Obwohl CO2-Emissionen durch den Menschen steigen, heisst es im Netz, zeige eine Grafik einen "neuen Trend mit globaler Abkühlung" seit 2015. Es fehlt der Kontext: Die Temperaturdaten in der Grafik zeigen natürliche Klimaschwankungen. Dennoch waren die vergangenen acht Jahre die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen.
"Ich hab richtig gute Aktivisti-Nachrichten für Lützerath. Eure Massnahmen wirken!", heisst es auf Telegram zu einer Grafik, die globale Land- und Ozean-Temperaturen seit 2015 zeigt. Weiter heisst es, die Grafik zeige, dass es in den letzten acht Jahren einen "neuen Trend mit globaler Abkühlung" gegeben habe, obwohl mehr CO2 ausgestossen worden sei. Dieselbe Grafik wurde tags zuvor in einem englischsprachigen Tweet verbreitet: Die Erwärmung aufgrund von CO2 sei ein Schwindel, schreibt der Nutzer. Der Beitrag hat mehr als 13 Millionen Aufrufe.
Was ist an der Behauptung dran? Die Grafik stammt von einer amerikanischen Behörde, die Daten sind echt. Doch die Grafik belegt keinen Trend der globalen Abkühlung. Sie zeigt kurzfristige Temperaturschwankungen. Für die Beurteilung des Klimawandels ist die Betrachtung längerer Zeiträume notwendig: Berücksichtigt man das, zeigt sich seit 1880 ein Trend zur globalen Erwärmung. Seit dem Beginn der Aufzeichnung der Temperaturdaten waren die vergangenen acht Jahre sogar die wärmsten.
Daten der Grafik stammen von einer amerikanischen Klima- und Ozeanografiebehörde
Die Beiträge verlinken als Quelle für die Grafik auf die Website der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), einer Klima- und Ozeanografiebehörde in den USA. Dort lässt sich ein Balkendiagramm erstellen mit Temperaturdaten und Kategorien wie Start- und Endjahr, der gewünschten Region (zum Beispiel Europa) und der Oberfläche, für die die Temperaturentwicklung gezeigt werden soll (Land und/oder Meer). Daten sind für den Zeitraum von 1880 – dem Beginn der Aufzeichnungen der Temperaturdaten – bis 2022 verfügbar. Angezeigt werden in dem Diagramm dann Temperatur-Anomalien, also Abweichungen von einem Referenzwert, in diesem Fall dem globalen Temperaturdurchschnitt des 20. Jahrhunderts. Zusätzlich lässt sich in der Grafik ein Temperaturtrend für einen bestimmten Zeitraum anzeigen.
Wir haben, wie in der Grafik auf Telegram und Twitter, den Zeitraum Januar bis Dezember und die Jahre 2015 bis 2022 ausgewählt, so kommen wir zu derselben Grafik. Demnach sank in diesen acht Jahren im globalen Durchschnitt die Temperatur um 0,11 Grad Celsius.
Änderung des Zeitraums in der Grafik zeigt Trend zur globalen Erwärmung
Zeigen die Daten also wirklich, dass es keinen Klimawandel gibt und es in Wahrheit zu einer globalen Abkühlung kommt? Nein, denn die Auswahl der Daten lässt ausser Acht, dass 2015 im Vergleich zu den Vorjahren besonders warm war (PDF zum Download). Laut NOAA lag in diesem Jahr die globale Durchschnittstemperatur 0,93 Grad Celsius über dem globalen Durchschnitt des gesamten 20. Jahrhunderts. Damit war es das viertwärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen – heisser waren nur die Jahre 2016, 2019 und 2020.
Die kursierenden Daten sind also korrekt, werden aber verkürzt wiedergegeben. Ein Blick auf den gesamten Zeitraum, in dem Temperaturen aufgezeichnet werden, zeigt: Die vergangenen acht Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen. Ändert man auf der Seite der NOAA das Startjahr auf ein beliebiges Jahr vor 2015, ist ein Aufwärtstrend bei den Temperaturen zu sehen. Erweitert man die Auswahl auf den gesamten möglichen Zeitraum – also von 1880 bis 2022 – zeigt sich ein Anstieg der durchschnittlichen globalen Temperatur um 0,08 Grad Celsius pro Jahrzehnt, wie die folgende Grafik zeigt:
Kurzfristige Temperaturschwankungen kein Widerspruch zum langfristigen Erwärmungstrend
Entscheidend bei der Frage, ob sich das Klima erwärmt oder abkühlt, sind langjährige Trends. Laut der Weltorganisation für Meteorologie ist es für Temperaturvergleiche aufgrund der natürlichen Klima-Schwankungen wichtig, einen Langzeit-Durchschnitt zu verwenden. Die Organisation empfiehlt einen Zeitraum von 30 Jahren.
Das ist einer der entscheidenden Unterschiede zwischen den Begriffen Wetter und Klima, wie das Umweltbundesamt erklärt: "So kann etwa aus drei aufeinander folgenden heissen Sommern nicht auf eine Erwärmung des Klimas geschlossen werden. Auch bedeutet eine Reihe von kühlen Jahren in einem Jahrzehnt nicht unbedingt, dass sich das Klima abkühlt. Das könnte der Fall sein, wenn sich die Abkühlung über mehrere Jahrzehnte hinweg fortsetzt."
Die Nasa erklärte bereits 2019 in einem Beitrag, dass es aktuell keinen langfristigen Trend zur Abkühlung der Erde gebe. Eine wesentliche Ursache für die kurzfristigen Schwankungen der globalen Temperaturen sei die El-Niño-Southern-Oscillation, kurz Enso genannt. Dabei handelt es sich laut Umweltbundesamt um eine "periodisch wiederkehrende Erwärmung und Abkühlung der Meeresoberflächen-Temperaturen im tropischen Pazifik". El Niño ist die Warmphase, La Niña die Kaltphase dieses Phänomens. Beide Ereignisse zeigen sich "in kurzfristigen Schwankungen" der durchschnittlichen globalen Temperaturen. Laut NOAA ereignet sich dieses Phänomen alle zwei bis sieben Jahre.
Eine Karte der NOAA zeigt diese Temperaturschwankungen; zu erkennen ist auch, dass 2015 und 2016 von einem El Niño-Ereignis geprägt und daher besonders warm waren, danach folgten mehrere La Niña-Jahre. Gavin Schmitt, Klimawissenschaftler und Leiter des Goddard-Instituts der Nasa, griff das Phänomen in einem Beitrag am 13. Januar 2023 auf. Eine Linie von einem El-Niño-Jahr zu einem nachfolgenden La-Niña-Jahr werde fast immer eine Abkühlung zeigen, schreibt Schmitt: "Eine Tatsache, die Klima-Desinformanten wohlbekannt ist". In einer Grafik der Nasa von 2019 ist zu erkennen, dass die Temperaturschwankungen aufgrund von Enso (blau markiert) nicht dem grundsätzlichen Trend zur Erwärmung (rote Linie) widersprechen.
Grafik ist kein Beleg gegen den menschengemachten Klimawandel
Kurzfristige kältere Phasen sprechen nicht gegen den menschengemachten Klimawandel, schreibt auch der Weltklimarat (IPCC). Er ist eine von den Vereinten Nationen ins Leben gerufene Institution, in der Hunderte von Fachleuten den wissenschaftlichen Forschungsstand zum Klimawandel zusammenfassen. Im aktuellen IPCC-Bericht heisst es: "Natürliche Schwankungen sind eine der Hauptursachen für jährliche Veränderungen des globalen Oberflächenklimas und können eine wichtige Rolle bei Trends über mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte spielen." Der Einfluss solcher Schwankungen sei aber in der Regel gering, wenn man Trends über mehrere Jahrzehnte oder länger betrachte. "Das bedeutet, dass der Grossteil der Erwärmung fast ausschliesslich auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist, insbesondere auf die Emissionen von Treibhausgasen".
Auch die CO2-Emissionen werden in den Beiträgen thematisiert. Die globalen CO2-Emissionen sind laut Daten des Global Carbon Projects – einem weltweiten Zusammenschluss von Forschenden, die den Kohlenstoffkreislauf untersuchen – seit 2015 angestiegen. Einen Rückgang gab es 2016 sowie pandemiebedingt 2020. Einer Prognose zufolge liegt der globale Ausstoss 2022 wieder über dem Niveau von 2019.
Immer wieder wird mit Grafiken im Internet der menschengemachte Klimawandel angezweifelt. Suggeriert wird oft, der aktuelle Klimawandel basiere hauptsächlich auf natürlichen Einflüssen und würde sich von allein regulieren. Im Juli 2022 beschäftigten wir uns mit einer weiteren Grafik, die sich nur auf einen bestimmten Zeitraum bezieht und damit in die Irre führt. Dass der Ausstoss von CO2 den Klimawandel vorantreibt, zeigen zahlreiche Forschungsergebnisse, wie wir im Oktober berichteten.
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