In der ersten Juliwoche hat sich das Wetter für viele so gar nicht nach Sommer angefühlt. In der darauffolgenden Woche schossen die Temperaturen nach oben. Schnelle Wetterwechsel werden immer häufiger, sagt Meteorologin und Humanbiologin Alexandra Schneider. Im Interview gibt sie einen Ausblick in die Zukunft.
Extreme Wetterschwankungen verwundern und machen dem ein oder anderen auch körperlich zu schaffen. Alexandra Schneider, stellvertretende Direktorin des Instituts für Epidemiologie und Leiterin der Forschungsgruppe "Umweltrisiken" bei Helmholtz München, erklärt im Interview, was es mit den Wetter-Extremen auf sich hat und inwiefern auch niedrige Temperaturen in Sommermonaten Teil des Klimawandels sind. Ausserdem gibt die Meteorologin und Humanbiologin einen Ausblick, worauf wir uns in den kommenden Jahren einstellen müssen.
Frau Schneider, vergangene Woche gab es Regen und Temperaturen um 15 Grad. Jetzt ist es heiss und sonnig. Wetterschwankungen wie diese ziehen sich gefühlt dieses Jahr durch die Frühlings- und Sommermonate. Ist das denn "normal"?
Alexandra Schneider: Das gab es natürlich früher auch schon, aber normal ist das nicht. Es gab schon immer recht extreme Wetterwechsel, allerdings nicht in diesem Ausmass und in dieser Häufigkeit. Bei Klimawandel haben die meisten vor allem die ständige Erwärmung auf dem Schirm und dass es immer heisser wird. Aber auch die Tatsache, dass das Wetter viel mehr schwankt, viel variabler ist, hat durchaus etwas mit dem Klimawandel zu tun. Das ist eine Beobachtung, die wir in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren machen konnten.
Ständige Wetterwechsel sind typisches Zeichen des Klimawandels
Bei 15 Grad im Juli wird der Klimawandel von manchen auch mal infrage gestellt. Können Sie das nachvollziehen?
Es ist natürlich verständlich, dass die Leute das denken. Das kommt daher, dass man viel über Hitze-Extreme spricht, heisse Tage und Hitzewellen. Und wenn die dann nicht kommen, sagen manche "Ach Klimawandel, gibt's ja gar nicht". Was dabei nicht bedacht wird: Das Klima beschreibt nicht ein einziges Jahr, sondern bei Klima spricht man immer von 10, 20, 30 Jahren und beobachtet die Mittelwerte. Natürlich gibt es einzelne Jahre, in denen die Erwärmung nicht so deutlich wird – sozusagen Ausreisser. Und zum anderen – wie schon gesagt – ist dieser ständige Wechsel von besonders heiss und plötzlich wieder relativ kühl ein typisches Zeichen für den Klimawandel. Ohne den Klimawandel wäre das Wetter etwas stabiler.
Sind es diese extremen Wetterschwankungen, die uns jetzt besonders zu schaffen machen?
Es gibt mehr Wetterextreme und das macht es dem menschlichen Körper ziemlich schwer, sich anzupassen. Eigentlich schafft es unser Körper gut, sich im Sommer anzupassen, wenn es warm bleibt und immer wärmer wird. Aber wenn die Temperaturen so schnell sinken und steigen, ist das schwierig. Wenn man sich zum Beispiel Hitzewellen über den Sommer verteilt ansieht, gibt es die meisten gesundheitliche Probleme mit der ersten Hitzewelle. Jede folgende Hitzewelle hat schon weniger Gesundheitseffekte. Der Körper passt sich im Laufe des Sommers an diese Wärme an. Wenn die Temperaturen aber nicht ansteigen und wir keinen konstant heissen Sommer haben, sondern immer wieder kalte Phasen, macht der Körper jedes Mal eine Art Neustart. Das ist eine grosse Leistung, die er erbringen muss: Das Herz-Kreislauf-System muss sich darauf einstellen und das stresst den Körper. Das schlaucht.
Wir können uns also nicht so einfach an diese Temperaturumschwünge gewöhnen?
Das ist schwierig und lässt sich auch nicht so einfach trainieren. Allerdings: Wenn man gesund und fit ist, generell viel rausgeht, auch mal bei Regen und wenn es kalt ist, schafft der Körper das auch. Dadurch funktioniert die Thermoregulation im Körper besser und läuft sozusagen reibungsloser. Aber ein kranker Körper bekommt jede Ausgleichsreaktion mit und fühlt sich dann noch geschlauchter und gestresster.
Unsere Gesellschaft muss sich also darauf einstellen, dass es in den nächsten Jahren zu mehr Gesundheitsproblemen durch Extremereignisse kommen wird?
Ja. Deshalb sollte jeder Wert auf einen gesunden Lebensstil legen: sich besser ernähren, mehr bewegen, mehr rausgehen, damit der Körper diese Extreme besser wegstecken kann. Dann wird es wahrscheinlich nicht zu so vielen Krankheitsfällen oder auch Toten kommen.
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Kann es sein, dass auch Erkältungen und Grippe im Sommer häufiger werden?
Wenn es schnell wieder kalt wird und man darauf nicht eingestellt ist, passen einige ihr Verhalten und ihre Kleidung verzögert an. Kurze Hosen bei 15 Grad oder Rollkragen-Pullis bei 25 Grad – das kommt dann schon mal vor. So etwas fördert Erkältungswellen. Ich glaube, das ist aktuell einer der Gründe, weshalb einige krank sind.
Nicht allein die Erwärmung ist das Problem, sondern die Extreme
Was erwartet uns in den kommenden Jahren in den Sommermonaten?
Wenn sich die Entwicklung weiter so fortsetzt, werden unsere Sommer wechselhafter und weniger konstant warm, dafür aber mehr und intensivere Hitzetage. Das zumindest sagen uns die Klimaprognosen, die aber natürlich auf gewissen Modellannahmen beruhen.
Der Juni lag 1,5 Grad über dem geschätzten Juni-Durchschnitt für 1850 bis 1900, der vorindustriellen Referenzperiode, wie der EU-Klimawandeldienst Copernicus mitteilte. Die europäische Durchschnittstemperatur im Juni 2024 überschritt den Durchschnittswert für die Juni-Monate von 1991 bis 2020 um 1,57 Grad. In einigen europäischen Ländern war es schon besonders warm. Seit 13 Monaten jagt ein globaler Temperaturrekord den nächsten. So fühlt es sich allerdings nicht immer an…
Absolut! Über die Messungen im Juni habe ich mich, wenn man Deutschland betrachtet, selbst ein bisschen gewundert. Was man bedenken muss: Aus den Messstationsdaten berechnet man die Tagesmitteltemperaturen. Zum Beispiel wird jede Stunde ein Wert gemessen und daraus das Mittel des Tages berechnet. Was auf jeden Fall eine Rolle spielt: Wir haben zurzeit recht warme Nächte. Obwohl die Tage gar nicht so heiss waren, sind die Nächte nicht stark abgekühlt. Das ist im Übrigen auch ein Teil des Klimawandels: Die nächtliche Erwärmung schreitet stärker voran als die Erwärmung tagsüber.
Für Menschen ist ein Unterschied von 1,5 Grad kaum zu spüren. Das ist auch ein Grund, weshalb man immer wieder Sätze hört wie "Was stört es mich, wenn es in Deutschland 1,5 Grad wärmer ist? Das ist vielleicht sogar ganz angenehm". Was würden Sie bei solchen Aussagen entgegnen?
Das ist tatsächlich ein Irrglaube, weil man mit diesem Mittelwert rechnet. Ja, im Mittel sind es 1,5 Grad wärmer. Aber das Problem ist, dass sich die Temperaturverteilungskurve verschiebt. Und das Verschieben des Mittelwerts führt leider als Kettenreaktion dazu, dass sich die Ausschläge verschieben. Es gibt mehr extrem heisse Tage, viel häufiger als früher. Und es treten auch noch Tage mit noch extremeren Werten als damals auf. Das sind die zwei Konsequenzen. Es ist nicht der steigende Mittelwert, der Schwierigkeiten bereitet, sondern die Extreme, die zunehmen.
Wie könnte man in Städten konkret vorbeugen?
Ein grosses Problem ist der Städtebau. Die Städte sind zu sehr zubetoniert und es gibt viel zu viele enge Strassenzüge mit hohen Gebäuden. Wir bräuchten viel mehr Begrünung, wie Fassadenbegrünung, Dächerbegrünung, mehr Bäume in den Strassen, weil das zu einer Abkühlung führt. Dann hätte man dieses nächtliche Hitzeinselproblem, das sich dann in Städten bildet, schon einmal weniger. Und man müsste für Frischluftschneisen sorgen, sodass es mehr Durchzug gibt und die heisse Luft nicht stehen bleibt.
In den USA gibt es zudem sogenannte Cooling Centers, in denen sich Menschen abkühlen können. Deutschland ist traditionell kein Klimaanlagenland, da Deutschland an sich zu den Ländern mit kaltem Klima zählt, und die Klimaanlage ist auch sicher nicht die Lösung für den Klimawandel. Aber wenn es dann mal viele Tage und Nächte heiss bleibt, dann wären solche Zentren sicher auch bei uns nicht verkehrt. Sie könnten als Resilienz-Zentren im Winter vielleicht auch als Wärmeinseln dienen. Generell wäre es noch wichtig, dass die Gesellschaft ihr Verhalten ändert.
Was meinen Sie damit?
Wir sollten an heissen Tagen flexibler werden. Zum Beispiel sollten ältere Menschen nicht in der Mittagshitze zum Arzt gehen müssen und stattdessen abends noch Termine bekommen. In einigen Berufen wäre auch die Überlegung, dass man mittags eine Siesta macht. Deutschland könnte sich bei Ländern wie Spanien, in denen das Klima heisser ist, einiges abschauen, zum Beispiel auch bei der Bauweise der Häuser.
Zur Gesprächspartnerin
- Alexandra Schneider hat ein Diplom in Meteorologie und einen Master in Public Health. Im Jahr 2004 promovierte sie in Humanbiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seit 2010 leitet sie ihre eigene Forschungsgruppe "Umweltrisiken" am Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Auswirkungen von Wetter und Klimawandel auf die menschliche Gesundheit und die partikuläre und gasförmige Luftverschmutzung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
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