Wir lieben Geschichten, in denen am Ende alles gut wird. Fürs Happy End sorgt in den meisten Filmen und Büchern eine Hauptfigur, die sich auf eine heldenhafte Reise begibt. Hoffen wir deshalb insgeheim auch in der Klimakrise auf den Helden, der uns rettet?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Silke Jäger (RiffReporter) sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Im Kino gibt es viele Helden, die wirklich Grosses leisten. Die berühmtesten unter ihnen befreien die Welt von raffgierigen Schurken und brutalen Bösewichten oder verhindern sogar, dass ein Asteroid auf der Erde einschlägt. Dafür nutzen sie ihre Superkräfte, ihre Muskeln, ihr Hirn oder allerlei grossartige Technik. Sie heissen Superman, Captain Marvel, Wonder Woman oder – wenn sie ihr Handwerk auf die feine englische Art interpretieren – James Bond.

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Egal ob Mann, Frau oder Überwesen, sie haben alle etwas gemeinsam: Sie kämpfen einen einsamen Kampf. Zwar werden sie oft von jemandem unterstützt, der ihnen wohlgesonnen ist und viel Erfahrung hat – dem Mentor. Aber am Ende bekommen sie allein die Lorbeeren, was sagen soll: Es kann nur einen geben. Nur einen, der so besonders ist, dass er die unmenschliche Kraft aufbringt, eine derartige Mammutaufgabe zu bewältigen.

Solche Heldengeschichten sind uns so vertraut, dass wir die darin liegende Botschaft häufig nicht mehr bewusst wahrnehmen. Der Einzelkämpfer, der erfolgreiche Allein-Bewältiger von Problemen – all das sind Varianten desselben Mythos. Diesem Mythos liegt eine Erzählstruktur zugrunde: die Heldenreise.

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Es gibt auch eine weniger bekannte, aber fast ebenso verbreitete, die auf ganz andere Lösungen setzt: die Heldinnenreise. Doch Achtung: Die Namensgebung führt in die Irre. Denn es ist keineswegs so, dass Heldenreisen für Männer und Heldinnenreisen für Frauen gemacht sind. Der Unterschied liegt ganz woanders. Dazu später mehr.

Warum das Bild vom starken Helden so viele Geschichten dominiert

Obwohl sie meistens frei erfunden sind, lässt sich mithilfe von Geschichten vortrefflich etwas über die Welt lernen. Hauptgrund dafür ist die Identifikationsfigur: die Heldin oder der Held einer Geschichte. Diese Figuren erzählen uns etwas Wichtiges über die Bedingungen des Gelingens – und des Scheiterns. Wissen, das wir auf unser eigenes Leben übertragen können, vor allem, wenn wir uns mit den Protagonisten einer Geschichte identifizieren.

In Geschichten benehmen sich Helden nicht immer heldenhaft. Manchmal sind sie uns gerade deshalb sympathisch – weil wir uns dann leichter in ihnen wiedererkennen. Womöglich könnten wir als ganz normale Menschen dann auch heldenhaft sein?

Gute Geschichtenerzähler wissen, wie sie die Erwartungen ihres Publikums erfüllen, was die zentralen Figuren der Geschichte tun und lassen sollten und wie ihre Abenteuerreise aussehen sollte. Was alles zu einer guten Geschichte gehört, erforschte der Mythenforscher Joseph Campbell und fasste es 1945 in seinem Buch "Der Heros in tausend Gestalten" zusammen.

Joseph Campbell gilt als der Entdecker der Heldenreise – einem erzählerischen Grundmuster, das in allen Epochen und von allen Menschengruppen zu allen Zeiten genutzt wurde: von den Native Americans über die First Nations Persons in Australien, von keltischen und arabischen Kulturen bis zu den Erzählern der griechischen Sagen. Eine Analyse kam 2011 zu dem Ergebnis, dass dieses Erzählmuster der Hälfte aller Hollywood-Filme zugrunde liegt. Auch in der Mehrheit der TED-Talks folgen die Redner dieser Struktur.

Immer wird die innere Wandlung eines Menschen als Abenteuerreise verkörpert. Dabei macht sich ein Mensch auf den Weg und was er erlebt, verändert ihn selbst so grundlegend, das er nach seiner Rückkehr die Welt in einem neuen Licht sieht.

Was passiert dem Helden auf seiner Reise?

Eine Heldenreise wird oft in zwölf Stufen unterteilt. Häufig werden diese Stufen als Kreis dargestellt, um den zyklischen Charakter zu verdeutlichen. Geschichten, die dieses Erzählmuster nutzen, können aber kreativ mit diesem Rahmen umgehen: Es kann Abkürzungen geben, Schleifen und Wiederholungen oder es können auch Teile der Reise ganz wegfallen.

Die 12 Stufen der Heldenreise

  • 1. Gewohnte Welt
  • 2. Ruf zum Abenteuer
  • 3. Verweigerung des Rufs
  • 4. Begegnung mit dem Meister/Mentor
  • 5. Überschreiten der ersten Schwelle
  • 6. Bewährungsproben, Verbündete, Feinde
  • 7. Tiefpunkt
  • 8. Entscheidungskampf
  • 9. Belohnung
  • 10. Rückweg
  • 11. Erneuerung/Verwandlung
  • 12. Rückkehr mit dem Elixier

Das Grundprinzip bleibt jedoch gleich: Die Hauptfigur bricht aus der gewohnten Welt auf, um sich – angeleitet durch einen Mentor – ihren Ängsten und äusseren Gefahren zu stellen. Nach ersten kleineren Prüfungen ist sie gewappnet für den entscheidenden Kampf. In vielen Geschichten erhält der Held am Ende des Kampfes eine Belohnung und kehrt – durch seine Abenteuer verändert – zum Ausgangspunkt zurück.

Der Heldenmythos ist in der (Klima-)Krise

An dieses erzählerische Muster sind wir gewöhnt, wir lieben es, mit dem Helden mitzufiebern. Und besonders lieben wir die Happy Ends. Die Aufgabe von Helden ist auch, sich darum zu kümmern, dass am Ende alles gut wird. Im Kino wurde die Welt schon oft von Helden gerettet. Im Film "Armageddon" zum Beispiel. Da passiert das Unmögliche: Unerschrockene Männer um die von Bruce Willis verkörperte Hauptfigur platzieren auf einem Asteroiden, der sich der Erde nähert, Ölbohrtürme und bringen damit Atombomben unter die Oberfläche. Der Asteroid bricht auseinander, die Erde ist gerettet.

Im echten Leben ist es doch aber so: Niemand glaubt daran, dass ein Mensch allein und noch nicht mal eine Gruppe von superschlauen Menschen allein in der Lage wären, die Klimakatastrophe abzuwenden und für ein Happy End zu sorgen. Wir wissen, dass für diese Aufgabe alle Menschen in allen Staaten miteinander kooperieren müssen.

Doch genau dieses Wissen widerspricht unserer Erfahrung. Die sagt nämlich, dass wir so etwas als Weltgemeinschaft bisher noch nie geschafft haben. Wir sind bisher nicht in der Lage gewesen, die globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, die den Hunger auf der Welt beenden, gleiche Bildungschancen für alle oder Geschlechtergerechtigkeit schaffen wollen. Auch den weltweiten Frieden haben wir bisher nicht erreicht.

Ziele, die wir für den gesamten Globus ausrufen, halten wir intuitiv für unerreichbar. Dieser Satz sagt aber nur etwas über die Vergangenheit aus – und nicht über die Zukunft. Wir wissen noch nicht, ob wir vielleicht doch dazu in der Lage sind, wenn wir es wirklich ernsthaft versuchen.

Diese Skepsis, die sich aus konkreten Erfahrungen speist, zerstört in der Klimakrise die Möglichkeit, sich Geschichten in Form der klassischen Heldenreisen zu erzählen. Die Geschichte vom Klimahelden sprengt den Rahmen, in dem sich Menschen normalerweise bewegen. Ein Held, der in dieser Sache allein ein Happy End herbeiführen wollte, hätte uns nichts darüber zu erzählen, was jeder Einzelne tun kann, um das real existierende Problem zu lösen. Die Klimakrise lässt sich nicht durch die eine Heldentat lösen. Sie lässt sich auch nicht durch die eine Massnahme lösen. Und schon gar nicht überall gleichzeitig durch ein und dieselbe Massnahme.

Warum das wichtig ist

Vielleicht ist Ihnen auch schon einmal das Bild des Klimahelden begegnet. Es wird manchmal auf Info-Websites oder in Apps eingesetzt, die dabei helfen wollen, die persönlichen CO2-Fussabdruck zu reduzieren. Da können Sie also zur Heldin oder zum Helden ihrer eigenen Klimaschutz-Story werden. Sie wissen wahrscheinlich längst, dass dieser Ansatz von BP erfunden wurde, einem Unternehmen, das sein Geld mit dem Verkauf von Öl und Gas verdient. Um von der eigenen Verantwortung abzulenken, nahm es mit dem persönlichen Fussabdruck alle in die Pflicht, die kaum Gestaltungsspielraum haben, CO2 einzusparen – ausser sie üben sich in Verzicht.

Dieser Ansatz ist nicht ganz falsch, weil klar ist, dass reiche Industrienationen Klimaziele nicht ohne die Mithilfe jedes Einzelnen erreichen können. Aber uns alle zu Klimahelden machen zu wollen, die am Ende im Alleingang die Welt retten, ist nicht nur unsinnig, sondern auch gemein. Mit dem Bild von Helden auf einer Heldenreise wird es jedenfalls nicht funktionieren. Dafür muss die Weltgemeinschaft etwas ganz Neues versuchen.

Die Heldinnen-Reise setzt auf Gemeinschaften

Dabei könnten uns Geschichten helfen, die einer anderen Erzählstruktur folgen. Eine Erzählweise, die Erfolg, Stärke, Gewinnen und Verlieren anders versteht. Eine, die nicht den Einzelkämpfer in den Mittelpunkt stellt, sondern die Kraft der Gemeinschaft betont. Eine, die den Wert von Zusammenarbeit, Zusammenhalt und sozialen Beziehungen hervorhebt und das Weitergeben von wichtigen Werten an zukünftige Generationen.

Genau das ist das Prinzip der Heldinnenreise – einer Erzählstruktur, die ebenfalls eine lange Tradition hat und zurückreicht bis zu Legenden in der Antike. Die Archäologin und Bestseller-Autorin Gail Carriger erklärt die Struktur und ihre Tradition in ihrem Buch "The Heroine's Journey". Geschichten dieser Art kennen Sie vermutlich alle. Die Erzählstruktur ist zum Beispiel im erfolgreichen Fantasy-Epos "Der Herr der Ringe" enthalten.

Hier braucht es die Stärke vieler unterschiedlicher Persönlichkeiten, die zusammenkommen müssen, um gegen eine übermächtige Bedrohung anzukämpfen. Die grösste Herausforderung liegt darin, die Gemeinschaft der Gefährten zu bilden und zusammenzuhalten, selbst wenn sie voneinander getrennt werden. Der Zauberer Gandalf, der Hobbit Frodo und der Mensch Aragorn müssen innerhalb dieser Struktur auch als Einzelkämpfer Heldenhaftes leisten, aber nur gemeinsam wenden sie die Geschichte zum guten Ende.

Auch die Heldinnenreise beginnt mit einem Aufbruch. Dieser geschieht in der Regel auch nicht freiwillig, wie in der Heldenreise, und wird zumeist durch einen innerfamiliären Konflikt erzwungen. Nachdem die Hauptfigur vergeblich versucht hat, diesen Konflikt zu lösen, gerät sie dadurch ins Abseits. Zwar kann es sein, dass einzelne Mitglieder der Familie die Hauptfigur weiterhin unterstützen, aber sie können keine Lösung herbeiführen. Bei "Der Herr der Ringe" sieht man exakt diese Struktur: Frodo wird durch das Erbe seines Onkels, der ihm den mächtigen Ring vermachte, dazu gezwungen, sein Dorf zu verlassen. Seine Freunde begleiten ihn, können ihm aber die Aufgabe nicht abnehmen.

In der Heldinnereise sucht die Hauptfigur nach dem richtigen Weg und muss eine Phase der Einsamkeit durchmachen, um daraufhin eine neue Gemeinschaft zu finden. So wie Frodo und die anderen Hobbits, als sie sich mit Zwergen, Elben und Menschen verbünden – und sie auf der Reise aus den Augen verlieren.

Oft muss diese neue Gemeinschaft in die Unterwelt herabsteigen, also an einen trostlosen, hoffnungslosen Ort, so wie die Gefährten um Frodo, als sie in den Höhlen unter dem Nebelgebirge ihren Mentor Gandalf verlieren. Im Fantasy-Epos zerfällt danach die Gemeinschaft. Trotzdem verfolgen alle weiter das vereinbarte Ziel: Frodo zu helfen, den Ring zu zerstören. Alle Kleingruppen müssen erneut aufbrechen und neue Gemeinschaften finden. Die Herausforderung gelangt auf das nächste Level: Diese Gemeinschaften müssen wiederum zusammenfinden und als Mega-Netzwerk in den Kampf gegen den dunklen Herrscher Sauron ziehen. Nur so wird es am Ende möglich sein, das Böse zu besiegen: In einer Gemeinschaft aus Gemeinschaften.

Stärke wird in dieser Erzählstruktur als Fähigkeit definiert, sich Hilfe zu organisieren. Macht liegt darin, unterschiedliche Kräfte zu bündeln, also in der Vielfalt. Damit sich Stärke und Macht entfalten können, ist die Hauptfigur auf eine gelingende Kommunikation angewiesen und auf einen zuverlässigen Zustrom an nützlichen Informationen. Sie ist kein Eroberer, sondern ein Gestalter. Sie sieht die Stärke in anderen und nicht in sich selbst. Sie delegiert Aufgaben und versucht nicht, alles allein zu lösen. Sie kennt ihre Grenzen und weiss, für welche Aufgaben jemand anderes besser geeignet ist. Ihr Feind ist die Einsamkeit und Isolation und ihr Ziel ist die (Wieder-)Vereinigung mit Menschen, die das Schicksal ihr genommen hat.

Die Heldinnenreise als Blaupause für Erfolgsgeschichten in der Klimakrise

In der Gegenüberstellung dieser beiden Erzählstrukturen wird deutlich: Bei Herausforderungen, die sich auf die gesamte Menschheit auswirken, gibt es im Sinne dieser Erzählstrukturen Möglichkeiten, alle Menschen an der Bewältigung der Aufgaben zu beteiligen. Die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass diejenigen, die Verantwortung tragen, verstanden haben, wie man Gemeinschaften findet beziehungsweise zusammenbringt und wie man sie zusammenhält, wenn es Schwierigkeiten gibt.

In den Hollywood-Blockbustern kommen solche Botschaften meist zu kurz. Das mag mit der Geschichte der USA zusammenhängen und der Erzählung vom amerikanischen Traum (vom Tellerwäscher zum Millionär). Die Heldinnenreise als Erzählstruktur produziert auch nicht immer das Happy End, wie wir es kennen. Manchmal liegt es auch nur darin, dass Dinge nicht ganz so verheerend wirken, wenn man sie als Teil einer Gemeinschaft erlebt.

"In der Klimakrise können wir kein klassisches Happy End mehr erwarten, in dem Sinne, das sie nicht stattfinden wird", sagt die Publizistin Samira El Ouassil. Die Atmosphäre erhitzt sich in einer nie dagewesenen Geschwindigkeit und die CO2-Emissionen steigen immer weiter, anstatt endlich abzunehmen. Vielleicht könnte das Happy End dieser Geschichten darin liegen, dass wir uns als Menschheit darauf konzentrieren, funktionierende Gemeinschaften zu bilden, die sich wiederum zu Mega-Gemeinschaften zusammentun können.

Dieser Weg ist überhaupt nicht trivial in der Umsetzung. Aber es ist ein Weg, der Erfolge ermöglicht. Geschichten könnten mehr solcher Erfolge transportieren. Es braucht dafür aber auch mehr Menschen, die sich trauen, solche Geschichten zu erzählen – in einer Situation, in der es mit jedem Tag unwahrscheinlicher wird, dass sich das Worst-Case-Szenario noch abwenden lässt.

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Verwendete Quellen

Erderwärmung

Trotz Klimabemühungen der letzten drei Jahre: Erderwärmung nimmt stetig zu

In den letzten drei Jahren gab es keine Verringerung der Erderwärmung, trotz der Bemühungen und Pläne der Länder zur Reduzierung des Klimawandels.

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