In der ökologischen Doppelkrise aus Erderhitzung und Artensterben jagt eine schlechte Nachricht die nächste. Kein Wunder, dass viele Menschen den Zusammenbruch der Welt fürchten, wie wir sie kennen. Doch wie hilfreich ist die Vorstellung von der Endzeit?
Jetzt wird es lebensgefährlich. Das Ende der Welt ist in Sicht. Wahrscheinlich wollen Sie erst mal wegklicken, oder? Verständlich. Denn so ein Weltuntergang ist kein Spaziergang. Aber bleiben Sie besser hier, denn Sie erfahren gleich, wie Sie sich für dieses Ende – das sowieso unausweichlich ist, egal ob Sie weiterlesen oder nicht – besser wappnen können. Und lesen Sie, warum es Teil unserer kulturellen DNA ist, dass wir den Zusammenbruch der Zivilisation (insgeheim) für unabwendbar halten.
Bevor es weitergeht, möchte ich mich für diesen Einstieg entschuldigen. Sie haben bestimmt den Trick durchschaut, den ich angewendet habe. Zuerst habe ich Ihnen Angst gemacht, um Ihnen zu zeigen, dass die Sache ziemlich ernst ist. Danach habe ich in Ihnen die Hoffnung geweckt, dass Sie besser aus der Sache herauskommen könnten als befürchtet – vorausgesetzt, Sie folgen meinen Vorschlägen. Der wichtigste: Lesen Sie weiter.
Danke, dass Sie sich darauf eingelassen haben und trotz dieses hinterhältigen Schachzugs noch da sind. Hier greift ein ganz altes Muster, eins, das Ihnen mit hundertprozentiger Sicherheit schon oft begegnet ist. Geschichten von der Apokalypse sind uns sehr vertraut. Wenn sie im Zuge der Klimakatastrophe wieder Hochkonjunktur haben, ist das kein Zufall. Denn Erzählungen vom Weltuntergang sind in Krisenzeiten aus mehreren Gründen sehr verlockend.
Führt die Klimakrise wirklich zum Weltuntergang?
Die Gefahr des bevorstehenden Zusammenbruchs der Zivilisation, wie wir sie kennen, halten renommierte Klimawissenschaftler für ein unterschätztes Szenario. Eine gesunde Umwelt und Frieden sind eng miteinander verwoben. Die Klimakrise ist ein Katalysator für Konflikte und destabilisiert von Konflikten beherrschte Regionen immer weiter. Diese Tatsache wurde schon früh in der Klimakrisenforschung beschrieben und ist Teil der deutschen Aussenpolitik sowie der deutschen Verteidigungspolitik, auch der der USA.
Es gibt zwar eine kontroverse Debatte darüber, mit welcher Wahrscheinlichkeit welches Kippelement im Klimasystem wann aktiviert wird, aber dass Kippelemente existieren, ist unstrittig. Sie spielen eine grosse Rolle in den Worst-Case-Szenarien. Viele Menschen fühlen sich von diesen Szenarien überfordert und wollen sich am liebsten nicht damit beschäftigen. Dabei zeigt ein Blick in die Vergangenheit der Menschheitsgeschichte, dass das Schlimmstmögliche tatsächlich immer wieder eintrat: Hochkulturen entstanden und fielen wieder in sich zusammen – auch unter dem Einfluss von Klimaveränderungen.
Neuere Berechnungsmodelle, die auch Künstliche Intelligenz (KI) einsetzen, schätzen die Wahrscheinlichkeit für einzelne Kipppunkte inzwischen höher ein als vergangene Berichte des IPCC, zum Beispiel für den Zusammenbruch der Nordatlantischen Umwälzströmung (AMOC) – so hoch, dass die Sorge davor steigt, die Zukunft sei schon entschieden. Eine Zukunft, in der die Welt, wie wir sie kannten, untergehen wird.
An diesem Punkt muss man gut aufpassen. Denn Worst-Case-Szenarien müssen streng von fiktionalen Geschichten über den Zusammenbruch der Welt getrennt werden. Trotzdem reden viele Menschen über klimawissenschaftliche Szenarien, als seien es Prophezeiungen – behandeln sie also wie Geschichten, die etwas über die Welt erzählen, wie sie in Zukunft aussehen wird.
Es ist kein Wunder, dass das passiert, denn wir Menschen sind sehr vertraut mit Geschichten vom Weltuntergang – sogar mit solchen, in denen das Klima eine tragende Rolle spielt. Auch die Erzählung vom Klimakollaps ist nicht neu – ganz im Gegenteil. Greifen wir also vielleicht aus Tradition, aus einem Reflex heraus oder aus Lust an der Angst zu Endzeitgeschichten?
Wie oft ging die Welt schon unter?
Geschichten von (drohenden) Apokalypsen kennen wir alle. In der jüdisch-christlichen Erzähltradition baut Noah ein Schiff, um sich und seine Liebsten zusammen mit je einem Paar jeder Tierart vor der grossen Flut zu retten. Alle, die nicht Gottes Rat folgten, kommen jedoch ums Leben.
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Der wichtigste Text zur Apokalypse im Christentum ist wohl die Offenbarung des Johannes im Neuen Testament. Diese prophetische Geschichte erzählt in bildhafter Sprache vom Jüngsten Gericht, das durch zahlreiche Krisen angekündigt wird. Diese Krisen sind als Zeichen beschrieben, die von Propheten gedeutet werden müssen, um Gläubige zu mobilisieren. Darunter Visionen, in denen ein Drittel der Erde verbrannt, die Ernten durch Dürren und Ungezieferplagen vernichtet werden und das Wasser ungeniessbar ist. Mitten in der Apokalypse gibt sich Gott zu erkennen und hält sein letztes Gericht. Jetzt wird entschieden, wer dem ewigen Feuer geweiht ist.
Unaushaltbar heiss: So wird es in der Hölle. Wer wollte nicht zu denen gehören, die vor diesem Horrorszenario gerettet werden? Die Geretteten erwartet dann auch das ewige Leben. Ein Heilszustand, eine Utopie. Diese Utopie ist mit der Krisendarstellung eng verwoben und drängt die Erzählung von der Katastrophe am Ende an den Rand.
Auch im Islam findet man Erzählungen vom Jüngsten Tag, an dem die Menschen für ihre Taten in die Verantwortung genommen werden. Wer an Gott glaubt, bekennt sich gleichzeitig zu einer Lebensweise, die nicht nur moralisch und ethisch aufrichtig ist, sondern auch die Einheit Gottes zugrunde legt. Sich richtig zu verhalten, ist damit zugleich auch ein Bekenntnis zu Gott.
Zwar werden die Menschen auch durch Angst vor Bestrafung am Jüngsten Tag zum richtigen Verhalten motiviert, aber die Wunder der göttlichen Gnade sind zentraler. Sie geben dem Leben sowohl im Diesseits als auch im Jenseits eine geordnete Struktur. Am Jüngsten Tag erwarten die Menschen Gottes Urteil, das darüber entscheidet, ob sie im Himmel oder in der Hölle landen. Einige Suren des Koran beschreiben auch Naturkatastrophen am Ende der Tage.
In allen monotheistischen Religionen findet man also Beschreibungen vom Ende der Welt, an dem abgerechnet wird: Wer hat ein Leben geführt, das Gott gefällt, und wer nicht? Die einen werden belohnt für ihre Mühen, die anderen bestraft für ihre Verfehlungen. Die Unterscheidung zwischen einem richtigen und einem falschen Leben prägt unsere Weltsicht noch immer. Wer möchte nicht gerne ein guter Mensch sein?
Jennifer Stevens forscht an der Universität Jena zu Erzählungen über den Weltuntergang und erklärt: "Wir haben ein gewisses Bild von der Apokalypse. Das ist aber nicht unbedingt dasselbe, das die Menschen vor 2.000 Jahren hatten." Die Vorstellung von der Apokalypse habe sich in der Moderne und Spätmoderne stark gewandelt. "Wenn wir heute zum Beispiel angesichts der Klimakrise im Alltag von der Apokalypse sprechen, dann haben die meisten nicht mehr die Offenbarung eines göttlichen Heils oder die Erlösung vom Reich Gottes vor Augen, sondern eben diesen katastrophalen Untergang unserer menschlichen Zivilisation."
Diese Verschiebung vom Heilsversprechen der Endzeit hin zum Untergang bezeichnet die Forschung als kupierte Apokalypse. Diese Form der Endzeiterzählung entstand in der Zeit der Romantik, also nach der Aufklärung. In der romantischen Literaturepoche handelten viele Erzählungen und Gedichte davon, dass der Mensch sich von der Natur entfremdet, Krieg gegen sie führt und sich mithilfe der Maschinen gottgleich überhöht. Die Folgen: Der Boden wird unfruchtbar, die Sonne verfinstert sich, Mensch und Tier sind zum Aussterben verurteilt.
"Vor allem in der frühen Industrialisierung hat man es noch dazu mit einem unermesslichen Leid in der arbeitenden Bevölkerung zu tun. Die grässlichen Arbeitsbedingungen bildeten natürlich einen guten Nährboden für apokalyptische Deutungen", sagt Jennifer Stevens. In der Romantik entstand auch die Idee, dass der Humanismus durch den Übergang in eine menschlich geprägte Zivilisation selbst zum Sündenfall wird und den Weltuntergang hervorbringt. "Gleichzeitig hat man gemerkt, dass die Natur nicht nur ein friedlich harmonisches Gegenüber ist, sondern sich auch ganz schön destruktiv aufdrängt. 1816 war zum Beispiel ein Jahr ohne Sommer wegen eines Vulkanausbruchs."
Was ist gut daran, wenn die Welt in Geschichten untergeht?
"Die Apokalypse ist eine Reaktion auf eine realweltliche Krisenerfahrung, in der sich ein existenzieller Konflikt ausdrückt, nämlich der zwischen einer als fremd empfundenen Macht und der eigenen Ohnmacht", meint Jennifer Stevens. In der Klimakrise fühlen sich viele Menschen ohnmächtig, weil die Veränderungen, die sie selbst anstossen können, gefühlt nur einen kleinen Beitrag leisten. Die grösste Handlungsmacht liegt bei der Politik und den Unternehmen. "Wir erfahren die gesellschaftlichen Verhältnisse auch immer entfremdet von uns. Dann liegt eine apokalyptische Deutung in Krisenzeiten sehr nahe."
Die Erzählung vom Weltuntergang kann psychologisch entlasten, wenn zeitlich und räumlich beschränkte Katastrophen in immer kürzeren Abständen forciert werden, weil die Naturzerstörung global und gleichzeitig abläuft. Die Untergangserzählung dient dann sowohl dazu, die Welt verstehbarer zu machen als auch den Status quo zu kritisieren. Aber sie hat noch andere Funktionen.
"Wir unterscheiden zwischen quietistischer und aktivistischer Apokalyptik. Die quietistische Endzeiterzählung soll über bestehendes Leid hinwegtrösten", betont Jennifer Stevens. Wie kritisch die quietistischen Endzeiterzählungen sind, lässt sich schwer beurteilen. Quietistische Apokalyptik meint im Vergleich zur aktivistischen "passiv", denn hier kann der Mensch sich nicht zum Untergang verhalten. "Die aktivistische Apokalyptik soll auch zum Handeln aufrufen. Sie begreift die Menschen als Akteure, die sich zum Untergang verhalten können und diesen dann entweder abwenden oder auch herbeiführen können."
Die Apokalypse ist politisch
Mit dem Hinweis auf einen drohenden Untergang unterstreichen Klimabewegungen, wie dringlich das Anliegen ist, den Klimawandel zu begrenzen. Und die Krise liefert die dazu passenden Bilder: Die Freiheitsstatue, eingehüllt in orangefarbenen Rauch, der von verheerenden Waldbränden aus Kanada nach New York zieht. Kleine Menschengruppen, die sich auf Bahndämmen in Pakistan vor den Wassermassen in Sicherheit zu bringen versuchen, die ein Drittel des Landes überfluteten. Menschen, die sich vor riesigen Buschbränden nur noch ins Meer vor Australien retten können oder weinend verbrannte Koalas in den Armen halten. Oder Menschen, die verzweifelt vor den Trümmern ihrer Häuser im Ahrtal oder im spanischen Valencia stehen.
Im medialen Umgang mit Krisen wird oft kritisiert, dass die Berichterstattung Ängste schürt, um daraus Kapital zu schlagen. Medienschaffende wissen: Fast nichts generiert so viel Aufmerksamkeit wie das Gefühl der Angst. Welche Rolle spielt Angst in der Apokalyptik? Gibt es vielleicht auch eine Art Angstlust, die zu Untergangserzählungen verleitet?
Die Soziologin Jennifer Stevens ist skeptisch. "Das liegt auch daran, dass ich die Apokalypsen nicht gerne anthropologisieren oder psychologisieren möchte. Ich sehe sie nicht als eine Grundkonstante des menschlichen Daseins an, sondern halte sie für eine Antwort auf eine gesellschaftliche Aussenwelt, die voller Konflikte und Probleme ist." Die Soziologin ist sich nicht so sicher, ob man in allen Zeiten Endzeitvorstellungen produziert. "Gleichzeitig muss man sich fragen, wann es in der Menschheitsgeschichte jemals Phasen gab, die frei von sozialen, ökonomischen und politischen Krisen waren."
Die Klimakrise produziert am laufenden Band Katastrophen, bei denen unzählige Menschen ihr Zuhause verlieren – und mit ihm ihr Leben, selbst wenn sie sich selbst noch retten können. Sie erleben den Untergang ihrer Welt. Buchstäblich. Erzählungen über diese Erfahrungen zeigen aber auch, dass es trotz allem Grund zur Hoffnung gibt. Es gäbe diese Erzählungen nicht, wenn niemand bereits früher solche Ereignisse überlebt hätte, um nun davon zu berichten. Weltuntergangserzählungen enthalten deshalb häufig die Botschaft von Menschen, die einen neuen Anfang machen konnten.
Die Tatsache, dass der Klimawandel und die Zerstörung der Artenvielfalt menschengemacht ist, eröffnet einen Handlungsspielraum, den es in den alten Erzählungen vom Strafgericht Gottes nicht gab. Aber genauso wie beim religiösen Strafgericht stellt sich auch in der Klimakatastrophe die Frage: "Wer wollte denn nicht gerettet werden?" Diese Frage lässt sich von allen Seiten politisch instrumentalisieren.
Nicht nur Klimaschutzbewegungen, sondern auch ihre politischen Gegner nutzen die Erzählung von der Apokalypse für ihre Zwecke. Gegner von Klimaschutzmassnahmen halten Befürchtungen, dass die Klimakrise die Zivilisation bedroht für "realitätsferne Panikmache" von "Untergangspropheten". Das hat meist die Funktion, reale Bedrohungen zu verharmlosen oder zu leugnen. So lassen sich klimapolitische Forderungen als "romantische Verklärungen" und träumerische Sehnsucht nach Rettung der Welt verunglimpfen. So lässt sich auch der Unwille zur Veränderung und möglichen Einschränkungen des Lebensstils als vernünftig und die Blockierung eines notwendigen gesellschaftlichen Umbauprozesses als richtig darstellen. Auch diese Geschichten verfehlen ihre Wirkung nicht.
Geschichten sind wichtig
Menschen erzählen sich die ganze Zeit Geschichten. Das menschliche Gehirn orientiert sich in seiner Umwelt, indem es Zusammenhänge herstellt – zur Not auch dann, wenn es objektiv gesehen keine gibt. Sich Geschichten über die Zukunft zu erzählen, hat eine lange Tradition. Aber es gibt nicht nur kulturelle Gründe dafür, warum sich Menschen Geschichten erzählen. Auch andere Forschungszweige beschäftigen sich mit der Frage, warum Menschen zu Geschichten greifen, zum Beispiel die Neurobiologie. Sie versteht unser Gehirn wie eine Vorhersagemaschine: Demnach macht es aus zurückliegenden Erfahrungen Vorhersagen für die Zukunft, um besser mit Gefahren umgehen zu können.
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Die Vorliebe des Menschen für Geschichten können wir uns in der Klimakrise zunutze machen. Dabei sollten wir uns aber auch der Begrenztheit und der Gefahren bewusst sein, die im Geschichtenerzählen liegt.
Wenn Sie an den Anfang dieses Artikels zurückdenken: Hätten Sie weitergelesen, wenn er weniger dick aufgetragen gewesen wäre? Es gibt nichts Effektiveres, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und damit die Bereitschaft zum Handeln anzubahnen, als die Angst, etwas Schönes könnte zu früh zu Ende gehen.
Zur Person
- Jennifer Stevens ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am DFG-Graduiertenkolleg "Modell Romantik" an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Als Literatursoziologin forscht sie zur Modernisierung von Endzeitvorstellungen in der historischen Romantik.
Über RiffReporter
- Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter.
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Verwendete Quellen
- academic.oup.com: The 2024 state of the climate report: Perilous times on planet Earth
- auswaertiges-amt.de: Klimawandel – die grösste Sicherheitsbedrohung unserer Zeit
- Bundesministerium der Verteidigung: Klimawandel und Sicherheit
- defense.gov: Tackling the Climate Crisis
- oceanographicmagazine.com: Atlantic current collapse 'closer than we think'
- modellromantik.uni-jena.de: Jennifer Stevens, M.A.
- mdr.de: Rauch von kanadischen Waldbränden hüllt New York ein
- tagesschau.de: Tausende Menschen warten noch auf Rettung
- Zentrum Liberale Moderne: Welche Funktionen hat die Apokalyptik in der ökologischen Krise? – Zwei Beispiele
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