen auf der Erde ist gefährdet. Wir treten in eine kritische und unvorhersehbare neue Phase der Klimakrise ein."
Der lange Hebel in die Zukunft
Die Autoren zeigen, welche neuen Rekorde Meteorologen in den Jahren 2023 und 2024 bei der durchschnittlichen Oberflächentemperatur des Ozeans, bei der globalen Lufttemperatur und bei den eisfreien Flächen verzeichnet haben. Sie ziehen die Linie hin zum globalen Ausstoss von CO2 und seinem Gehalt in der Atmosphäre, die aller Klimapolitik und aller Investitionen in Wind- und Solarenergie zum Trotz auf neue Höchstwerte gestiegen sind.
40 Milliarden Tonnen CO2 gelangten 2023 allein aus der Verbrennung von Öl, Kohle und Erdgas in die Luft – Tendenz steigend. Im Moment sei die Erde auf Kurs zu einer Erwärmung um 2,7 Grad Celsius, referieren sie.
"Trotz sechs IPCC-Berichten, 28 COP-Sitzungen, Hunderten von anderen Treffen und Zehntausenden von wissenschaftlichen Abhandlungen hat die Welt nur sehr geringe Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel gemacht, was zum Teil auf den erbitterten Widerstand derjenigen zurückzuführen ist, die finanziell vom derzeitigen, auf fossilen Brennstoffen basierenden System profitieren", schreiben die Wissenschaftler.
Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte sich "etwa ein Drittel der Menschen weltweit ausserhalb der menschlichen Klimanische befinden und einem erhöhten Krankheits- und Frühsterberisiko, Hungersnöten und einer Vielzahl anderer nachteiliger Folgen ausgesetzt sein."
Während diese Veröffentlichung vor allem dadurch auffällt, wie dringlich sie formuliert ist, bietet das Paper der Autoren um Summerhayes einen Ausblick, der wohl auch für manche Klimaexperten neu – und schauerlich – sein dürfte. Die Forscher aus dem Umkreis der "Anthropocene Working Group" ordnen die aktuellen Entwicklungen in die gesamte Erdgeschichte ein. Ihnen zufolge geht der verharmlosende Einwand von Kritikern, das Klima habe sich über Hunderte Millionen Jahre hinweg doch schon immer gewandelt, völlig in die Irre.
Schnellere Erwärmung als in einer der heftigsten Hitzephasen des Planeten
Denn selbst bei der Rekorderwärmung an der Grenze von Paläozän und Eozän vor 56 Millionen Jahren, die Geologen als PETM abkürzen, sei nicht so viel erwärmendes CO2 in so kurzer Zeit in die Atmosphäre gelangt wie jetzt: "Die Rate an Kohlenstofffreisetzung während des PETM war die höchste in den vergangenen 66 Millionen Jahren, betrug aber nur ein Zehntel der heutigen Rate", schreiben sie.
Die Autoren warnen zugleich, dass die Erderwärmung viel stärker ausfallen könnte, als es die Computermodelle des Weltklimarats IPCC bisher nahelegen. Es gebe aus der Erdgeschichte deutliche Hinweise darauf, dass das Weltklima viel sensibler auf eine Verdoppelung des CO2-Gehalts reagiere als angenommen, nämlich 4,8 (± 1,2) Grad Celsius statt die bisher angenommenen 3 Grad Celsius.
Zudem werde immer klarer, wie lange allein die bis heute entstandene Erwärmung wirken werde: Selbst wenn die Menschheit ihre CO2-Emissionen auf null bringt, wird "die Erwärmung, die Eisschmelze und der Anstieg des Meeresspiegels zumindest für 100.000 Jahre anhalten". Bei gleichbleibend hohen CO2-Emissionen würden die Wirkungen "wahrscheinlich noch über 500.000 Jahre andauern". Dass es im Rahmen von langfristigen natürlichen Schwankungen zu einer neuerlichen Eiszeit kommen könnte, gilt in dieser Perspektive als höchst unwahrscheinlich.
Für Summerhayes und seine Mitautoren ist auch klar, dass die heutigen Erwärmungsraten zu hoch seien, als dass sich die Ökosysteme, auf die die Menschheit unter anderem für Wasser und Nahrung angewiesen sind, anpassen könnten. Die Lebensräume kämen unter einen Temperaturstress, wie es ihn über mehrere Millionen Jahre hinweg nicht gegeben habe.
Die Warnung vor "Zombie-Ökosystemen", die bereits zum Tod verurteilt sind, stellen die Autoren deshalb als plausibel dar, ebenso wie die Prognosen, denen zufolge bis 2100 mindestens die Hälfte der weltweit lebenden Arten in ihrem Bestand bedroht sein könnten, sodass binnen weniger Jahrhunderte die mit 75 Prozent Verlust definierte Schwelle zu einem sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte erreicht wäre.
Warnrufe aus der Wissenschaft dringen nicht durch
Angesichts dieser Trends stellen es die Geologen als absurd dar, dass es die offiziellen Gremien ihrer Disziplin Anfang des Jahres abgelehnt haben, den Vorschlag einer neuen, nach dem Einfluss des Menschen benannten Erdepoche namens Anthropozän anzuerkennen und bei der heutigen Klassifizierung bleiben wollen: "Es ist die Holozän-Epoche mit einer Dauer von nur 11.700 Jahren, die als 'Ausreisser' auf der geologischen Zeitskala erscheinen wird, als ein kurzes Intervall, in dem komplexe, sesshafte menschliche Gesellschaften mit einem stabilen Erdsystem koexistierten, es aber nicht überwältigten."
Ein dramatischeres Bild der Lage lässt sich kaum zeichnen – doch die beiden UN-Umweltgipfel COP16 und COP29 werden es in den kommenden Wochen trotz vielfacher Warnrufe aus der Wissenschaft schwer haben, angemessen viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Eine allgemeine Überlastung der Öffentlichkeit mit Krisen paart sich mit wachsenden Zweifeln, ob globale Events dieser Art überhaupt rechtzeitig die nötigen Veränderungen bewirken können, und dem Trend zu einem anti-ökologischen Zeitgeist. Je härter die Warnungen ausfallen, desto verhärteter geben sich die Leugner, Verharmloser und Zeitspieler.
Es gibt zumindest Hoffnungsschimmer
Die in vielen westlichen Hauptstädten erkennbare Strategien, im Dienst der Wählergunst ökologisch begründete Veränderungen hinauszuschieben, zeigen, wie gross der Kontrast zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und politischem Handeln weiterhin ist.
Bei beiden UN-Konferenzen wird es aber darum gehen, wie frühere Versprechungen nun praktisch umgesetzt werden – was von handlungsbereiten Regierungen abhängt. Der Paris-Vertrag von 2015 besagt, die Erderwärmung dürfe kein gefährliches Niveau erreichen, was damit übersetzt wird, sie möglichst unter 1,5 Grad Celsius und in jedem Fall unter zwei Grad zu halten.
Auf heutigem Kurs erscheint das ausgeschlossen, obwohl in diesen Tagen die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien bekannt gab, dass der Ausbau von Wind- und Sonnenenergie so schnell vorankommt wie nie zuvor. Damit das 1,5-Grad-Ziel erreichbar bleibe, müssten die Investitionen aber auf 1,5 Billionen US-Dollar pro Jahr verdreifacht werden.
Ähnlich gross sind die Ziele vom Montreal-Gipfel von Ende 2022 zum Schutz der Biodiversität. Damals wurde zum Beispiel vereinbart, dass bis 2030 30 Prozent der Meeres- und Landflächen der Erde unter wirksamen Schutz gestellt, der Verlust intakter Natur "fast auf null" gebracht werden soll. Das erscheint mindestens so ambitioniert und schwer zu erreichen wie die Klimaziele.
Doch immerhin geht aus der Studie zu den "Planetaren Grenzen" hervor, dass die Entwaldungsrate im Amazonas sinkt. Zudem hat Australien vor Kurzem das Meeresschutzgebiet um die Heard- und McDonald-Inseln im südlichen Indischen Ozean um eine Fläche von der Grösse Italiens ausgedehnt. Zumindest Hoffnungsschimmer bietet unsere krisengeschüttelte Zeit dann doch.
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Verwendete Quellen
- cop29.az: In Solidarity for a Green World
- tagesschau.de: Dürre lässt Amazonas-Nebenfluss austrocknen
- BMBF-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA): Faktencheck Artenvielfalt
- academic.oup.com: The 2024 state of the climate report: Perilous times on planet Earth
- tagesschau.de: Australien vervierfacht Meeresschutzgebiet
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