Schwefel in die Atmosphäre sprühen, um die Erde zu kühlen: In den USA wittert man bereits ein Milliardengeschäft, Grossbritannien plant erste Freiluft-Experimente. Aber wie riskant ist Solar Geoengineering?

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Elena Matera (RiffReporter) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die Sonne künstlich abdunkeln, um die Erde zu kühlen: Als ich vor zehn Jahren noch studierte, hörte ich zum ersten Mal von Solar Geoengineering – und hielt es für eine absurde Science-Fiction-Idee.

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Besonders die sogenannte Stratosphärische Aerosolinjektion (SAI) wird dabei nach wie vor diskutiert: Schwefelpartikel werden in mehr als 20 Kilometern Höhe versprüht. Sie legen sich wie ein Schleier um die Atmosphäre, die Sonne wird quasi gedimmt und die Temperatur sinkt. Die schnelle Lösung gegen den Klimawandel könnte man meinen.

Was früher wie Zukunftsmusik klang, könnte jetzt Realität werden. Grossbritannien finanziert als erstes Land Solar-Geoengineering-Experimente im Freien. Die staatliche Behörde Advanced Research and Invention Agency (Aria) will rund 57 Millionen Dollar in die Forschung zur "Abkühlung der Erde" investieren. Laut einem Strategiepapier sollen neben Experimenten auch Modelle und Simulationen zeigen, ob und wie sich solche Massnahmen überhaupt kontrollieren lassen.

Kein blauer Himmel, Niederschläge, unklare Folgen

Die Idee, das Klima mit Schwefeldioxid zu beeinflussen, ist nicht neu – der Weltklimarat IPCC hat sie längst diskutiert. Doch was genau passieren würde, wenn wir grossflächig in das Klimasystem eingreifen, ist noch immer unklar. Denn das System ist komplex, die möglichen Nebenwirkungen kaum absehbar.

Studien zeigen: Wenn wir die Sonne verdunkeln, könnte es zu mehr saurem Regen, veränderten Niederschlägen und ausbleibenden Monsunen kommen. Das Ozonloch würde wachsen. Und der Himmel? Statt strahlendem Blau ein trüber, milchiger Schleier. Ein Bild, das eher an eine dystopische Zukunft erinnert als an eine Lösung.

Das grösste Risiko aber ist der "Termination Shock". Um die Erde dauerhaft kühl zu halten, müssten Schwefelpartikel über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte hinweg kontinuierlich versprüht werden. Ein plötzlicher Stopp – sei es durch Krieg, Wirtschaftskrisen oder politische Instabilität – könnte die Temperaturen abrupt in die Höhe treiben. Die Folge: ein unkontrollierbarer Klimaschock mit globalen Auswirkungen auf Ökosysteme und Gesellschaften weltweit.

Warnung vor Solar Geoengineering

In einem offenen Brief fordern mehr als 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus rund 60 verschiedenen Ländern ein weltweites Abkommen gegen Solar Geoengineering. 2024 warnte eine Expertengruppe in einem Bericht für die EU-Kommission vor den ökologischen, sozialen und geopolitischen Risiken.

Diese Technologien würden nur die Symptome des Klimawandels bekämpfen, nicht die Ursachen, heisst es im Bericht. Sie könnten die Erwärmung zwar kurzfristig abschwächen, doch Treibhausgase würden weiter steigen, die Ozeane versauern. Geplante Feldversuche zu Solar Geoengineering, zum Beispiel in Schweden, sorgten in der Vergangenheit immer wieder für Proteste und wurden daher auch alle abgesagt. Auch in Grossbritannien wächst nun Widerstand gegen die riskanten Experimente im Freien.

"Angesichts der gegenwärtigen Klimapolitik können wir es uns schlichtweg nicht leisten, nicht an Solar Geoengineering zu forschen."

Ulrike Niemeier, Max-Planck-Institut für Meteorologie

Ich frage mich: Sollten wir dann nicht lieber ganz auf die Forschung zu Solar Geoengineering verzichten? "Angesichts der gegenwärtigen Klimapolitik können wir es uns schlichtweg nicht leisten, nicht an Solar Geoengineering zu forschen", erklärte mir Ulrike Niemeier vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Aber eines sei klar: Diese Technologie könne niemals echten Klimaschutz ersetzen. Es sollte immer nur ergänzend eingesetzt werden, falls überhaupt.

Geschäftsidee mit der künstlichen Abkühlung

Forschungen zu Solar Geoengineering laufen längst weltweit: in China, Indien, Australien, in den USA und auch in der EU. Und Unternehmen wittern das ganz grosse Geschäft. Zum Beispiel das US-Start-up Make Sunsets. Gegründet 2022, schickt es Wetterballons in die Stratosphäre, gefüllt mit Helium und Schwefeldioxid. Dort platzen die Ballons und setzen die Partikel frei.

Finanziert wird das Ganze durch "Kühlungszertifikate", die Privatpersonen und Unternehmen kaufen können. Die Rechnung des Start-ups: Ein Zertifikat soll die Erwärmung durch eine Tonne CO2 für ein Jahr ausgleichen. Eine Geschäftsidee, die stark an CO2-Kompensationen erinnert – also Zahlungen, mit denen Emissionen angeblich an anderer Stelle ausgeglichen werden. Doch Studien zeigen: Das klappt nur selten.

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In den USA gibt es für solche Kleinexperimente im Bereich des Solar Geoengineering bislang keine Regulierung. Doch was, wenn immer mehr Start-ups aufspringen? Wenn ein Wettlauf beginnt, wer am schnellsten die Sonne dimmen kann? Der Völkerrechtler Alexander Proelss von der Universität Hamburg erklärte mir, dass viele kleine Einsätze irgendwann genauso gravierende Folgen haben könnten wie ein grossflächiger Eingriff, mit Auswirkungen über Landesgrenzen hinaus. Spätestens dann müssten die USA gesetzlich reagieren.

Warum Regulierungen notwendig sind

"Je weiter sich der Klimawandel verschärft, desto grösser könnte die Neigung sein, Solar Geoengineering im Alleingang einzusetzen", meint Proelss. "Und auf diesen Fall sollten wir vorbereitet sein. Wie könnte das Recht solche Situationen auffangen?" Auch das Expertengremium, das den EU-Bericht zu Solar Geoengineering verfasst hat, fordert klare Regeln und strenge Kontrollen. Die Politik müsse dafür sorgen, dass die Forschung verantwortungsvoll und ethisch vertretbar sei.

Klar: Je mehr zu Solar Geoengineering geforscht wird, desto verführerischer könnte es als schnelle Lösung für den Klimawandel erscheinen. Grossbritanniens geplante Freilandversuche könnten hier nur der Anfang sein, befürchten Kritiker. Die staatliche Behörde Advanced Research and Invention Agency (Aria) erklärte, dass es Geoengineering-Forschung fördern wolle, weil selbst bei den ehrgeizigsten Klimaschutzplänen ein weltweiter Temperaturanstieg kaum zu verhindern sei. Gleichzeitig gebe es noch zu wenig Tests, um die Risiken und Chancen solcher Technologien richtig einschätzen zu können.

Weitere Länder und Investoren könnten nachziehen und immer mehr Geld in diese Technologie stecken. Die Klimawissenschaftler Raymond T. Pierrehumbert und Michael E. Mann warnten erst kürzlich im "Guardian": Grossbritanniens Pläne könnten der erste Schritt in eine Richtung sein, aus der es kein Zurück gibt. "Das Vereinigte Königreich setzt beim solaren Geoengineering auf eine riskante Wette – als würde man Krebs mit Aspirin behandeln", schreiben sie.

Könnten Trump, Musk oder Putin Solar Geoengineering nutzen?

Staaten oder Einzelpersonen könnten diese Technologie für ihre eigenen Zwecke nutzen. Pierrehumbert und Mann nennen als Beispiele den US-Präsidenten Donald Trump oder Tech-Milliardär Elon Musk. Denn eines ist sicher: Der Klimawandel wird sich weiter verschärfen und selbst Klimaleugner wie Trump werden irgendwann darauf reagieren müssen. Notfalls eben, indem sie die Sonne dimmen.

Was wir jetzt dringend brauchen, sind klare Regeln. Damit nicht ein Staat oder ein paar Start-ups einfach loslegen und die Sonne nach Belieben verdunkeln. Vor allem dürfen wir uns nicht immer wieder von futuristischen Technologien blenden lassen – sei es Kernfusion oder eben Solar Geoengineering –, die vermeintlich alle Probleme lösen.

Stattdessen müssen wir endlich das eigentliche Ziel angehen: die drastische Reduktion von Treibhausgasemissionen. Nur so bleibt Solar Geoengineering auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter eine Science-Fiction-Idee und nicht unsere Realität. Denn eine Welt, in der wir dauerhaft Schwefelpartikel in die Atmosphäre sprühen und der Himmel nicht mehr blau ist, möchte ich mir lieber nicht vorstellen.

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